@E-Punkt: Liebe Elfi, danke!
Du hast übrigens völlig recht. Als ich neulich das Vorschaubild betrachtete, musste ich ebenfalls bereits an eine stilisierte Darstellung des Kolosseums in Rom denken.
Liebe Grüße. Kerstin
... Verlobung, Beziehung, 1926 ... Wenn auch 16 Jahre später, lässt mich das natürlich sogleich an ein sehr interessantes Buch von Arthur Bremer denken, in dem ich gerade lese: „Die Welt in 100 Jahren“ (1910). Du hattest darauf unter deinem Bild
hingewiesen. Unter anderem beschäftigt sich da Ellen Key mit der Frage „Die Frau in hundert Jahren“ und ein paar Seiten weiter Dora Dyx mit der These „Die Frau und die Liebe“. Überaus interessant und zum Teil auch recht „abgedreht“ ;-).
„Ellen Keys Aufsatz ‚Die Frau in hundert Jahren‘ wartet mit allerlei Wundern der Zukunft auf, wie einer Landwirtschaft, die jetzt in chemischen Fabriken betrieben wird. Kinder werden gleich nach der Geburt in Kinderheimen abgegeben, man hat noch keine Methode gefunden, wie man sich ohne Elternschaft fortpflanzen kann, aber das Kinderzeugen und Kinderkriegen wird von Freiwilligen besorgt, unter denen die Geeignetsten gepaart werden. Die Krankheit ‚Individualitäts- und Originalitätssucht‘ ist durch eine Zwangsimpfung beseitigt worden. Der Tagesablauf, ob von Mann oder Frau, umfasst sechs Stunden Schlaf, sechs Stunden elektrisches Knöpfedrücken, sechs Stunden im Parlament und sechs Stunden Gesellschaftsleben. Die Parlamente tagen dauernd, bei den Sitzungen wird jede Einzelheit des täglichen Lebens bestimmt; am Sonntag gibt es statt dem Gottesdienst soziale Vorträge. Die Universitätsstudien mit ihren gefährlichen freiheitlichen Bestrebungen sind abgeschafft, der normale Unterricht dauert bis dreißig, nach der Schule rührt keiner mehr ein Buch ein, liest nur noch die illustrierten Annoncenbeilagen der Zeitungen. ‚Heim‘ bedeutet jetzt Schlafstelle. Männer und Frauen unterschieden sich kaum noch, beim Zusammentreffen beschäftigt man sich mit dem Austausch sozialallgemeinmenschlicher Gedanken. 2009 bricht dann eine Revolution aus, welche die alten Zustände wieder herstellt.
Vernünftiger ist da schon Dora Dyx ‚Die Frau und die Liebe (in hundert Jahren)‘. Sie unterscheidet drei Hauptformen der ‚Liebe‘, die Ehe, die Prostitution und die freie Liebe. Die Ehe ist vor allem zur Versorgung geworden, und dass die Liebe sich in einer Vernunftehe später einstellt, ist oft nur fromme Hoffnung. In Zukunft wird man einfach die Tatsache registrieren, dass zwei Menschen eine Gemeinschaft geschlossen haben, ‚die auf der Harmonie der Seelenschwingungen beruht‘. Das ist der einzige Grund, und der Zweck der Ehe sind die Kinder. ‚Die Liebe ist die Zuchtwahl in edlerem Sinne und in diesem veredelndem Sinne wird die Liebe künftig geübt werden‘. Es wird keinen Vorzug der Geburt mehr geben, es wird das Reich der Liebe sein, in dem das Glück der Kindheit herrscht, und ‚man wird über unser Jahrhundert als das Jahrhundert der Lieblosigkeit, Grausamkeit und Härte stillschweigend hinweggehen.‘ ‚Die Liebe von heute ist auf Betrug, Enttäuschung und materielle Interessen aufgebaut.‘. Diese Autorin sieht einen Zustand voraus, der dem der heutigen Lebensabschnittspartnerschaften ähnelt.“ http://www.literra.info/rezensionen/rezension.php?id=3213&PHPSESSID=whqjbzwp
„Im Jahr 2010 werde die Liebe anhand der ‚Radioaktivität der Seele‘ gemessen: Eine verschrobene Idee mit wahrem Kern. Heute soll ein Gentest zeigen, wer zu wem passt.“ http://www.zeit.de/wissen/2010-02/liebe-gentest-partnerwahl
Die Frage des Ausnutzens und des Ausgenutz- und Benutztwerdens (z.B. Frieda, Barnabas-Familie) erscheint mir im Roman eine sehr zentrale Frage zu sein und ließe sich auch vom heutigen Standpunkt aus gewiss trefflich diskutieren.
„Stadt der Verheißungen“: Lieber Eckhard, ich werde darüber ... bis hin zu bürgerlicher Existenz und Transzendierung erst noch etwas nachdenken.
Lieber Eckhard, wie ich deinem Text entnehme, warst zu zwischenzeitlich tatsächlich auch in diesem Druckereimuseum in Erfurt. Ich hoffe, es hat sich gelohnt; ich fand die Ausstellung bei meinem Besuch Anfang Februar jedenfalls sehr interessant, nicht nur aus fotografischer Sicht. Konntest Du dort schöne Aufnahmen machen? ... Bin gespannt! Ich nehme an, Du wirst zumindest auch die „versteinerte Bibliothek“ fotografiert haben!? :)) Ist Dir übrigens aufgefallen, dass man von allen Seiten beobachtet wurde? ;-))
Danke, dass Du dich extra erkundigt hast, wie diese im Foto dargestellten Metallteile bezeichnet werden. Wenn ich es recht verstehe, dürfte sich damit wohl auch der Begriff Steg, der bereits erwähnt wurde, als eine mögliche alternative Bezeichnung bestätigen. „Steg nannte man einen zusätzlichen Abstandhalter zwischen zwei Zeilen im Bleisatz. Beim Druck nicht sichtbar, bewirkte der Steg einen größeren Zeilenabstand.“ http://www.walchdruck.de/service,druckabc.html
Auf jeden Fall passt der Begriff Abstandhalter hervorragend zu Kafkas Roman und damit symbolisch auch zu meinem Bild! ;-)
Hmm, interessant ist der Aspekt, den Es-Er anspricht: Liest man den Roman als Frau anders als ein Mann?
