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† Sebastian Haerter


Premium (World), Neubrandenburg

Big Brother...

..war auch schon in der DDR watching you! Ganz besonders dort...
Stasi-Untersuchungsgefängnis Potsdam
Canon EOS 50E, Tamron 28-200

Am Montagmorgen,
es war noch dunkel,
ist eine Wahrheit zu früh erwacht,
sie schlief im Hirne
von einem Sänger,
und hat den Mann
um den Schlaf gebracht,
der schreib sie nieder
in einer Strophe
und sang das Liedchen
dann vor sich hin,
jedoch der Zensor
im gleichen Kopfe
rieb sich bedenklich
das fette Kinn:
Er solle damit noch etwas warten, vielleicht bis morgen,
wie er ihm riet,
mit der zu früh aufgestandenen Wahrheit
in jener Strophe von seinem Lied.

Am Dienstagabend wollt er es singen
bei seinem Gastspiel in Nettelbeck,
die Clubhausleiterin las die Texte
und legte einen der Texte weg,
denn diese Strophe sei ihrer Meinung
zwar völlig richtig,
doch zu direkt,
sowas wird heute
erst angedeutet,
das wird umschrieben
oder versteckt.
Der Sänger sollte damit noch etwas warten,
vielleicht ne Woche,
wie sie ihm riet,
mit der zu früh aufgestandenen Wahrheit
in jener Strophe von seinem Lied.

Nach einer Woche
gab er im Rundfunk
sein neues Liedchen
dem Redakteur,
der ihm versprach
es zu produzieren,
nur augenblicklich seis etwas schwer,
die gegenwärtig spezielle Lage sei kompliziert und nicht seine Schuld,
es hieße jetzt nichts zu überstürzen,
erst einmal Ruhe und viel Geduld.
"Sie sollten lieber noch etwas warten, vielleicht nen Monat",
wie er ihm riet,
mit der zu früh aufgestandenen Wahrheit,
in jener Strophe von seinem Lied.

Nen Monat später gab er beim Fernsehen das neue Lied in die Redaktion,
die fandens toll,
nur es passe leider
nicht in die Studiodekoration.
Die sei zartrosa,
alles im Nebel,
da sei das Liedchen wohl viel zu klar,
auch in der Leitung gäbs noch Bedenken,
das Lied sei gut,
bloß nicht dieses Jahr.
Er sollte damit noch etwas warten,
ein, zwei, drei Jahre,
wie man ihm riet,
mit der zu früh aufgestandenen Wahrheit,
in jeder Strophe von seinem Lied.

Nach zwei drei Jahren,
bei seinem Gastspiel
im kleinen Clubhaus von Nettelbeck,
hat er ganz mutig
das Lied gesungen,
die Clubhausleiterin lachte keck,
jedoch die Leute warn bisschen sauer,
es hat sie alles nicht interessiert,
was dieser Typ sang,
war Schnee von gestern,
jetzt wurde anders
hier diskutiert.
Da fuhr der Sänger betrübt nach Hause
und hat sich traurig ins Bett gestreckt,
am nächsten Morgen,
es war noch dunkel,
hat eine Wahrheit ihn früh geweckt.

Gerhard Schöne 1989

Comentarios 4

  • JF R 03/03/2005 15:01

    Das Erste, was mir dazu einfiel war:

    "Die Partei, die Partei, die hat immer Recht! Drum Genossen es bleibe dabei......"

    hat 'nen faden Beigeschmack.

    JF
  • † Sebastian Haerter 03/03/2005 10:42

    @Markus
    Danke! Das sollte auch so wirken. Zumal die Laterne die Form eines allsehenden Auges hat und zudem noch über allem steht.
    @Agnes
    Das Gedicht ist ein Lied...
    Du hast recht, dass es Horch und Guck nicht erst seit der Stasi gab. Allerdings hat die es zu einer gewissen perfiden Perfektion getrieben und mehr nach innen als nach außen gerichtet. Es ist einzig die Angst vor Macht- und Kontrollverlust, die zwanghafte Kontrolle verursacht. Das gibt es im Großen und sehr sehr oft im Kleinen...jeden Tag...leider...
  • Agnes Sos 02/03/2005 23:03

    Eben war das Gedicht noch nich da....
    Big Brother gibts nich erst seit der Stasi.
    Kontroll- und Überwachungsgesellschaft ist nicht zu vermeiden.
  • M.Gebel 02/03/2005 22:45

    Das Erdrückende, das Beobachtende, das Triste....bringt dein Bild fantastsich rüber! Ein Bild zum Wirkenlassen.:-)
    LiGrü
    Markus