Matthias von Schramm


Premium (World), Hamburg

Ein Mann denkt nach wie vor

Er hockt über seinem noch dampfenden Tagwerk, die Hände auf den behaarten piekenden Schenkeln aufgestützt. Es windet sich unter ihm wie eine Masse aus Hirn und Lunge.

„Herr Doktor, ich kann wie eine Brezel, wegen meiner besonderen Darmkurven!“, sagte er neulich zu seinem Fachzyniker.

Er wohnt noch im Altbau mit Holzgriff und Kette über ihm. Und unter dem Dach eine Art improvisierter Spülkasten, weil er angesichts der unübersichtlichen Handwerkermarktlage einmal im Leben Schwarzarbeit unterstützte.

Er stellt fest, dass die Zeit ihm entflieht, dass ihm dieser ganze moderne Liberalscheiß über „gemeinsam eine bunte Kuh mit einem besorgten Bürger rauchen“, auf den Geist geht. Was nützen ihm Gespräche, wenn sie zu Monologen führen, wenn die Bands, die er mag mit ihm nur noch über das Smartphone App chatten.

Er wünscht sich eine Epidemie mit der Folge des Zusammenwachsens. Er wünscht Hühnerhalter im Stadtpark und zwar solche - welche keine Ahnung von dem „Selbstgänger“ Frauenparkplätze haben. Er hat sich neulich ein Stadtfahrrad geliehen und ist damit nur gefahren um es am nächsten Terminal wieder abzustellen.

Dann hat er mit seinem Telefon ein Stadtauto gebucht, hat sich kurz einmal reingesetzt und hat kräftig „Einen fahren lassen“. Leise aber nachhaltig. Die gute alte Schule.

Ein moderner Mensch ist er dadurch nicht geworden. Früher hat er „Fix und Foxi“ auf der Toilette gelesen.

Ganz spontan klappt er seine alte H0 Anlage von der Schrankwand, im Sinne von: wenn schon Nerd - dann richtig – mit Nahverkehrsfanatismus und so. Leider hat er vergessen, dass er hinter dieser Klappe nach Mariannes Auszug seine Katze beerdigt hatte. Und das ist – lass mich Lügen – ein paar Jahre her.

Ihm ist für den Rest des Tages nicht gut.


11. Februar 2016




Foto: 16. Januar 2016

Das Volk ist nicht das Volk
Das Volk ist nicht das Volk
Matthias von Schramm

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