Darüber muss ich erst noch nachdenken. Mir erscheint die Zeichnung mancher Personen an manchen Stellen wie ein Konglomerat verschiedener Charaktere, so als hätte Kafka sich bestimmte typische oder auffällige Wesensmerkmale und Verhaltensweisen unterschiedlicher Personen herausgepickt und hier neu zusammengesetzt wie eben banale Abstandhalter in einer entsprechenden Konstellation plötzlich ein Schloss ergeben oder eine Stadt ..., was es letztlich so irreal macht.
Parabel: ja. Man kann hier aber mehrere Möglichkeiten im Sinn haben. Das Bild im Kontext mit dem weiten Interpretationsspielraum im Text lässt das zu.
@Carsten: Lieber Carsten, danke für deine interessante Besprechung.
Dass Bilder, die irgendwann beim Lesen einer Lektüre vor dem inneren Auge entstanden sind, auch nach Jahren noch unbewusst in einem präsent sein können, wurde mir bei dieser Aufnahme wieder besonders klar. Kafkas Schloss hatte in meiner Erinnerung eine so große Ähnlichkeit mit diesem Gebilde aus Abstandshaltern, dass ich an einer Zuordnung der Thematik gar nicht vorbeikam. Es ist für mich sogar schwer, auf den ersten Blick noch etwas völlig anderes, selbst das rein technische Arrangement darin zu sehen, auch wenn man sich natürlich auf andere Dinge einlassen kann.
Das Städtchen ist dabei aber naheliegend, auch im symbolischen, übertragenen Sinne. Auch das hier Dargestellte ist in seiner Gesamtheit aus Einzelteilen zusammengefügt, die man entfernen und ergänzen bzw. auch anders kombinieren könnte. Den Eindruck einer Stadt hatte ich ja beispielsweise auch einmal beim Schattenwurf einiger Container.
Nun liegst Du mit deiner Assoziation bezüglich Tempelberg und/oder Vorderorient überhaupt nicht falsch, ganz im Gegenteil, beispielsweise wenn man an den Turmbau zu Babel und an Schinar oder Babylon denkt, wie ich es auch bereits in der Antwort auf Eckhards erstes Fragment ansprach. http://de.wikipedia.org/wiki/Schinar Ich habe dazu auch irgendwo auf der Festplatte sogar ein Bild, müsste es einmal bearbeiten ;-). Auf die Sprache und die Möglichkeiten und Grenzen der Kommunikation wollte ich hier ja am Rande auch ein wenig anspielen, deshalb das Bild „Gekreuzte Wörter“ und der Link mit dem Hinweis auf das Jahr der deutschen Sprache, das wir 2010 begehen.
@Karl-Dieter Frost: Lieber KD, der güldene Glanz des Türmchens war natürlich ein großer Zufall. Eine Spotleuchte strahlte ausgerechnet diesen Bereich an und wahrscheinlich war er sogar der Auslöser für mich, diese Aufnahme zu machen.
Die Assoziation des „Erschließens“ passt ganz wunderbar zur Thematik des Buchdrucks!
@Adrian: Lieber Adrian, danke! Klingsors Zauberschloss: Daran dachte ich hier natürlich nicht, wohl auch deshalb nicht, weil vielleicht ein entsprechender Garten fehlt ;-)). Aber das ist eine wunderbare Idee, die sich vielleicht auch einmal umsetzen lässt ... es ist ja Frühling und gestern habe ich im Garten die ersten Blüten fotografiert ;-)).
Mit der Buchstabenkombination und der richtigen Wortwahl tut sich der Mensch ja nicht immer so leicht.
Und abseits vom meist nichtssagenden Smalltalk und allgemeingültigen Phrasen, sollten sie auch gut gewählt sein, um sich nicht gründlich misszuverstehen. Hier kommt es aber gewiss immer auch auf das Wollen und auch ein wenig auf die Bereitschaft zur Toleranz an.
Liebe Kerstin,
es ist so viel geschrieben worden.
Deshalb beschränke ich mich !
Mir ist dieses Foto
wegen seiner gewissen Schlichheit,
wegen des Bildaufbaus,
und nicht zuletzt der farblichen Einheit wegen
sofort bereits im thumb wohltuend
und neugierig machend aufgefallen.
Mir gefällt es. Im thumb dachte ich
übrigens zuallererst an das Kolosseum in
Rom.
Willys Erläuterung der Reduplikation war natürlich auch für mich sehr interessant, da ich als Nichtgermanist die Sprache in der Regel eben doch nur benutze, ohne jedenfalls intensiver über die Hintergründe der Entstehung nachzudenken (wie man es mit anderen Dingen in anderen Bereichen im Alltag auch handhabt).
Der Begriff „Reduplikation“ ist mir allerdings bereits seit der Schulzeit bekannt, in anderem Zusammenhang und bezogen auf die Biologie natürlich (DNA) ... im entsprechenden Leistungskurs lernte ich übrigens auch den „Zilpzalp“ kennen, eine Grasmücke ... na ja, einen Vogel aus der Familie der Gasmückenartigen ;-)). http://de.wikipedia.org/wiki/Zilpzalp
Auf dem der Schule gegenüberliegenden Friedhof mit altem Baumbestand hatten wir Schüler damals unser eigenes Beobachtungsrevier (auch wenn das etwas eigenartig klingt; wir verhielten uns bei unseren ‚Forschungsausflügen‘ jedenfalls still), in dem mit Fernglas, vorher im Unterricht angeeigneter Vogelstimmenkenntnis (vom Tonband) und Karten bestimmt, gezählt und dokumentiert wurde.
Der Zilpzalp war auch dabei. http://www.youtube.com/watch?v=6jZQ8ko1eFI&feature=related ;-)
„Haus der Sprache“: Daran kann man bei dem Bild natürlich denken ... dachte ich auch, in zweifacher Weise. Zunächst aufgrund der hier dargestellten Technik, die zu ihrer Verbreitung, zur Vervielfältigung von Texten beitrug, andererseits aufgrund des vorstellbaren Baukastensystems an den Ursprung, die Entwicklung, den Aufbau ... http://www.psycholinguistik.uni-muenchen.de/publ/sprachursprung.html Der Turmbau zu Babel kann da natürlich ganz zwanglos anschließen.
Das Bild von Kafkas Schloss kam mir allerdings erst wieder bei der Sichtung der Bilder nach dem Übertragen von der Kamera auf die Festplatte in den Sinn, leider noch nicht im Druckereimuseum selbst; ich hätte wohl mehr als nur diese eine Aufnahme von den gestapelten Abstandshaltern gemacht.
