@Eckhard: Lieber Eckhard, was die von Dir genannten Jubiläen betrifft, so ist es ja durchaus auch interessant zu versuchen, sich einmal fotografisch mit ihnen auseinanderzusetzen, was allerdings voraussetzt, dass man sich selbst mit den historischen und aktuellen Zusammenhängen befassen möchte. Das zur Diskussion gestellte Bild ist diesbezüglich nicht geplant entstanden und geriet, anders als manche, bereits gedanklich mit einem Veröffentlichungsdatum verknüpften Aufnahmen, wie
erst beim Durchsehen des Festplatteninhalts in den entsprechenden Fokus.
Die Ahnungslosigkeit, die Du ansprichst, die zu der Zeit sicherlich zu einem großen Teil den materiellen Möglichkeiten und der damit verbundenen eingeschränkten Bildung geschuldet war, hat die Menschen schon immer formbar für die Utopien Einzelner gemacht. (Natürlich könnten zusätzlich auch andere Kriterien genannt werden: Not, Hunger, Elend beispielsweise.) Man sollte sich jedoch bewusst sein, dass Versuche, Menschen ‚auszurichten‘, sie für bestimmte Interessen zu nutzen, heute nicht grundsätzlich anders ablaufen, vielleicht nur geschickter verpackt werdenals dies im historischen Kontext erscheint. Im Kleinen beginnt die Manipulation bereits mit der permanenten Werbung oder der leisen Hintergrundmusik, die im Supermarkt spielt. Auch im Zeitalter der größtmöglichen Informationsmöglichkeiten, des Internets, der Bibliotheken, der jedem offen stehenden Bildungseinrichtungen ist es mit der Allgemeinbildung in breiten Bevölkerungsschichten nicht immer gut bestellt. Von der zusätzlichen, vielleicht sogar gesteuerten ‚Verdummung‘, wie sie täglich in manchen Fernsehprogrammen oder in bestimmten Presseerzeugnissen zu finden ist, gar nicht zu sprechen. Sich nicht unreflektiert zum Teil einer Matrix machen zu lassen, ganz gleich, wie diese ausgerichtet sein mag, ist möglicherweise der mühevollere Weg, sollte jedoch für jeden ein persönliches Anliegen sein.
Dem, was Du zu ‚linken‘ bzw. ‚rechten‘ Ansätzen für Utopien ausführst, kann ich mich eigentlich nur anschließen; das sehe ich auch so.
Danke für das Bild ‚Vorgeladen‘. Ich finde es sehr interessant; es ist ein schönes Sinnbild für die Macht, für den Menschen, der der Übermacht gegenübersteht bzw. für die Matrix selbst ;-).
Schön, dass Du das alte Hildebrandslied in diesem Kontext ansprichst. Nun bin ich zwar, was die Interpretation dieses Textes betrifft, absoluter Laie und weiß, dass es in der Forschung ausführlich untersucht wurde, wahrscheinlich immer noch wird; interessant fand ich jedoch, dass jüngere Fassungen wohl nicht mehr ausschließlich mit dem Tod Hadubrands enden, sondern sich Vater und Sohn rechtzeitig erkennen. Auch dieser Ansatz könnte für die grundsätzliche Interpretation des Bildes wertvoll sein.
Nun, das selbstbestimmte Leben in diesem Land war bis zu einem gewissen Grad schon möglich, aber es stieß rasch an Grenzen, wenn man mehr als das ‚Einfache‘ bzw. Angepasste wollte. Das begann schon bei so ’normalen‘ Bedürfnissen, wie dem Kauf von Büchern. Als ich in Berlin studierte, gab es dort eine kleine Buchhandlung in der Nähe meines Instituts – ich fuhr dort jeden Tag mit dem Bus vorbei. Sah man draußen vor dem Laden eine Menschenschlange stehen, musste man unbedingt an der nächsten Haltestelle aussteigen, zurücklaufen und sich anstellen. Das war sozusagen lebensnotwendig, denn ganz gleich, welches Buch es war, was dort über den Ladentisch ging, es war immer ein gutes Buch, und besaß man es vielleicht schon, so wurde es verschenkt oder getauscht. In der Provinz war es ja noch schwieriger, an solche 'Schätze' zu gelangen ... Aus heutiger Sicht betrachtet, mutet das einfach unmöglich an; jetzt geht man in die Bibliotheken, bestellt notfalls über Fernleihe oder kauft online, was man möchte oder braucht und nach ein paar Tagen ist es in der Post. Eine Normalität, von der man damals in vielen Bereichen weit entfernt war und die einem als erstrebenswerter, aber unerreichbarer Luxus erschien.
Natürlich umfasst selbstbestimmtes Leben mehr als das; Meinungsfreiheit beispielsweise. Vor diesem Hintergrund kann man die Selbstbestimmung in diesem System völlig streichen. Hier musste man sich anpassen und das Zerrbild akzeptieren, dessen man sich in der Regel sehr bewusst war, wenn man nicht ein Leben mit Repressalien führen wollte; und wer hätte voraussagen können, dass die Mauer bereits nach relativ kurzer Zeit wieder fällt.
Es ist notwendig, auch nach 20 Jahren noch, das Zerrbild zu betrachten, um zu verstehen, wie es zustande kam und was dahintersteckte, übrigens auch im Vergleich der historischen und wirtschaftlichen Entwicklung beider deutscher Staaten. Denn wäre der Aufschwung und das freiheitliche Denken im Westteil Deutschlands genauso verlaufen, wenn es beispielsweise den Marshallplan nicht gegeben hätte? Für eine Beurteilung muss man viele Kriterien heranziehen. Und zu einem Ergebnis zu kommen, scheint gar nicht so einfach zu sein, wie man auch den Medien immer wieder entnehmen kann. Ein aktuelles Beispiel hatte ich unter Pascals Bildaufgeführt.
Wichtig erscheint mir in der Tat, dass sich die Menschen den Spiegel selbst vorhalten, sich dem Zerrbild stellen; denn nur, wenn dieser Wille vorhanden ist, kann man auch Einsichten und klare Bilder gewinnen.
