Sabine Kuhn


Premium (Pro), Herne

. . . der cherub [2] – der höchste engel . . .

digital D20 – freehand – EBB



Von Beginn der Zeit an konnten sich weder Kirchenväter, Künstler noch die späteren
Bibelexperten darüber einig werden, das Aussehen der Cherubim und Seraphim
einheitlich festzulegen bzw. Kriterien dafür zu finden, Cherubim und Seraphim
deutlich voneinander zu unterscheiden.

In der Bibel ist an 91 Stellen von Cherubim die Rede. Ein Cherub (pl. Cherubim)
ist ein Geist-Wesen der jüdischen Mythologie, welches sich in der unmittelbaren
Nähe Gottes aufhält. Cherubim bilden die oberste Rangstufe der Engel.

Der hier gezeigte Tetramorph/Cherub in Form einer Reliefdarstellung ist in seiner
originären Ikonographie aus dem Hebräischen abgeleitet und mit den frühen
assyrisch-babylonischen Vorstellungen/Darstellungen als Vermittler-Gottheiten ilu karibu
und ilu kuribu, wie auch mit dem assyrischen karubu (= Priesterfürst) verwandt.



Im 3. Jahrhundert v. Chr. verstand die jüdische Gemeinde in Alexandrien
(Griechisch sprachig; in Ägypten) das Hebräisch der heiligen Schriften nicht mehr.
Daraufhin wurden diese Schriften ins Griechische übersetzt und es eröffneten sich
mannigfaltige Möglichkeiten, die Seraphim wie andere «Gottesboten» in
Menschengestalt abzubilden; die Cherubim wurden u.a. mit zwei Flügeln
versehen dargestellt.

Als man in der Mitte des 19. Jahrhunderts in den zweieinhalbtausend Jahre lang
verschütteten assyrischen Städten an den Eingängen zu Tempeln und Palästen
riesige Skulpturen von Mischwesen mit Löwenleib, Menschenkopf und großen Flügeln fand,
war naheliegend, dass man sich die biblischen Cherubim so vorzustellen habe.

Einer der frühesten Belege für das Mischwesen aus Menschenkopf und
Löwenleib (noch ohne Flügel) ist die berühmte Sphinx von Gizeh aus der Mitte
des 3. Jahrtausends v. Chr. In dieser „gefährlichen Gestalt“ bewacht der verstorbene
König das Nekropolen-Areal der Pyramiden. Bei den Pharaonen des Mittleren Reiches
waren Sphinxe besonders beliebt, denn sie strahlen dadurch, dass dem Löwen nicht
wie in Gizeh ein ganzer menschlicher Kopf aufgesetzt, sondern der Mähne nur gerade
ein menschliches Gesicht eingefügt ist, eine geradezu brutale Kraft aus.



Zwei Typen von Cherubs kommen in der christlichen Kunst zur Darstellung:
der Tetramorph in Anlehnung an die Visionen Ezechiels sowie beeinflusst durch
die Vorstellung der Apokalypse und der Cherub-Engel in Angleichung an die
übliche Engelsvorstellung.

In der byzantinischen Kunst (um 880 bis 886, Bibl. nat. gr. 510) lässt sich die Darstellung
ikonographisch in Funktion des reinen Cherub-Engels (als Paradieswächter) deuten.
Eine andere Theorie besagt, dass wohl gleichzeitig mit dem Tetramorph auch der Cherub
ausgebildet war. Man geht davon aus, dass sich der Cherub mit Menschengesicht
nicht als die reduzierte Form eines Tetramorphs darstellt, sondern dass sich diese
völlig selbständig entwickelt hat.



Von der Gestalt des Tetramorph abzuleiten ist das vierköpfige Tier, auf dem im
Hortus deliciarum die Ecclesia reitet. Hier soll die Einheit in der Vierzahl ausgedrückt
werden (anno 586; Evangelisten-Cherubs, vierflügelig, mit Rad und Nimbus).
Die vier Gesichter sollen die Allgegenwart Gottes symbolisieren, die vier Köpfe sind
Symbole für die vier höchsten Eigenschaften: Vernunft (Mensch, Kraft (Stier),
Furchtbarkeit (Löwe) und Schnelligkeit (Adler). Andere Bibelausleger wiederum sehen
in den vier Gesichtern/Köpfen ein Symbol für die vier Evangelisten des Neuen Testamentes.
Schließlich erkannte man im Tetramorph nicht nur ein Symbol der Kirche,
sondern Christi selbst (anno 1084).

Cherubim waren über die Renaissance bis in das Rokoko hinein beliebt und wurden
häufig als Tabernakel-Engel gestaltet.



LYRIK Erste Duineser Elegie [Auszug]

„Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der
Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von
seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch
grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen
verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist
schrecklich.“

[Rainer Maria Rilke]






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