„Malerschule von Barbizon“: Dazu kommt demnächst von mir auch ein Bild! Ein I-Kuh-Bild! Es befindet sich bereits im versteckten Ordner. ;-))
Interpretationsmöglichkeiten für ein Fragment wie Kafkas Schloss gibt es natürlich eine ganze Reihe. http://www.xlibris.de/Autoren/Kafka/Werke/Das+Schlo%C3%9F?page=0%2C0 Einige sehr zutreffende hast Du genannt; ich denke auch, dass man sich diesbezüglich zunächst an die Ausführungen von Max Brod halten kann, auch wenn nachzulesen ist, dass die Vielfalt in der möglichen Kafkadeutung den von Brod zugedachten Rahmen sprengen dürfte: „In allen drei Romanen Kafkas, dem Prozess, dem Schloss und Amerika, sieht Max Brod als Grundmotiv die Einordnung des Einzelnen in die menschliche Gemeinschaft, bei der es sich gleichzeitig um die Einordnung in ein Gottesreich handelt. Nicht unbescheiden erhebt er den Anspruch, dass andere Deutungen nur innerhalb dieses, von ihm vorgegebenen, umfassenden Deutungsrahmens möglich seien. Die Vielfalt abweichender Kafkadeutung zeigt wie absurd dieser Anspruch ist.“ http://www.jolifanto.de/wissenschaft/Kafka/kafka.htm
Aber gerade das finde ich an der Sache interessant; es ist nichts vorgegeben, man stellt eigentlich nur Vermutungen an.
Das Bild, die Fotografie, soll ja zudem einen Text des Autors nicht nur umsetzen und darstellen (zumindest nicht in diesem Fall); hier spielen auch die Gedanken und Gefühle des Bildautors mit hinein, der das Textfragment in Teilen gemeinsam mit dem Abgebildeten als Ausdruck eigener Empfindungen und Überlegungen inszeniert. Nicht alles wird man als Betrachter immer (gleich) lesen können, muss es auch nicht, da der Raum für eigene Deutungen offen bleiben soll, und manches erklärt sich auch erst, wenn man – wie bei Bach und den Brandenburgischen Konzerten beispielsweise, wenn man ein wenig mit dem Hintergrund vertraut ist.
Kerstin
"Die Verlobung der beiden währt jedenfalls nur kurz."
"Noch kürzer als Kafkas Verlobung. Aber eine tatsächliche Basis für eine Beziehung der beiden, so wie wir sie heute verstehen, war ja auch gar nicht vorhanden."
"Ich denke, das wird auch ein Leser des Jahres 1926 so gesehen haben, lieber Willy. Es mag ja sein, dass sich in den letzten Jahren zwischen Mann und Frau viel verändert hat, aber so völlig abgedreht, wie es hier geschildert wird, war es auch damals nicht."
"Abgesehen davon musste der Bräutigam seinem Schwiegervater in spe erst einmal nachweisen, dass er eine Familie ernähren konnte."
"Es sei denn, ein relativ mittelloser Poete heiratete in die Bankiersfamilie Pringsheim ein."
Willy (grinst) "Da hat natürlich Heinrich im Gegensatz zu Thomas alles falsch gemacht. Jedenfalls im bürgerlichen Leben."
"Nun gut, die Schwiegervater-Frage stellt sich hier nicht ... es ist aber natürlich klar, dass K. sich nur oder vor allem für Frieda interessiert, weil er aufgrund ihrer früheren Verbindung mit Klamm über sie in Kontakt mit dem Schloß zu kommen hofft. Mit der Barnabas-Familie ist es ja eigentlich ähnlich."
"Tja, das Schloß ... gut, dass ich nicht alle drei Wochen einen Aufsatz mit einer grundstürzenden neuen These absondern muss wie die Juniorprofessoren. Darum halte ich mich an Max Brod, der ja meinte, dass das Schloss für die Gottessphäre steht, die Sphäre der Gnade, der göttlichen Lenkung des menschlichen Schicksals, für das das Dorf steht.
Somit wären, schreibt Brod, im Schloß und im "Prozeß" die beiden Erscheinungsformen der Gottheit im Sinne der Kabbala dargestellt, Gnade und Gericht."
"Aber K. kommt nicht in diese Sphäre, kommt nicht in dieses Schloß, so sehr er sich auch darum bemüht. Auch nicht durch die Frauen."
"Na ja, er hatte wohl eine etwas übersteigerte Meinung von den Frauen. Frauen sind auch nur Menschen."
"Frechheit! Der Satz muss lauten: "Auch Männer sind möglicherweise Menschen!" oder so."
"Auf jeden Fall will sich K. im Dorf ansiedeln, heiraten, einen ehrbaren Beruf ergreifen ..."
"Das hat Brod ja so gedeutet, dass hier einer als "Fremder" - gemeint ist natürlich der Künstler - danach strebt, das auch zu erlangen, was dem Dutzendbürger sozusagen automatisch in den Schoß fällt. Die bürgerliche Existenz ... ohne Anstrengung, ohne Überlegung fällt sie den Dutzendbürgern in den Schoß."
"Kafka hatte ja Brod einmal auf die Anekdote hingewiesen, die Flauberts Nichte in der Einleitung zu seinem Briefwechsel berichtet: Flaubert habe es auf seine alten Tage - die Nichte drückt sich anders aus - bedauert, dass er nicht die "Alltagsstraße" gewählt habe. Mit der Nichte hatte Flaubert einmal eine der Freundinnen der Nichte besucht, die sie inmitten ihrer Kinder antrafen. "Das sind die Richtigen!" habe Flaubert gesagt. Er meinte dieses ehrbare, gute Familienheim damit."
"Für Kafka hatten ja diese "primitiven" Ziele religiöse Bedeutung und sind schlechthin das rechte Leben, der rechte Weg (Tao)."
"Nur wie soll einer innerlich eine bürgerliche Existenz führen, wenn sein Geist alles transzendiert?"
"Fragst Du das in Bezug auf Kafka oder in Bezug auf unsereinen?"