Das gilt, aus dem historischen Kontext herausgelöst, auch für aktuelle Entwicklungen. Das Bild ‚Eine Wahl haben‘ deutet diesbezüglich nicht nur auf Möglichkeiten, sondern auch auf eine gewisse Verpflichtung und auf die Verantwortung jedes Einzelnen hin.
@Eckhard: Lieber Eckhard, herzlichen Dank für deine umfangreiche und detaillierte Besprechung. Ich werde darauf voraussichtich erst morgen Abend antworten können.
Kerstin
@Adrian: Lieber Adrian, mit dem Untergang der DDR hat sich zumindest gezeigt, dass die Utopie, so wie sie umgesetzt werden sollte, nicht realisierbar war und dabei oder in ihrem Namen sogar vielen Menschen Schlimmstes zugefügt wurde. Man darf aber trotzdem nicht alles schlechtreden. Es gab auch in diesem System durchaus gute Ansätze. Genannt werden muss da beispielsweise das Schulsystem. Und es gäbe weitere Punkte, die man aufführen könnte.
Ich habe meine ersten 25 Lebensjahre dort verbracht und bin in gewissem Maße natürlich auch von den Verhältnissen geprägt worden, die selbstverständlich einen Anteil daran haben, was und wer ich heute bin.
Danke für das verlinkte Bild. Es ist sehr interessant. Ich muss es mir noch in Ruhe ansehen.
Utopia Award: Danke! Na ja ;-)), das Bild hätte doch nicht einmal eine Chance, in der Galerie zu landen - das wissen wir doch bereits aus Erfahrung :-))).
Übrigens hatte ich mir einmal angesehen, wer da im letzten Jahr gewonnen hat. Es ist eine Dame, die sozusagen Tupperparties für Ökostromanbieter durchgeführt hat. Lobenswert. Nur betrachtet man die großen Stromanbieter, haben sie daran eigentlich nicht wirklich viel Interesse. Gemacht wird nur, was Profit abzuwerfen verspricht. Ich hatte unter Carstens Bild einen Artikel verlinkt, der darauf hiweist:
Grüße. Kerstin
@Karl-Dieter Frost: Lieber KD, zuerst einmal herzlichen Dank für deine schöne Besprechung.
Natürlich war es kein Zufall, dass ich das Bild am Europawahl-Tag eingestellt habe. Die Gedankengänge, die Du hier so wunderbar ausführst, gehörten zu meinem Grundansatz für das Bild. Du hast das so treffend beschrieben, dass ich dem nichts hinzufügen muss. Danke dafür!
Grüße. Kerstin
@Hendrik Schuld: Lieber Hendrik, so muss es nicht unbedingt gesehen werden. Grundsätzlich ist eine Utopie etwas Erstrebenswertes. Auch wir haben im Alltag unsere kleinen Utopien, die uns vorangehen lassen. Und auch im Bild gibt es ja einen Lichtstreifen, den man vielleicht mit Positivem verbinden kann. Aber betrachtet man Utopien vor historischem Hintergrund, wäre diese Sichtweise durchaus möglich.
Grüße. Kerstin
@Volker Hilarius: Das mit dem Ort ist zwar ein Zufall und dass es einen Bezug zum Bild ergeben könnte, habe ich auch erst aufgrund der Anmerkung von Peter bemerkt, aber schön ist die Idee natürlich ;-)).
Danke für das Lob! Gruß. Kerstin
@Stefan Adam: Lieber Stefan, ja, so ist es wohl. Andererseits kann man vielleicht unterstellen, dass die schöne Vorstellung von einem Utopia, von Idealen, Visionen oder wie man es nennen will auch bewusst von einigen benutzt wurden, um sich eine Machtposition zu verschaffen.
Grüße. Kerstin
Liebe Kerstin, schön, dass sich im Jahr dreier bedeutsamer Jubiläen der deutschen Geschichte – 2000 Jahre Varusschlacht, 60 Jahre Grundgesetz und 20 Jahre Ende der DDR – auch andere Bildautoren mit dem einen oder anderen der mit diesen Jubiläen verbundenen Themen befassen. Just mein nächstes Bild sollte das gleiche Thema haben wie dieses ;-), aber es kann noch etwas warten, und ich werde dann beim nächsten Mal eine Blume zu einem Thema einstellen, das mit diesem nichts zu tun hat. Und es gab auch bereits früher Bilder zu der von Dir hier angesprochenen Thematik.
„Das Land der Dichter und Denker!“ „Das Land der Richter und Henker!“ Nun muss man aber auch sehen, dass im „Land der Dichter und Denker“ oder im „Land der Kultur“, wie es die kulturbeflissene Mutter Marcel R.-R.s ihrem Sohn nahebringen wollte, den sie nach Deutschland schickte, bis zu dieser Zeit nur eine relativ kleine Bildungselite existierte. Diese bildungsbürgerliche Schicht, die natürlich zur Zeit Goethes noch viel kleiner war, stand der breiten Masse des Volkes gegenüber, die da in Volksschulen oder Realschulen ausgebildet worden war. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schloss sich an die Volksschule – zu mehr reichte bei vielen Familien einfach das Geld nicht – ein Jahr in „Stellung“ auf dem Bauernhof oder eine Lehre und sodann der Beruf an. Meine Mutter war 14 Jahre alt, als Hitler an die Macht gelassen wurde. Woher sollten diese gutwilligen, aber teilweise völlig ahnungslosen Menschen, die Generation unserer Väter und Großväter, Mütter und Großmütter, die geistigen Maßstäbe nehmen, um die Utopien zu beurteilen, die in damaliger Zeit von „links“ oder „rechts“ vertreten wurden?