„Tja, liebe Tante … es sind übrigens Abstandshalter, die da im Erfurter Druckereimuseum zu dem famosen Schloss aufgeschichtet worden sind.“
„Abstandshalter? Würde ja zu dem Schloss in Kafkas Roman passen. Das Schloss hält jedenfalls auch Abstand zu den Dorfbewohnern. Und vor allem zu K. Aber was sind Abstandshalter?“
„Beim Drucken gibt es doch verschiedene Formate. Und damit eine Druckplatte an einer bestimmten Stelle auf der Presse fixiert werden kann, muss sie mit Abstandshaltern vom Rand der Druckpresse aus eingespannt werden. Ich habe es mir im Museum zeigen lassen.“
„Wieder etwas gelernt, lieber Willy. Wie groß ist das „Schloss“ eigentlich?“
„K. hat ja nur einen Ausschnitt fotografiert, wobei das „nur“ natürlich nicht negativ gemeint ist. Es misst ungefähr 50 Zentimeter in der Breite und gleicht in seiner vollen Erstreckung sehr schön den Schlössern, die manche Grafen über Dörfern oder kleinen Städten errichtet haben. Etwa die Mansfelder Grafen, obwohl das hier gewiss nichts zur Sache tut. Oder nur insofern, als es neben den Vorbildern, die Kafka im Auge gehabt haben wird, auch weitere Beispiele für solche Verhältnisse gegeben hat.“
„Über die Interpretation des Romanfragments hatten wir bereits gesprochen. Mir fällt immer wieder auf, wenn ich „Das Schloß“ als Frau lese, wie irreal die Zeichnung mancher Personen, Gefühle und Verhältnisse ist.“
„Vermutlich stößt Du dich vor allem an dieser irrwitzigen Geschichte, wie sich K. mit Frieda zusammentut und dann mit ihr im Schulhaus zusammenlebt. Oder an diesen beiden Dienern.“
„Na ja, Kafka hat ja nun, abgesehen davon, dass er fast Zeit seines Lebens unter seinem tyrannischen Vater litt, nicht gerade erfüllte Beziehungen zu Frauen gehabt.“
„So kann man es sagen, um es einmal milde auszudrücken. Abgesehen davon wurde er gerade einmal 41 Jahre alt. Also, von Frauen verstand er vermutlich nichts.“
„Nun gut, „Das Schloß“ war weder vollendet noch überhaupt für die Öffentlichkeit bestimmt. Aber die völlig Irrealität des da Dargestellten hätte jedenfalls die Leser seinerzeit befremdet und befremdet sie noch heute.“
„Falls sie den Roman überhaupt jemals lesen. Die Irrealität des Dargestellten kann natürlich als ein Hinweis darauf verstanden werden, dass hier keine Realität als solche erzählt werden soll, sondern dass die Geschichte eine groß angelegte Parabel ist.“
"Mit der Sprache hat sie allerdings nichts zu tun."
"Im ganzen entsprach das Schloß, wie es sich hier von der Ferne zeigte, K.s Erwartungen. Es war weder eine alte Ritterburg noch ein neuer Prunkbau, sondern eine ausgedehnte Anlage, die aus wenigen zweistöckigen, aber aus vielen eng aneinander stehenden niedrigen Bauten bestand; hätte man nicht gewußt, daß es ein Schloß sei, hätte man es für ein Städtchen halten können."
Liebe Kerstin,
ein kleiner Auszug aus dem von Dir verlinkten Text Kafkas unter
In der Tat war meine erste Assoziation, ohne die Bilder und Verlinkungen vorher gesehen zu haben, die einer Stadt. Ich dachte an einen Krippenhintergrund, aber da wir nicht Weihnachten, sondern Ostern hatten...
Dennoch könnte man an eine alte Stadt denken, vielleicht im Vorderorient, einen Tempelberg,, und somit wäre ein Bezug zu Ostern gegeben :)
Aber darum wird es Dir vornehmlich nicht gegangen sein.
Interessant ist natürlich wieder einmal, wie viele verschiedene Assoziationen dieses Bild hervorzurufen vermag.
"Die Begriffe Schloss und Burg hatten ursprünglich eine ähnliche Bedeutung. Unter dem Schloss war im Mittelalter primär der Türriegel, also das Tür- oder Torschloss zu verstehen, im übertragenen Sinn aber dann auch ein Gebäude, in dem man sich zur Verteidigung einschließen konnte, während man sich in der Burg verbergen konnte."
Ob die Unfähigkeit zur Kommunikation vom Schloss ausgeht, oder ob die Menschen, die zum Schloss aufblicken und in dessen Nähe wohnen daran Schuld sind, bleibt wohl auch eine Sache des Standpunkts.
Ein Foto, das Gedankensprünge provoziert, liebe Kerstin.
Zwar formen diese Utensilien der frühen Buchdruckerkunst nahezu die Form eines Schlosses und der "güldene" Glanz des höchsten Turmes vollendet die Illusion.
Aber die Profile dieser Stege erinnern auch an die Struktur der "Bärte" früherer handfester Schlüssel und weisen damit auf eine ganz andere Art von Schloss. Über diesen Weg könnte man assoziieren, dass die Buchdruckerkunst den Weg in eine breitere Bildungsmöglichkeit der Massen erst erSCHLOSSen hat - was sonst wohl eher den in Klöstern, Burgen und Schlössern Verschlossenen zuteil geworden wäre!
Gruß KD
Kerstin Stolzenburg 11/04/2010 15:04
@E-Punkt: Liebe Elfi, danke!Du hast übrigens völlig recht. Als ich neulich das Vorschaubild betrachtete, musste ich ebenfalls bereits an eine stilisierte Darstellung des Kolosseums in Rom denken.
Liebe Grüße. Kerstin
Kerstin Stolzenburg 11/04/2010 15:00
@Eckhard (drittes Fragment):... Verlobung, Beziehung, 1926 ... Wenn auch 16 Jahre später, lässt mich das natürlich sogleich an ein sehr interessantes Buch von Arthur Bremer denken, in dem ich gerade lese: „Die Welt in 100 Jahren“ (1910). Du hattest darauf unter deinem Bild hingewiesen. Unter anderem beschäftigt sich da Ellen Key mit der Frage „Die Frau in hundert Jahren“ und ein paar Seiten weiter Dora Dyx mit der These „Die Frau und die Liebe“. Überaus interessant und zum Teil auch recht „abgedreht“ ;-).