Wobei ich eigentlich nur die „linken“ Ansätze für Utopien halte, nicht die rechten. Und ähnlich war es natürlich auch in anderen Ländern, die im 20. Jahrhundert in den Sog der Diktatur gerieten. Wir müssen also, was die Utopie betrifft, von der „linken“ Diktatur sprechen, nicht von der rechten. Die Basis der rechten Diktatur ist keine Utopie, sondern das Böse, das gefällig-widerlich verpackt, unterschwellig an das Böse im Menschen appelliert. Bei der rechten Diktatur erzeugt die unmenschliche Basis im Extremfall eine Gesellschaft, die im Massenmord endet. Bei der linken Diktatur wird die Utopie zum Instrument einer machtversessenen Clique. Auch das kann, wie unter Stalin, Mao oder Pol Pot, so enden wie die rechte Diktatur. Wenn man „Glück“ hat, hält sich der Terror in gewissen Grenzen, und wer brav ist, hat keine Probleme. Wer nicht brav war, wurde
So war es wohl in der DDR.
Am Anfang aller linken Diktatur und Tyrannei steht die Utopie. Das erscheint zunächst als eine unsinnige Aussage, und theoretisch ist sie das auch. Denn die Utopie will den bestehenden, als unzureichend empfundenen politischen, gesellschaftlichen und materiellen Verhältnissen das Idealbild einer Gesellschaft vorhalten, in dem alle diese Mängel nicht mehr bestehen. Ich wage auch zu behaupten, dass die Philosophen, die solche Utopien ersinnen, ob sie nun Thomas Morus heißen oder Karl Marx, im Kern Menschenfreunde sind, die tatsächlich etwas Besseres wollen als das Bestehende. Die Frage ist nur, ob die Menschenfreunde auch den Menschen kennen, so wie er ist – das ist bei Thomas Morus offenbar nicht der Fall, und bei Karl Marx auch nicht. Und was aus der leuchtenden Theorie in den Händen eines Lenin, Stalin, Ulbricht, Honecker wird.
Dabei hätte gleich die erste Utopie des christlichen Europa, die Erzählungen „Genesis“ und „Exodus“ in der Bibel, eine Warnung sein müssen. Denn die Utopie des Garten Eden läuft darauf hinaus, dass der Mensch hier nur leben kann, wenn er die intellektuelle und moralische Verantwortung für dieses Leben an Gott delegiert, selbst aber nicht weiß, was das Gute und was das Böse ist. Es muss doch auffallen, dass der Erwerb dieser Erkenntnis mit der Vertreibung aus dem Paradies verbunden ist. Und mit dem Tod. Nun kann man diese Geschichte – wir sprachen unter dem Bild
darüber – als Parabel auf die Menschwerdung des Menschen verstehen. Die Loslösung vom bewusstlosen natürlichen Leben des Affen und das Gewinnen von Einsicht schaffen den Menschen, aber um den Preis, dass es für ihn das „Paradies“ des naturhaften Lebens nicht mehr geben kann. Er muss jetzt seine Feldfrüchte und sonstige Nahrung selbst anbauen oder sich verschaffen – im Schweiße seines Angesichts.
„Im Schweiße seines Angesichts“ – das gilt natürlich auch für die Schaffung von Gesellschaftsformen, also den gesellschaftlichen, politischen, sozialen, materiellen Rahmen des individuellen Lebens. Alle diese überindividuellen Rahmen des Lebens sind nicht ein für allemal fertig, sondern wie bei dem Frosch, der da in der Milch strampelt und Butter erzeugt und so aus dem Bottich herauskommt, ein Spiegelbild beständiger, täglicher Arbeit daran. Die Basis dieser gemeinsamen Arbeit, dieses Ziehen des Drachens im Wind, so dass er oben bleibt und nicht abstürzt, muss nun einerseits die Natur des Menschen mit seinen menschlichen Bedürfnissen respektieren. Gleich sind wir nur insoweit, als wir alle Geschöpfe Gottes sind, woraus die Menschenrechte erwachsen. Die Basis aller gesellschaftlichen Bestrebungen kann nur die bedingungslose Anerkennung der Menschenrechte sein. Diese Menschenrechte sind auch nicht naturwüchsig, sondern Produkt einer langen europäischen Bildungsgeschichte im Namen Gottes. Sie sind jedenfalls, obwohl sie nicht vom Himmel gefallen sind wie die zehn Gebote, sondern von Menschen formuliert worden, die weisesten Grundsätze allen Zusammenlebens, die wir kennen. Ansonsten sind wir nicht gleich, und alle darüber hinausgehende Gleichmacherei ist wie das Bett des Prokrustes. Aber die Gleichmacherei ist in der Praxis auch nur schöner Schein.
Marx war vielleicht naiv oder stand jedenfalls, was seine Anschauungen betraf, im Bann der vorläufigen Einsichten seiner Zeit. In Wirklichkeit hat er mit dem, was später mit Hilfe seiner Theorien gemacht wurde, auch nicht viel zu tun. Vielmehr waren es im Kern einige machtbewusste Gestalten wie Lenin oder Stalin, die mittels dieser Theorien eine Diktatur einer Partei aufbauten, die die geschichtliche Wahrheit zu besitzen vorgab, in Wirklichkeit aber nur für die Angehörigen dieser Partei selbst Macht und Privilegien erstrebten. Wie sollten das naive und gutwillige Menschen, auch in der späteren DDR, begreifen, die wirklich zum Teil in der von außen gesehen völlig verrückten Illusion lebten, sie würden nun in historischer Stunde mithelfen, den Sozialismus aufzubauen? Auch Intellektuelle und Künstler lebten vielfach in diesem Traum; so stark konnte die schöne Utopie den machtpolitischen Kern der DDR in den ersten Jahren verdecken. Und auch nach außen hin, nicht nur nach innen, wurde gelogen, dass sich die Balken bogen, leider auch unterstützt von der hiesigen Presse. Letztens wurde wieder über Helmut Kohl gegiftet, weil er einmal sagte, man habe die DDR für wirtschaftlich viel stärker gehalten, als sie es war, so dass es mit den blühenden Landschaften nicht so schnell habe vorangehen können. Das Märchen von der zehntstärksten Industrienation der Welt wurde aber noch 1986 von der ZEIT in einer mehrteiligen Serie verbreitet.
Nun gut ... von außen ist vielleicht gut reden. Bereits das alte Hildebrandslied aus dem 8./9. Jahrhundert behandelt das Problem, dass man ein Leben nicht so einfach gegen die Umgebung aufbauen kann, sondern eher dazu neigt, sich dieser Umgebung einzupassen und das Beste daraus zu machen. Das ist offenbar eine alte psychologische Erkenntnis. Und so tritt dann dem Vater, der seine Frau und den ungeborenen Sohn vor dreißig Jahren auf der Flucht mit Theoderich vor dem Usurpator Odoaker verlassen musste, sein Sohn als Vorkämpfer des gegnerischen Heeres entgegen, als er nach dreißig Jahren mit dem Heer Theoderichs nach Italien zurückkommt. Er hat also bei seinem Todfeind Karriere gemacht. Und in dem Gespräch der beiden vor dem Kampf wird dem Vater klar, dass der Sohn aus diesem Leben nicht mehr herauskann. Sie müssen also kämpfen.
So haben auch die allermeisten, die keine Dissidenten waren, sich mit dem System ihres Landes arrangiert und ihr Leben in ihm aufgebaut. Auch wenn dieses Leben vielleicht objektiv das Zerrbild eines selbstbestimmten Lebens war, so, wie Du es in der Spiegelung zeigst. Dieses Zerrbild nach der Wende anzunehmen, fiel vielen schwer. Sehr schwer. Manche schafften es auch gar nicht oder bis heute nicht. Es ist eine großartige persönliche Leistung vieler Mitmenschen, in dieses Zerrbild geblickt und sich ihm gestellt zu haben. Und versucht und geschafft zu haben, dass aus dem Zerrbild dieser Existenz wieder ein Bild wurde, das man als Mensch im Spiegel erkennen konnte, vor allem vor dem inneren Spiegel. Denn es nützt oft wenig, wenn einem Andere diesen Spiegel vorhalten. Man muss ihn selbst in die Hand nehmen. Eckhard
Eine Utopie ist ein Traum , eine idealisierte Welt , der Kommunismus hat aus Idealismus eine utopische Ideologie geschaffen, die bei der Umsetzung ein grauer Alptraum geworden ist. (Adrian Kowollik) :-)))
Allerdings ein Motto „Kauf Dir eine bessere Welt“, des Internetportals Utopia AG http://www.utopia.de/utopia ,verspricht auch nicht eine ideal ausgemalte Zukunft der Gesellschaft.
Liebe Kerstin Deine Arbeit würde ich sofort für den Utopia Award vorschlagen http://award.utopia.de/
Bis zum nächsten Bild ;-)
Liebe Kerstin, sicher ist Dein Grundansatz für dieses Foto ein anderer, aber da Du es am Beginn des Europawahl-Tages eingestellt hast und Dein letztes Bezugsbild „eine Wahl haben“ heißt, möchte ich in diese Richtung reflektieren.
„Eine Utopie …. ist eine Wunschvorstellung, die sich dadurch auszeichnet, dass sie zwar denkbar und in vielen Fällen wünschenswert, vor dem jeweiligen historisch-kulturellen Hintergrund jedoch in vielen Fällen (noch) nicht oder nicht mehr realisierbar ist.“ (Wiki)
Visionäre Politiker haben erkannt, dass ein friedliches Zusammenleben in Europa am besten durch ein enges Bündnisgeflecht gewährleistet ist, das irgendwann (vielleicht) einmal in einer totalen politischen Vereinigung enden soll. Die Entwicklungsschritte dahin waren zur Zeit der Bildung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1951 (Schuman-Plan, Montanunion) sicherlich nur als ein schier utopisches Unterfangen vorstellbar.
So sind gerade manche Fehlentwicklungen, schlechte Kompromisse, eine kaum durchschaubare politische Struktur sowie die Individualitätsbedürfnisse und das wirtschaftliche Gefälle der vielen Mitgliedstaaten permanente Hemmnisse, aus dieser Vision ein reales Gebilde werden zu lassen. Den einzelnen Bürgern ist dabei auch das Hemd meist näher als der Rock, und so stehe ich Volksentscheiden in dieser Thematik sehr skeptisch gegenüber, obwohl es überaus reichlich Ansätze zu Kritik gibt. Da gibt es also noch reichlich viele Baustellen.
Zum Glück ist Deutschland in dieser Sache auch auf einem guten Weg, und so kann auch von Deinem visionären Foto vom Potsdamer Platz in diese Blickrichtung ein Impuls ausgehen, noch immer mit Zweifeln behaftet aber doch sehr hoffnungsvoll, dass ein politisch handlungsfähiges vereintes Europa das kleinstaatliche Denken überwunden hat und den veränderten Randbedingungen der globalen Anforderungen gerecht wird.
Vielleicht formen sich die spiegelnden Zerrbilder ja irgendwann einmal zu einer konkreten Konstellation --- obwohl sie mir für dieses Foto selbst so am besten erscheinen wie sie sind!
@Sabine Jandl-Jobst: Liebe Sabine: den Eindruck "spacig" hatte ich wohl irgendwie auch; so bin ich auf die Idee mit 'Utopia' gekommen.
Was den Text betrifft, der ja ein Auszug aus einem Roman ist, der in den Verhälnissen in der DDR in den Jahren vor der politischen Wende spielt, waren es für die Menschen dort schon teilweise große Sorgen, mit denen sie zurechtkommen mussten und die bis hin zu Verfolgung und Inhaftierung reichten.
Das Bild soll aber auch andere Betrachtungsmöglichkeiten offenlassen.