„Ellen Keys Aufsatz ‚Die Frau in hundert Jahren‘ wartet mit allerlei Wundern der Zukunft auf, wie einer Landwirtschaft, die jetzt in chemischen Fabriken betrieben wird. Kinder werden gleich nach der Geburt in Kinderheimen abgegeben, man hat noch keine Methode gefunden, wie man sich ohne Elternschaft fortpflanzen kann, aber das Kinderzeugen und Kinderkriegen wird von Freiwilligen besorgt, unter denen die Geeignetsten gepaart werden. Die Krankheit ‚Individualitäts- und Originalitätssucht‘ ist durch eine Zwangsimpfung beseitigt worden. Der Tagesablauf, ob von Mann oder Frau, umfasst sechs Stunden Schlaf, sechs Stunden elektrisches Knöpfedrücken, sechs Stunden im Parlament und sechs Stunden Gesellschaftsleben. Die Parlamente tagen dauernd, bei den Sitzungen wird jede Einzelheit des täglichen Lebens bestimmt; am Sonntag gibt es statt dem Gottesdienst soziale Vorträge. Die Universitätsstudien mit ihren gefährlichen freiheitlichen Bestrebungen sind abgeschafft, der normale Unterricht dauert bis dreißig, nach der Schule rührt keiner mehr ein Buch ein, liest nur noch die illustrierten Annoncenbeilagen der Zeitungen. ‚Heim‘ bedeutet jetzt Schlafstelle. Männer und Frauen unterschieden sich kaum noch, beim Zusammentreffen beschäftigt man sich mit dem Austausch sozialallgemeinmenschlicher Gedanken. 2009 bricht dann eine Revolution aus, welche die alten Zustände wieder herstellt.
Vernünftiger ist da schon Dora Dyx ‚Die Frau und die Liebe (in hundert Jahren)‘. Sie unterscheidet drei Hauptformen der ‚Liebe‘, die Ehe, die Prostitution und die freie Liebe. Die Ehe ist vor allem zur Versorgung geworden, und dass die Liebe sich in einer Vernunftehe später einstellt, ist oft nur fromme Hoffnung. In Zukunft wird man einfach die Tatsache registrieren, dass zwei Menschen eine Gemeinschaft geschlossen haben, ‚die auf der Harmonie der Seelenschwingungen beruht‘. Das ist der einzige Grund, und der Zweck der Ehe sind die Kinder. ‚Die Liebe ist die Zuchtwahl in edlerem Sinne und in diesem veredelndem Sinne wird die Liebe künftig geübt werden‘. Es wird keinen Vorzug der Geburt mehr geben, es wird das Reich der Liebe sein, in dem das Glück der Kindheit herrscht, und ‚man wird über unser Jahrhundert als das Jahrhundert der Lieblosigkeit, Grausamkeit und Härte stillschweigend hinweggehen.‘ ‚Die Liebe von heute ist auf Betrug, Enttäuschung und materielle Interessen aufgebaut.‘. Diese Autorin sieht einen Zustand voraus, der dem der heutigen Lebensabschnittspartnerschaften ähnelt.“ http://www.literra.info/rezensionen/rezension.php?id=3213&PHPSESSID=whqjbzwp
„Im Jahr 2010 werde die Liebe anhand der ‚Radioaktivität der Seele‘ gemessen: Eine verschrobene Idee mit wahrem Kern. Heute soll ein Gentest zeigen, wer zu wem passt.“ http://www.zeit.de/wissen/2010-02/liebe-gentest-partnerwahl
Die Frage des Ausnutzens und des Ausgenutz- und Benutztwerdens (z.B. Frieda, Barnabas-Familie) erscheint mir im Roman eine sehr zentrale Frage zu sein und ließe sich auch vom heutigen Standpunkt aus gewiss trefflich diskutieren.
„Stadt der Verheißungen“: Lieber Eckhard, ich werde darüber ... bis hin zu bürgerlicher Existenz und Transzendierung erst noch etwas nachdenken.
Kerstin
Kerstin Stolzenburg 11/04/2010 14:04
@Eckhard (zweites Fragment):Lieber Eckhard, wie ich deinem Text entnehme, warst zu zwischenzeitlich tatsächlich auch in diesem Druckereimuseum in Erfurt. Ich hoffe, es hat sich gelohnt; ich fand die Ausstellung bei meinem Besuch Anfang Februar jedenfalls sehr interessant, nicht nur aus fotografischer Sicht. Konntest Du dort schöne Aufnahmen machen? ... Bin gespannt! Ich nehme an, Du wirst zumindest auch die „versteinerte Bibliothek“ fotografiert haben!? :)) Ist Dir übrigens aufgefallen, dass man von allen Seiten beobachtet wurde? ;-))
Danke, dass Du dich extra erkundigt hast, wie diese im Foto dargestellten Metallteile bezeichnet werden. Wenn ich es recht verstehe, dürfte sich damit wohl auch der Begriff Steg, der bereits erwähnt wurde, als eine mögliche alternative Bezeichnung bestätigen. „Steg nannte man einen zusätzlichen Abstandhalter zwischen zwei Zeilen im Bleisatz. Beim Druck nicht sichtbar, bewirkte der Steg einen größeren Zeilenabstand.“ http://www.walchdruck.de/service,druckabc.html
Auf jeden Fall passt der Begriff Abstandhalter hervorragend zu Kafkas Roman und damit symbolisch auch zu meinem Bild! ;-)
Hmm, interessant ist der Aspekt, den Es-Er anspricht: Liest man den Roman als Frau anders als ein Mann?
Darüber muss ich erst noch nachdenken. Mir erscheint die Zeichnung mancher Personen an manchen Stellen wie ein Konglomerat verschiedener Charaktere, so als hätte Kafka sich bestimmte typische oder auffällige Wesensmerkmale und Verhaltensweisen unterschiedlicher Personen herausgepickt und hier neu zusammengesetzt wie eben banale Abstandhalter in einer entsprechenden Konstellation plötzlich ein Schloss ergeben oder eine Stadt ..., was es letztlich so irreal macht.
Parabel: ja. Man kann hier aber mehrere Möglichkeiten im Sinn haben. Das Bild im Kontext mit dem weiten Interpretationsspielraum im Text lässt das zu.
Kerstin
Kerstin Stolzenburg 11/04/2010 11:21
@Carsten: Lieber Carsten, danke für deine interessante Besprechung.Dass Bilder, die irgendwann beim Lesen einer Lektüre vor dem inneren Auge entstanden sind, auch nach Jahren noch unbewusst in einem präsent sein können, wurde mir bei dieser Aufnahme wieder besonders klar. Kafkas Schloss hatte in meiner Erinnerung eine so große Ähnlichkeit mit diesem Gebilde aus Abstandshaltern, dass ich an einer Zuordnung der Thematik gar nicht vorbeikam. Es ist für mich sogar schwer, auf den ersten Blick noch etwas völlig anderes, selbst das rein technische Arrangement darin zu sehen, auch wenn man sich natürlich auf andere Dinge einlassen kann.
Das Städtchen ist dabei aber naheliegend, auch im symbolischen, übertragenen Sinne. Auch das hier Dargestellte ist in seiner Gesamtheit aus Einzelteilen zusammengefügt, die man entfernen und ergänzen bzw. auch anders kombinieren könnte. Den Eindruck einer Stadt hatte ich ja beispielsweise auch einmal beim Schattenwurf einiger Container.
Nun liegst Du mit deiner Assoziation bezüglich Tempelberg und/oder Vorderorient überhaupt nicht falsch, ganz im Gegenteil, beispielsweise wenn man an den Turmbau zu Babel und an Schinar oder Babylon denkt, wie ich es auch bereits in der Antwort auf Eckhards erstes Fragment ansprach. http://de.wikipedia.org/wiki/Schinar Ich habe dazu auch irgendwo auf der Festplatte sogar ein Bild, müsste es einmal bearbeiten ;-). Auf die Sprache und die Möglichkeiten und Grenzen der Kommunikation wollte ich hier ja am Rande auch ein wenig anspielen, deshalb das Bild „Gekreuzte Wörter“ und der Link mit dem Hinweis auf das Jahr der deutschen Sprache, das wir 2010 begehen.
Grüße. Kerstin
Kerstin Stolzenburg 11/04/2010 11:20
@Karl-Dieter Frost: Lieber KD, der güldene Glanz des Türmchens war natürlich ein großer Zufall. Eine Spotleuchte strahlte ausgerechnet diesen Bereich an und wahrscheinlich war er sogar der Auslöser für mich, diese Aufnahme zu machen.Die Assoziation des „Erschließens“ passt ganz wunderbar zur Thematik des Buchdrucks!
Danke und Grüße. Kerstin
Kerstin Stolzenburg 11/04/2010 11:19
@BiSa: Liebe Birgitt, danke! Gruß. KerstinKerstin Stolzenburg 11/04/2010 11:18
@Adrian: Lieber Adrian, danke! Klingsors Zauberschloss: Daran dachte ich hier natürlich nicht, wohl auch deshalb nicht, weil vielleicht ein entsprechender Garten fehlt ;-)). Aber das ist eine wunderbare Idee, die sich vielleicht auch einmal umsetzen lässt ... es ist ja Frühling und gestern habe ich im Garten die ersten Blüten fotografiert ;-)).Mit der Buchstabenkombination und der richtigen Wortwahl tut sich der Mensch ja nicht immer so leicht. Und abseits vom meist nichtssagenden Smalltalk und allgemeingültigen Phrasen, sollten sie auch gut gewählt sein, um sich nicht gründlich misszuverstehen. Hier kommt es aber gewiss immer auch auf das Wollen und auch ein wenig auf die Bereitschaft zur Toleranz an.
Grüße. Kerstin
E-Punkt 11/04/2010 10:30
Liebe Kerstin,es ist so viel geschrieben worden.
Deshalb beschränke ich mich !
Mir ist dieses Foto
wegen seiner gewissen Schlichheit,
wegen des Bildaufbaus,
und nicht zuletzt der farblichen Einheit wegen
sofort bereits im thumb wohltuend
und neugierig machend aufgefallen.
Mir gefällt es. Im thumb dachte ich
übrigens zuallererst an das Kolosseum in
Rom.
LG Elfi
Kerstin Stolzenburg 11/04/2010 9:45
@Eckhard: (erstes Fragment)Lieber Eckhard,
Willys Erläuterung der Reduplikation war natürlich auch für mich sehr interessant, da ich als Nichtgermanist die Sprache in der Regel eben doch nur benutze, ohne jedenfalls intensiver über die Hintergründe der Entstehung nachzudenken (wie man es mit anderen Dingen in anderen Bereichen im Alltag auch handhabt).
Der Begriff „Reduplikation“ ist mir allerdings bereits seit der Schulzeit bekannt, in anderem Zusammenhang und bezogen auf die Biologie natürlich (DNA) ... im entsprechenden Leistungskurs lernte ich übrigens auch den „Zilpzalp“ kennen, eine Grasmücke ... na ja, einen Vogel aus der Familie der Gasmückenartigen ;-)). http://de.wikipedia.org/wiki/Zilpzalp
Auf dem der Schule gegenüberliegenden Friedhof mit altem Baumbestand hatten wir Schüler damals unser eigenes Beobachtungsrevier (auch wenn das etwas eigenartig klingt; wir verhielten uns bei unseren ‚Forschungsausflügen‘ jedenfalls still), in dem mit Fernglas, vorher im Unterricht angeeigneter Vogelstimmenkenntnis (vom Tonband) und Karten bestimmt, gezählt und dokumentiert wurde.
Der Zilpzalp war auch dabei. http://www.youtube.com/watch?v=6jZQ8ko1eFI&feature=related ;-)
Wenn man sich allerdings nach dem Lesen der Beiträge von Es-Er und Willy über den eigenen Tellerrand hinaus selbst auf den Pfad der Verklugung begeben möchte, gelangt man zunächst in die Untiefen interessanter Veröffentlichungen, die einen verlocken und nur zu gern gefangennehmen möchten, wie beispielsweise die Elisabeth-Legenden, zu denen ich gerade heute morgen wieder etwas las: http://books.google.de/books?id=Q_rU8ENZcTcC&pg=PR50&lpg=PR50&dq=Helmut+Lomnitzer+wortbildungslehre&source=bl&ots=UwFb8SBWAC&sig=mVvBMwWGQHqCosVSiyhmSyV1zf4&hl=de&ei=F17BS_SCBsumONGC6ZYE&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=4&ved=0CA8Q6AEwAw#v=onepage&q&f=false und die ja nun mit dem „Schloss“ doch eher weniger zu tun haben ;-)). Schön ist es aber doch und schaden kann es auch nicht.
„Haus der Sprache“: Daran kann man bei dem Bild natürlich denken ... dachte ich auch, in zweifacher Weise. Zunächst aufgrund der hier dargestellten Technik, die zu ihrer Verbreitung, zur Vervielfältigung von Texten beitrug, andererseits aufgrund des vorstellbaren Baukastensystems an den Ursprung, die Entwicklung, den Aufbau ... http://www.psycholinguistik.uni-muenchen.de/publ/sprachursprung.html Der Turmbau zu Babel kann da natürlich ganz zwanglos anschließen.