Liebe Grüße. Kerstin
Kerstin Stolzenburg 11/06/2009 9:14
@Eckhard: Lieber Eckhard, was die von Dir genannten Jubiläen betrifft, so ist es ja durchaus auch interessant zu versuchen, sich einmal fotografisch mit ihnen auseinanderzusetzen, was allerdings voraussetzt, dass man sich selbst mit den historischen und aktuellen Zusammenhängen befassen möchte. Das zur Diskussion gestellte Bild ist diesbezüglich nicht geplant entstanden und geriet, anders als manche, bereits gedanklich mit einem Veröffentlichungsdatum verknüpften Aufnahmen, wie erst beim Durchsehen des Festplatteninhalts in den entsprechenden Fokus.Die Ahnungslosigkeit, die Du ansprichst, die zu der Zeit sicherlich zu einem großen Teil den materiellen Möglichkeiten und der damit verbundenen eingeschränkten Bildung geschuldet war, hat die Menschen schon immer formbar für die Utopien Einzelner gemacht. (Natürlich könnten zusätzlich auch andere Kriterien genannt werden: Not, Hunger, Elend beispielsweise.) Man sollte sich jedoch bewusst sein, dass Versuche, Menschen ‚auszurichten‘, sie für bestimmte Interessen zu nutzen, heute nicht grundsätzlich anders ablaufen, vielleicht nur geschickter verpackt werdenals dies im historischen Kontext erscheint. Im Kleinen beginnt die Manipulation bereits mit der permanenten Werbung oder der leisen Hintergrundmusik, die im Supermarkt spielt. Auch im Zeitalter der größtmöglichen Informationsmöglichkeiten, des Internets, der Bibliotheken, der jedem offen stehenden Bildungseinrichtungen ist es mit der Allgemeinbildung in breiten Bevölkerungsschichten nicht immer gut bestellt. Von der zusätzlichen, vielleicht sogar gesteuerten ‚Verdummung‘, wie sie täglich in manchen Fernsehprogrammen oder in bestimmten Presseerzeugnissen zu finden ist, gar nicht zu sprechen. Sich nicht unreflektiert zum Teil einer Matrix machen zu lassen, ganz gleich, wie diese ausgerichtet sein mag, ist möglicherweise der mühevollere Weg, sollte jedoch für jeden ein persönliches Anliegen sein.
Dem, was Du zu ‚linken‘ bzw. ‚rechten‘ Ansätzen für Utopien ausführst, kann ich mich eigentlich nur anschließen; das sehe ich auch so.
Danke für das Bild ‚Vorgeladen‘. Ich finde es sehr interessant; es ist ein schönes Sinnbild für die Macht, für den Menschen, der der Übermacht gegenübersteht bzw. für die Matrix selbst ;-).
Schön, dass Du das alte Hildebrandslied in diesem Kontext ansprichst. Nun bin ich zwar, was die Interpretation dieses Textes betrifft, absoluter Laie und weiß, dass es in der Forschung ausführlich untersucht wurde, wahrscheinlich immer noch wird; interessant fand ich jedoch, dass jüngere Fassungen wohl nicht mehr ausschließlich mit dem Tod Hadubrands enden, sondern sich Vater und Sohn rechtzeitig erkennen. Auch dieser Ansatz könnte für die grundsätzliche Interpretation des Bildes wertvoll sein.
Nun, das selbstbestimmte Leben in diesem Land war bis zu einem gewissen Grad schon möglich, aber es stieß rasch an Grenzen, wenn man mehr als das ‚Einfache‘ bzw. Angepasste wollte. Das begann schon bei so ’normalen‘ Bedürfnissen, wie dem Kauf von Büchern. Als ich in Berlin studierte, gab es dort eine kleine Buchhandlung in der Nähe meines Instituts – ich fuhr dort jeden Tag mit dem Bus vorbei. Sah man draußen vor dem Laden eine Menschenschlange stehen, musste man unbedingt an der nächsten Haltestelle aussteigen, zurücklaufen und sich anstellen. Das war sozusagen lebensnotwendig, denn ganz gleich, welches Buch es war, was dort über den Ladentisch ging, es war immer ein gutes Buch, und besaß man es vielleicht schon, so wurde es verschenkt oder getauscht. In der Provinz war es ja noch schwieriger, an solche 'Schätze' zu gelangen ... Aus heutiger Sicht betrachtet, mutet das einfach unmöglich an; jetzt geht man in die Bibliotheken, bestellt notfalls über Fernleihe oder kauft online, was man möchte oder braucht und nach ein paar Tagen ist es in der Post. Eine Normalität, von der man damals in vielen Bereichen weit entfernt war und die einem als erstrebenswerter, aber unerreichbarer Luxus erschien.
Natürlich umfasst selbstbestimmtes Leben mehr als das; Meinungsfreiheit beispielsweise. Vor diesem Hintergrund kann man die Selbstbestimmung in diesem System völlig streichen. Hier musste man sich anpassen und das Zerrbild akzeptieren, dessen man sich in der Regel sehr bewusst war, wenn man nicht ein Leben mit Repressalien führen wollte; und wer hätte voraussagen können, dass die Mauer bereits nach relativ kurzer Zeit wieder fällt.
Es ist notwendig, auch nach 20 Jahren noch, das Zerrbild zu betrachten, um zu verstehen, wie es zustande kam und was dahintersteckte, übrigens auch im Vergleich der historischen und wirtschaftlichen Entwicklung beider deutscher Staaten. Denn wäre der Aufschwung und das freiheitliche Denken im Westteil Deutschlands genauso verlaufen, wenn es beispielsweise den Marshallplan nicht gegeben hätte? Für eine Beurteilung muss man viele Kriterien heranziehen. Und zu einem Ergebnis zu kommen, scheint gar nicht so einfach zu sein, wie man auch den Medien immer wieder entnehmen kann. Ein aktuelles Beispiel hatte ich unter Pascals Bildaufgeführt.
Wichtig erscheint mir in der Tat, dass sich die Menschen den Spiegel selbst vorhalten, sich dem Zerrbild stellen; denn nur, wenn dieser Wille vorhanden ist, kann man auch Einsichten und klare Bilder gewinnen.
Das gilt, aus dem historischen Kontext herausgelöst, auch für aktuelle Entwicklungen. Das Bild ‚Eine Wahl haben‘ deutet diesbezüglich nicht nur auf Möglichkeiten, sondern auch auf eine gewisse Verpflichtung und auf die Verantwortung jedes Einzelnen hin.