Das Bild von Kafkas Schloss kam mir allerdings erst wieder bei der Sichtung der Bilder nach dem Übertragen von der Kamera auf die Festplatte in den Sinn, leider noch nicht im Druckereimuseum selbst; ich hätte wohl mehr als nur diese eine Aufnahme von den gestapelten Abstandshaltern gemacht.
„Malerschule von Barbizon“: Dazu kommt demnächst von mir auch ein Bild! Ein I-Kuh-Bild! Es befindet sich bereits im versteckten Ordner. ;-))
Interpretationsmöglichkeiten für ein Fragment wie Kafkas Schloss gibt es natürlich eine ganze Reihe. http://www.xlibris.de/Autoren/Kafka/Werke/Das+Schlo%C3%9F?page=0%2C0 Einige sehr zutreffende hast Du genannt; ich denke auch, dass man sich diesbezüglich zunächst an die Ausführungen von Max Brod halten kann, auch wenn nachzulesen ist, dass die Vielfalt in der möglichen Kafkadeutung den von Brod zugedachten Rahmen sprengen dürfte: „In allen drei Romanen Kafkas, dem Prozess, dem Schloss und Amerika, sieht Max Brod als Grundmotiv die Einordnung des Einzelnen in die menschliche Gemeinschaft, bei der es sich gleichzeitig um die Einordnung in ein Gottesreich handelt. Nicht unbescheiden erhebt er den Anspruch, dass andere Deutungen nur innerhalb dieses, von ihm vorgegebenen, umfassenden Deutungsrahmens möglich seien. Die Vielfalt abweichender Kafkadeutung zeigt wie absurd dieser Anspruch ist.“ http://www.jolifanto.de/wissenschaft/Kafka/kafka.htm
Aber gerade das finde ich an der Sache interessant; es ist nichts vorgegeben, man stellt eigentlich nur Vermutungen an.
Das Bild, die Fotografie, soll ja zudem einen Text des Autors nicht nur umsetzen und darstellen (zumindest nicht in diesem Fall); hier spielen auch die Gedanken und Gefühle des Bildautors mit hinein, der das Textfragment in Teilen gemeinsam mit dem Abgebildeten als Ausdruck eigener Empfindungen und Überlegungen inszeniert. Nicht alles wird man als Betrachter immer (gleich) lesen können, muss es auch nicht, da der Raum für eigene Deutungen offen bleiben soll, und manches erklärt sich auch erst, wenn man – wie bei Bach und den Brandenburgischen Konzerten beispielsweise, wenn man ein wenig mit dem Hintergrund vertraut ist.
Kerstin
E. W. R. 09/04/2010 23:14
"Die Verlobung der beiden währt jedenfalls nur kurz.""Noch kürzer als Kafkas Verlobung. Aber eine tatsächliche Basis für eine Beziehung der beiden, so wie wir sie heute verstehen, war ja auch gar nicht vorhanden."
"Ich denke, das wird auch ein Leser des Jahres 1926 so gesehen haben, lieber Willy. Es mag ja sein, dass sich in den letzten Jahren zwischen Mann und Frau viel verändert hat, aber so völlig abgedreht, wie es hier geschildert wird, war es auch damals nicht."
"Abgesehen davon musste der Bräutigam seinem Schwiegervater in spe erst einmal nachweisen, dass er eine Familie ernähren konnte."
"Es sei denn, ein relativ mittelloser Poete heiratete in die Bankiersfamilie Pringsheim ein."
Willy (grinst) "Da hat natürlich Heinrich im Gegensatz zu Thomas alles falsch gemacht. Jedenfalls im bürgerlichen Leben."
"Nun gut, die Schwiegervater-Frage stellt sich hier nicht ... es ist aber natürlich klar, dass K. sich nur oder vor allem für Frieda interessiert, weil er aufgrund ihrer früheren Verbindung mit Klamm über sie in Kontakt mit dem Schloß zu kommen hofft. Mit der Barnabas-Familie ist es ja eigentlich ähnlich."
"Tja, das Schloß ... gut, dass ich nicht alle drei Wochen einen Aufsatz mit einer grundstürzenden neuen These absondern muss wie die Juniorprofessoren. Darum halte ich mich an Max Brod, der ja meinte, dass das Schloss für die Gottessphäre steht, die Sphäre der Gnade, der göttlichen Lenkung des menschlichen Schicksals, für das das Dorf steht.
Somit wären, schreibt Brod, im Schloß und im "Prozeß" die beiden Erscheinungsformen der Gottheit im Sinne der Kabbala dargestellt, Gnade und Gericht."
"Aber K. kommt nicht in diese Sphäre, kommt nicht in dieses Schloß, so sehr er sich auch darum bemüht. Auch nicht durch die Frauen."
"Na ja, er hatte wohl eine etwas übersteigerte Meinung von den Frauen. Frauen sind auch nur Menschen."
"Frechheit! Der Satz muss lauten: "Auch Männer sind möglicherweise Menschen!" oder so."
"Auf jeden Fall will sich K. im Dorf ansiedeln, heiraten, einen ehrbaren Beruf ergreifen ..."
"Das hat Brod ja so gedeutet, dass hier einer als "Fremder" - gemeint ist natürlich der Künstler - danach strebt, das auch zu erlangen, was dem Dutzendbürger sozusagen automatisch in den Schoß fällt. Die bürgerliche Existenz ... ohne Anstrengung, ohne Überlegung fällt sie den Dutzendbürgern in den Schoß."
"Kafka hatte ja Brod einmal auf die Anekdote hingewiesen, die Flauberts Nichte in der Einleitung zu seinem Briefwechsel berichtet: Flaubert habe es auf seine alten Tage - die Nichte drückt sich anders aus - bedauert, dass er nicht die "Alltagsstraße" gewählt habe. Mit der Nichte hatte Flaubert einmal eine der Freundinnen der Nichte besucht, die sie inmitten ihrer Kinder antrafen. "Das sind die Richtigen!" habe Flaubert gesagt. Er meinte dieses ehrbare, gute Familienheim damit."
"Für Kafka hatten ja diese "primitiven" Ziele religiöse Bedeutung und sind schlechthin das rechte Leben, der rechte Weg (Tao)."
"Nur wie soll einer innerlich eine bürgerliche Existenz führen, wenn sein Geist alles transzendiert?"
"Fragst Du das in Bezug auf Kafka oder in Bezug auf unsereinen?"
[Abbruch des dritten Fragments.]
E. W. R. 08/04/2010 19:57
„Tja, liebe Tante … es sind übrigens Abstandshalter, die da im Erfurter Druckereimuseum zu dem famosen Schloss aufgeschichtet worden sind.“„Abstandshalter? Würde ja zu dem Schloss in Kafkas Roman passen. Das Schloss hält jedenfalls auch Abstand zu den Dorfbewohnern. Und vor allem zu K. Aber was sind Abstandshalter?“
„Beim Drucken gibt es doch verschiedene Formate. Und damit eine Druckplatte an einer bestimmten Stelle auf der Presse fixiert werden kann, muss sie mit Abstandshaltern vom Rand der Druckpresse aus eingespannt werden. Ich habe es mir im Museum zeigen lassen.“
„Wieder etwas gelernt, lieber Willy. Wie groß ist das „Schloss“ eigentlich?“
„K. hat ja nur einen Ausschnitt fotografiert, wobei das „nur“ natürlich nicht negativ gemeint ist. Es misst ungefähr 50 Zentimeter in der Breite und gleicht in seiner vollen Erstreckung sehr schön den Schlössern, die manche Grafen über Dörfern oder kleinen Städten errichtet haben. Etwa die Mansfelder Grafen, obwohl das hier gewiss nichts zur Sache tut. Oder nur insofern, als es neben den Vorbildern, die Kafka im Auge gehabt haben wird, auch weitere Beispiele für solche Verhältnisse gegeben hat.“
„Über die Interpretation des Romanfragments hatten wir bereits gesprochen. Mir fällt immer wieder auf, wenn ich „Das Schloß“ als Frau lese, wie irreal die Zeichnung mancher Personen, Gefühle und Verhältnisse ist.“
„Vermutlich stößt Du dich vor allem an dieser irrwitzigen Geschichte, wie sich K. mit Frieda zusammentut und dann mit ihr im Schulhaus zusammenlebt. Oder an diesen beiden Dienern.“
„Na ja, Kafka hat ja nun, abgesehen davon, dass er fast Zeit seines Lebens unter seinem tyrannischen Vater litt, nicht gerade erfüllte Beziehungen zu Frauen gehabt.“
„So kann man es sagen, um es einmal milde auszudrücken. Abgesehen davon wurde er gerade einmal 41 Jahre alt. Also, von Frauen verstand er vermutlich nichts.“
„Nun gut, „Das Schloß“ war weder vollendet noch überhaupt für die Öffentlichkeit bestimmt. Aber die völlig Irrealität des da Dargestellten hätte jedenfalls die Leser seinerzeit befremdet und befremdet sie noch heute.“
„Falls sie den Roman überhaupt jemals lesen. Die Irrealität des Dargestellten kann natürlich als ein Hinweis darauf verstanden werden, dass hier keine Realität als solche erzählt werden soll, sondern dass die Geschichte eine groß angelegte Parabel ist.“
"Mit der Sprache hat sie allerdings nichts zu tun."
[Abbruch des zweiten Fragments.]
Kerstin Stolzenburg 07/04/2010 6:46
@Adrian, Birgitt, KD und Carsten: Danke für eure Anmerkungen! Ich antworte noch ausführlicher.Grüße. Kerstin
Carsten Mundt 06/04/2010 22:32
"Im ganzen entsprach das Schloß, wie es sich hier von der Ferne zeigte, K.s Erwartungen. Es war weder eine alte Ritterburg noch ein neuer Prunkbau, sondern eine ausgedehnte Anlage, die aus wenigen zweistöckigen, aber aus vielen eng aneinander stehenden niedrigen Bauten bestand; hätte man nicht gewußt, daß es ein Schloß sei, hätte man es für ein Städtchen halten können."Liebe Kerstin,
ein kleiner Auszug aus dem von Dir verlinkten Text Kafkas unter
http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=1360&kapitel=1#gb_f
In der Tat war meine erste Assoziation, ohne die Bilder und Verlinkungen vorher gesehen zu haben, die einer Stadt. Ich dachte an einen Krippenhintergrund, aber da wir nicht Weihnachten, sondern Ostern hatten...
Dennoch könnte man an eine alte Stadt denken, vielleicht im Vorderorient, einen Tempelberg,, und somit wäre ein Bezug zu Ostern gegeben :)
Aber darum wird es Dir vornehmlich nicht gegangen sein.
Interessant ist natürlich wieder einmal, wie viele verschiedene Assoziationen dieses Bild hervorzurufen vermag.
"Die Begriffe Schloss und Burg hatten ursprünglich eine ähnliche Bedeutung. Unter dem Schloss war im Mittelalter primär der Türriegel, also das Tür- oder Torschloss zu verstehen, im übertragenen Sinn aber dann auch ein Gebäude, in dem man sich zur Verteidigung einschließen konnte, während man sich in der Burg verbergen konnte."
http://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_(Architektur)
Auf den ersten Blick mag ein Zusammenhang zwischen dem Schloss als Gebäude, dem Schloss als Türriegel und "Wörtern" nicht herleitbar sein, aber
http://de.wikipedia.org/wiki/Kafkaesk
Ob die Unfähigkeit zur Kommunikation vom Schloss ausgeht, oder ob die Menschen, die zum Schloss aufblicken und in dessen Nähe wohnen daran Schuld sind, bleibt wohl auch eine Sache des Standpunkts.
und des Willens zur Annäherung.
Gruß
Carsten
Karl-Dieter Frost 05/04/2010 18:31
Ein Foto, das Gedankensprünge provoziert, liebe Kerstin.Zwar formen diese Utensilien der frühen Buchdruckerkunst nahezu die Form eines Schlosses und der "güldene" Glanz des höchsten Turmes vollendet die Illusion.
Aber die Profile dieser Stege erinnern auch an die Struktur der "Bärte" früherer handfester Schlüssel und weisen damit auf eine ganz andere Art von Schloss. Über diesen Weg könnte man assoziieren, dass die Buchdruckerkunst den Weg in eine breitere Bildungsmöglichkeit der Massen erst erSCHLOSSen hat - was sonst wohl eher den in Klöstern, Burgen und Schlössern Verschlossenen zuteil geworden wäre!
Gruß KD
BiSa 04/04/2010 23:37
ein fantasievolles Gebildeein fantasieanregendes Foto
LG Birgitt