Kerstin
Kerstin Stolzenburg 09/06/2009 7:55
@Eckhard: Lieber Eckhard, herzlichen Dank für deine umfangreiche und detaillierte Besprechung. Ich werde darauf voraussichtich erst morgen Abend antworten können.Kerstin
Kerstin Stolzenburg 09/06/2009 7:51
@Adrian: Lieber Adrian, mit dem Untergang der DDR hat sich zumindest gezeigt, dass die Utopie, so wie sie umgesetzt werden sollte, nicht realisierbar war und dabei oder in ihrem Namen sogar vielen Menschen Schlimmstes zugefügt wurde. Man darf aber trotzdem nicht alles schlechtreden. Es gab auch in diesem System durchaus gute Ansätze. Genannt werden muss da beispielsweise das Schulsystem. Und es gäbe weitere Punkte, die man aufführen könnte.Ich habe meine ersten 25 Lebensjahre dort verbracht und bin in gewissem Maße natürlich auch von den Verhältnissen geprägt worden, die selbstverständlich einen Anteil daran haben, was und wer ich heute bin.
Danke für das verlinkte Bild. Es ist sehr interessant. Ich muss es mir noch in Ruhe ansehen.
Utopia Award: Danke! Na ja ;-)), das Bild hätte doch nicht einmal eine Chance, in der Galerie zu landen - das wissen wir doch bereits aus Erfahrung :-))).
Übrigens hatte ich mir einmal angesehen, wer da im letzten Jahr gewonnen hat. Es ist eine Dame, die sozusagen Tupperparties für Ökostromanbieter durchgeführt hat. Lobenswert. Nur betrachtet man die großen Stromanbieter, haben sie daran eigentlich nicht wirklich viel Interesse. Gemacht wird nur, was Profit abzuwerfen verspricht. Ich hatte unter Carstens Bild einen Artikel verlinkt, der darauf hiweist:
Grüße. Kerstin
Kerstin Stolzenburg 09/06/2009 7:34
@Karl-Dieter Frost: Lieber KD, zuerst einmal herzlichen Dank für deine schöne Besprechung.Natürlich war es kein Zufall, dass ich das Bild am Europawahl-Tag eingestellt habe. Die Gedankengänge, die Du hier so wunderbar ausführst, gehörten zu meinem Grundansatz für das Bild. Du hast das so treffend beschrieben, dass ich dem nichts hinzufügen muss. Danke dafür!
Grüße. Kerstin
Kerstin Stolzenburg 09/06/2009 7:08
@Hendrik Schuld: Lieber Hendrik, so muss es nicht unbedingt gesehen werden. Grundsätzlich ist eine Utopie etwas Erstrebenswertes. Auch wir haben im Alltag unsere kleinen Utopien, die uns vorangehen lassen. Und auch im Bild gibt es ja einen Lichtstreifen, den man vielleicht mit Positivem verbinden kann. Aber betrachtet man Utopien vor historischem Hintergrund, wäre diese Sichtweise durchaus möglich.Grüße. Kerstin
Kerstin Stolzenburg 09/06/2009 7:08
@Volker Hilarius: Das mit dem Ort ist zwar ein Zufall und dass es einen Bezug zum Bild ergeben könnte, habe ich auch erst aufgrund der Anmerkung von Peter bemerkt, aber schön ist die Idee natürlich ;-)).Danke für das Lob! Gruß. Kerstin
Kerstin Stolzenburg 09/06/2009 7:07
@Manfred J., BiSa und Maria João Marques: Danke! LG. KerstinKerstin Stolzenburg 09/06/2009 7:07
@Stefan Adam: Lieber Stefan, ja, so ist es wohl. Andererseits kann man vielleicht unterstellen, dass die schöne Vorstellung von einem Utopia, von Idealen, Visionen oder wie man es nennen will auch bewusst von einigen benutzt wurden, um sich eine Machtposition zu verschaffen.Grüße. Kerstin
Tassos Kitsakis 09/06/2009 0:23
Die Idee der Verbindung zum Text und ihre photographische Realisation, waren es wert…LG Tassos
E. W. R. 08/06/2009 19:27
Liebe Kerstin, schön, dass sich im Jahr dreier bedeutsamer Jubiläen der deutschen Geschichte – 2000 Jahre Varusschlacht, 60 Jahre Grundgesetz und 20 Jahre Ende der DDR – auch andere Bildautoren mit dem einen oder anderen der mit diesen Jubiläen verbundenen Themen befassen. Just mein nächstes Bild sollte das gleiche Thema haben wie dieses ;-), aber es kann noch etwas warten, und ich werde dann beim nächsten Mal eine Blume zu einem Thema einstellen, das mit diesem nichts zu tun hat. Und es gab auch bereits früher Bilder zu der von Dir hier angesprochenen Thematik.„Das Land der Dichter und Denker!“ „Das Land der Richter und Henker!“ Nun muss man aber auch sehen, dass im „Land der Dichter und Denker“ oder im „Land der Kultur“, wie es die kulturbeflissene Mutter Marcel R.-R.s ihrem Sohn nahebringen wollte, den sie nach Deutschland schickte, bis zu dieser Zeit nur eine relativ kleine Bildungselite existierte. Diese bildungsbürgerliche Schicht, die natürlich zur Zeit Goethes noch viel kleiner war, stand der breiten Masse des Volkes gegenüber, die da in Volksschulen oder Realschulen ausgebildet worden war. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schloss sich an die Volksschule – zu mehr reichte bei vielen Familien einfach das Geld nicht – ein Jahr in „Stellung“ auf dem Bauernhof oder eine Lehre und sodann der Beruf an. Meine Mutter war 14 Jahre alt, als Hitler an die Macht gelassen wurde. Woher sollten diese gutwilligen, aber teilweise völlig ahnungslosen Menschen, die Generation unserer Väter und Großväter, Mütter und Großmütter, die geistigen Maßstäbe nehmen, um die Utopien zu beurteilen, die in damaliger Zeit von „links“ oder „rechts“ vertreten wurden?
Wobei ich eigentlich nur die „linken“ Ansätze für Utopien halte, nicht die rechten. Und ähnlich war es natürlich auch in anderen Ländern, die im 20. Jahrhundert in den Sog der Diktatur gerieten. Wir müssen also, was die Utopie betrifft, von der „linken“ Diktatur sprechen, nicht von der rechten. Die Basis der rechten Diktatur ist keine Utopie, sondern das Böse, das gefällig-widerlich verpackt, unterschwellig an das Böse im Menschen appelliert. Bei der rechten Diktatur erzeugt die unmenschliche Basis im Extremfall eine Gesellschaft, die im Massenmord endet. Bei der linken Diktatur wird die Utopie zum Instrument einer machtversessenen Clique. Auch das kann, wie unter Stalin, Mao oder Pol Pot, so enden wie die rechte Diktatur. Wenn man „Glück“ hat, hält sich der Terror in gewissen Grenzen, und wer brav ist, hat keine Probleme. Wer nicht brav war, wurde
So war es wohl in der DDR.
Am Anfang aller linken Diktatur und Tyrannei steht die Utopie. Das erscheint zunächst als eine unsinnige Aussage, und theoretisch ist sie das auch. Denn die Utopie will den bestehenden, als unzureichend empfundenen politischen, gesellschaftlichen und materiellen Verhältnissen das Idealbild einer Gesellschaft vorhalten, in dem alle diese Mängel nicht mehr bestehen. Ich wage auch zu behaupten, dass die Philosophen, die solche Utopien ersinnen, ob sie nun Thomas Morus heißen oder Karl Marx, im Kern Menschenfreunde sind, die tatsächlich etwas Besseres wollen als das Bestehende. Die Frage ist nur, ob die Menschenfreunde auch den Menschen kennen, so wie er ist – das ist bei Thomas Morus offenbar nicht der Fall, und bei Karl Marx auch nicht. Und was aus der leuchtenden Theorie in den Händen eines Lenin, Stalin, Ulbricht, Honecker wird.
Dabei hätte gleich die erste Utopie des christlichen Europa, die Erzählungen „Genesis“ und „Exodus“ in der Bibel, eine Warnung sein müssen. Denn die Utopie des Garten Eden läuft darauf hinaus, dass der Mensch hier nur leben kann, wenn er die intellektuelle und moralische Verantwortung für dieses Leben an Gott delegiert, selbst aber nicht weiß, was das Gute und was das Böse ist. Es muss doch auffallen, dass der Erwerb dieser Erkenntnis mit der Vertreibung aus dem Paradies verbunden ist. Und mit dem Tod. Nun kann man diese Geschichte – wir sprachen unter dem Bild
darüber – als Parabel auf die Menschwerdung des Menschen verstehen. Die Loslösung vom bewusstlosen natürlichen Leben des Affen und das Gewinnen von Einsicht schaffen den Menschen, aber um den Preis, dass es für ihn das „Paradies“ des naturhaften Lebens nicht mehr geben kann. Er muss jetzt seine Feldfrüchte und sonstige Nahrung selbst anbauen oder sich verschaffen – im Schweiße seines Angesichts.
„Im Schweiße seines Angesichts“ – das gilt natürlich auch für die Schaffung von Gesellschaftsformen, also den gesellschaftlichen, politischen, sozialen, materiellen Rahmen des individuellen Lebens. Alle diese überindividuellen Rahmen des Lebens sind nicht ein für allemal fertig, sondern wie bei dem Frosch, der da in der Milch strampelt und Butter erzeugt und so aus dem Bottich herauskommt, ein Spiegelbild beständiger, täglicher Arbeit daran. Die Basis dieser gemeinsamen Arbeit, dieses Ziehen des Drachens im Wind, so dass er oben bleibt und nicht abstürzt, muss nun einerseits die Natur des Menschen mit seinen menschlichen Bedürfnissen respektieren. Gleich sind wir nur insoweit, als wir alle Geschöpfe Gottes sind, woraus die Menschenrechte erwachsen. Die Basis aller gesellschaftlichen Bestrebungen kann nur die bedingungslose Anerkennung der Menschenrechte sein. Diese Menschenrechte sind auch nicht naturwüchsig, sondern Produkt einer langen europäischen Bildungsgeschichte im Namen Gottes. Sie sind jedenfalls, obwohl sie nicht vom Himmel gefallen sind wie die zehn Gebote, sondern von Menschen formuliert worden, die weisesten Grundsätze allen Zusammenlebens, die wir kennen. Ansonsten sind wir nicht gleich, und alle darüber hinausgehende Gleichmacherei ist wie das Bett des Prokrustes. Aber die Gleichmacherei ist in der Praxis auch nur schöner Schein.
Marx war vielleicht naiv oder stand jedenfalls, was seine Anschauungen betraf, im Bann der vorläufigen Einsichten seiner Zeit. In Wirklichkeit hat er mit dem, was später mit Hilfe seiner Theorien gemacht wurde, auch nicht viel zu tun. Vielmehr waren es im Kern einige machtbewusste Gestalten wie Lenin oder Stalin, die mittels dieser Theorien eine Diktatur einer Partei aufbauten, die die geschichtliche Wahrheit zu besitzen vorgab, in Wirklichkeit aber nur für die Angehörigen dieser Partei selbst Macht und Privilegien erstrebten. Wie sollten das naive und gutwillige Menschen, auch in der späteren DDR, begreifen, die wirklich zum Teil in der von außen gesehen völlig verrückten Illusion lebten, sie würden nun in historischer Stunde mithelfen, den Sozialismus aufzubauen? Auch Intellektuelle und Künstler lebten vielfach in diesem Traum; so stark konnte die schöne Utopie den machtpolitischen Kern der DDR in den ersten Jahren verdecken. Und auch nach außen hin, nicht nur nach innen, wurde gelogen, dass sich die Balken bogen, leider auch unterstützt von der hiesigen Presse. Letztens wurde wieder über Helmut Kohl gegiftet, weil er einmal sagte, man habe die DDR für wirtschaftlich viel stärker gehalten, als sie es war, so dass es mit den blühenden Landschaften nicht so schnell habe vorangehen können. Das Märchen von der zehntstärksten Industrienation der Welt wurde aber noch 1986 von der ZEIT in einer mehrteiligen Serie verbreitet.
Nun gut ... von außen ist vielleicht gut reden. Bereits das alte Hildebrandslied aus dem 8./9. Jahrhundert behandelt das Problem, dass man ein Leben nicht so einfach gegen die Umgebung aufbauen kann, sondern eher dazu neigt, sich dieser Umgebung einzupassen und das Beste daraus zu machen. Das ist offenbar eine alte psychologische Erkenntnis. Und so tritt dann dem Vater, der seine Frau und den ungeborenen Sohn vor dreißig Jahren auf der Flucht mit Theoderich vor dem Usurpator Odoaker verlassen musste, sein Sohn als Vorkämpfer des gegnerischen Heeres entgegen, als er nach dreißig Jahren mit dem Heer Theoderichs nach Italien zurückkommt. Er hat also bei seinem Todfeind Karriere gemacht. Und in dem Gespräch der beiden vor dem Kampf wird dem Vater klar, dass der Sohn aus diesem Leben nicht mehr herauskann. Sie müssen also kämpfen.
So haben auch die allermeisten, die keine Dissidenten waren, sich mit dem System ihres Landes arrangiert und ihr Leben in ihm aufgebaut. Auch wenn dieses Leben vielleicht objektiv das Zerrbild eines selbstbestimmten Lebens war, so, wie Du es in der Spiegelung zeigst. Dieses Zerrbild nach der Wende anzunehmen, fiel vielen schwer. Sehr schwer. Manche schafften es auch gar nicht oder bis heute nicht. Es ist eine großartige persönliche Leistung vieler Mitmenschen, in dieses Zerrbild geblickt und sich ihm gestellt zu haben. Und versucht und geschafft zu haben, dass aus dem Zerrbild dieser Existenz wieder ein Bild wurde, das man als Mensch im Spiegel erkennen konnte, vor allem vor dem inneren Spiegel. Denn es nützt oft wenig, wenn einem Andere diesen Spiegel vorhalten. Man muss ihn selbst in die Hand nehmen. Eckhard
E-Punkt 08/06/2009 16:45
@ Kerstinrichtig, erinnert tatsächlich
an Dali.
LG Elfi
Adrian K 08/06/2009 13:48
Eine Utopie ist ein Traum , eine idealisierte Welt , der Kommunismus hat aus Idealismus eine utopische Ideologie geschaffen, die bei der Umsetzung ein grauer Alptraum geworden ist. (Adrian Kowollik) :-)))Allerdings ein Motto „Kauf Dir eine bessere Welt“, des Internetportals Utopia AG http://www.utopia.de/utopia ,verspricht auch nicht eine ideal ausgemalte Zukunft der Gesellschaft.
Liebe Kerstin Deine Arbeit würde ich sofort für den Utopia Award vorschlagen
http://award.utopia.de/
Bis zum nächsten Bild ;-)
Grüße Adrian
Karl-Dieter Frost 08/06/2009 13:16
Liebe Kerstin, sicher ist Dein Grundansatz für dieses Foto ein anderer, aber da Du es am Beginn des Europawahl-Tages eingestellt hast und Dein letztes Bezugsbild „eine Wahl haben“ heißt, möchte ich in diese Richtung reflektieren.„Eine Utopie …. ist eine Wunschvorstellung, die sich dadurch auszeichnet, dass sie zwar denkbar und in vielen Fällen wünschenswert, vor dem jeweiligen historisch-kulturellen Hintergrund jedoch in vielen Fällen (noch) nicht oder nicht mehr realisierbar ist.“ (Wiki)
Visionäre Politiker haben erkannt, dass ein friedliches Zusammenleben in Europa am besten durch ein enges Bündnisgeflecht gewährleistet ist, das irgendwann (vielleicht) einmal in einer totalen politischen Vereinigung enden soll. Die Entwicklungsschritte dahin waren zur Zeit der Bildung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1951 (Schuman-Plan, Montanunion) sicherlich nur als ein schier utopisches Unterfangen vorstellbar.
So sind gerade manche Fehlentwicklungen, schlechte Kompromisse, eine kaum durchschaubare politische Struktur sowie die Individualitätsbedürfnisse und das wirtschaftliche Gefälle der vielen Mitgliedstaaten permanente Hemmnisse, aus dieser Vision ein reales Gebilde werden zu lassen. Den einzelnen Bürgern ist dabei auch das Hemd meist näher als der Rock, und so stehe ich Volksentscheiden in dieser Thematik sehr skeptisch gegenüber, obwohl es überaus reichlich Ansätze zu Kritik gibt. Da gibt es also noch reichlich viele Baustellen.
Zum Glück ist Deutschland in dieser Sache auch auf einem guten Weg, und so kann auch von Deinem visionären Foto vom Potsdamer Platz in diese Blickrichtung ein Impuls ausgehen, noch immer mit Zweifeln behaftet aber doch sehr hoffnungsvoll, dass ein politisch handlungsfähiges vereintes Europa das kleinstaatliche Denken überwunden hat und den veränderten Randbedingungen der globalen Anforderungen gerecht wird.
Vielleicht formen sich die spiegelnden Zerrbilder ja irgendwann einmal zu einer konkreten Konstellation --- obwohl sie mir für dieses Foto selbst so am besten erscheinen wie sie sind!
Gruß KD
Kerstin Stolzenburg 08/06/2009 12:44
@fbiomassimo und Adrena Lin: Lieber Fabio, liebe Andrea, vielen Dank! LG. KerstinKerstin Stolzenburg 08/06/2009 12:14
@Sabine Jandl-Jobst: Liebe Sabine: den Eindruck "spacig" hatte ich wohl irgendwie auch; so bin ich auf die Idee mit 'Utopia' gekommen.Was den Text betrifft, der ja ein Auszug aus einem Roman ist, der in den Verhälnissen in der DDR in den Jahren vor der politischen Wende spielt, waren es für die Menschen dort schon teilweise große Sorgen, mit denen sie zurechtkommen mussten und die bis hin zu Verfolgung und Inhaftierung reichten.
Das Bild soll aber auch andere Betrachtungsmöglichkeiten offenlassen.
Liebe Grüße. Kerstin