Regresar a la lista
Mainz hat seine ersten Stolpersteine

Mainz hat seine ersten Stolpersteine

15.922 14

Karl Kraft


Premium (Pro), Mainz

Mainz hat seine ersten Stolpersteine

...erst jetzt...

Hier der Bericht und der Kommentar über die ersten Mainzer Stoplersteine.
Mainzer Allgemeinen Zeitung (beides von: Bernd Funke)

"Stolpersteine" für Köpfe und Herzen

Mainzer Turnverein von 1817 erinnert an ermordeten jüdischen Vorsitzenden Ernst Castor

Vor dem Hause Breidenbacher Straße 19 brachte der Kölner Bildhauer Gunter Demnig vier der von ihm konzipierten "Stolpersteine" in die Gehweg-Pflasterung ein. Sie erinnern an die ermordeten Geschwister Cantor.

Vier "Stolpersteine" sollen vor dem Haus Breidenbacher Straße 19, dem Geburtshaus der jüdischen Geschwister Cantor, auf deren Deportation und Ermordung durch die Nazis erinnern. Solche Gedenksteine gab es in Mainz bislang nicht. Initiiert hat die Aktion der Mainzer Turnverein von 1817.

Sie sind ebenerdig in den Gehweg eingelassen, die vier kleinen Betonquader mit golden glänzender Messingplatte. Und doch sind sie "Stolpersteine" im Sinne des Kölner Bildhauers Gunter Demnig, der sie gestern selbst in den Boden versenkte. Mainz ist die 281.Stadt, in der Demnig seine 1993 geborene Idee verwirklicht. Rund 13000 "Stolpersteine" liegen bislang. "Man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen", zitiert der Bildhauer den Kommentar eines Schülers.

Die Stadt habe es dem Mainzer Turnverein (MTV) von 1817 nicht leicht gemacht, die Aktion durchzuführen, bedauern Vorstandsmitglieder des Vereins, der sich auf diese Weise nicht nur seiner im "Dritten Reich" unrühmlichen Vergangenheit stellen, sondern vor allem auch an seinen lange vergessenen jüdischen Vorsitzenden Ernst Cantor erinnern will.

Cantor, im Hause Breidenbacher Straße 19 geboren, wurde 1911 Vorsitzender des MTV. Im April 1933 wurde der Versicherungskaufmann im Zuge der Beschlussfassung der Deutschen Turnerschaft zur Umsetzung des "Arierparagrafen" aus dem Verein ausgeschlossen. 1939 musste er in ein so genanntes Judenhaus umziehen, aus dem er am 25. März 1942 mit dem ersten großen "Judentransport" aus Mainz deportiert wurde. Wenig später wurde Ernst Cantor, dem der MTV unsäglich viel zu verdanken hatte, in einem Vernichtungslager der Nationalsozialisten ermordet. Seine Geschwister Anna und Paul (beide Mainz) und Max (Berlin) erlitten das gleiche Schicksal.

Vor einer kleinen Gruppe, die das Einbringen der vier "Stolpersteine" für Ernst Cantor und seine Geschwister mit positiven Kommentaren begleiten, nutzt Rainer Brechtken, der Präsident des Deutschen Turner-Bundes (DTB), die Stunde, um zu erklären, dass sich der DTB seiner Verantwortung bewusst sei. Brechtken erinnert daran, dass die Deutsche Turnerschaft schon knapp sechs Wochen nach Hitlers "Machtergreifung" und lange vor der Gleichschaltung den Ausschluss aller jüdischen Mitglieder beschlossen habe. Es sei wichtig, sagt der Turner-Präsident, "dass sich die Vereine dieser Vergangenheit erinnern, die auch ihre eigene ist". Sein Wunsch sei, dass "Stolpersteine" in vielen Städten an die Verbrechen des Nationalsozialismus erinnern. "Wir müssen die Konsequenzen ziehen. Gerade als Sportler sind wir verpflichtet zu Toleranz." Und Brechtken erinnert daran, dass die höchste Ehrung, die der DTB zu vergeben hat, die Flatow-Medaille sei, die den Namen der jüdischen Cousins Alfred und Gustav Felix Flatow trage.


Ein überfälliges Zeichen
Bernd Funke zu "Stolpersteinen"

Niemand kann sagen, er habe nicht gewusst, dass das "goldige Määnz" in der Zeit der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten nicht anders mit den hier lebenden Juden umgegangen ist als andere Städte des "Dritten Reichs". Rund 1100 Todesopfer sind durch Deportationslisten für die Vernichtungslager bekannt. Nachzulesen in der Schrift "Als die letzten Hoffnungen verbrannten" von Dr. Anton Maria Keim.
Niemand darf vergessen, um die Wiederholung der Verbrechen wider die Menschlichkeit zu verhindern. Namen wie die der Geschwister Cantor spiegeln Geschichte, machen nachdenklich, mahnen zur Vor- und Umsicht. Es ist ein gutes Zeichen, das der Mainzer Turnverein von 1817 mit der Aktion "Stolpersteine" gesetzt hat. Ein gutes und längst überfälliges Zeichen, das einer Stadt wie Mainz gut zu Gesicht gestanden hätte, noch bevor in 280 anderen Städten diese Barrieren des Geradeaus- und Darüberhinweg-Sehens installiert wurden.
Aber "Stolpersteine", auch die geistiger Natur, sind nun einmal unbequem. Und mit ihnen, die an Zeiten des Grauens erinnern, ist eben weniger Werbung zu machen, als etwa mit "Sternen der Satire". Wobei nicht wenige jener Vor- und Querdenker, deren Namenszüge auf Metallplatten eingelassen wurden, ebenfalls Opfer der NS-Herrschaft wurden. Mainz muss zu beidem stehen. Zu glanzvoller Vergangenheit und zum Grauen. "Stolpersteine" können dabei Meilensteine sein.

Comentarios 14

  • Matthias Endriß 27/11/2007 16:15

    Ich finde die Aktion gut... Bei uns war sie auch im Gespräch, wurde aber im Stadtrat abgelehnt.
    LG Matthias
  • Erik Eppelmann 13/11/2007 9:19

    Klasse Karl - vielen Dank, dass du uns das festgehalten hast. Ich werde mir die Steine auf jeden Fall ansehen gehen. In Berlin habe ich ebenfalls schon welche gesehen.

    VG
    Erik
  • Peter Philipp (PP) 11/11/2007 15:35

    Da hast du deinem Ruf als Dokumentarfotograf ja wieder alle Ehre gemacht! Gut gesehen und toll präsentiert. ...und zum Nachdenken regt dein Bild auch noch an...
    Lg Peter
  • † Dieter Goebel-Berggold 11/11/2007 12:56

    Die habe ich noch gar nicht gesehen. Na ja, so oft bin ich auch nicht in Mainz. Jetzt war ich mal öfter da wegen meiner Ausstellung in der Altstadt Galerie.
    Danke für die Info !
    Gruss Dieter
  • Alexandra G. 11/11/2007 8:26

    einfach klasse - die Aktion, der Bericht und auch dein Foto

    lg Alex
  • ChaGü 10/11/2007 23:05

    Man bleibt hängen und liest und liest... Dein Foto regt sehr zum nachdenken an.
    Gut, dass der MTV so einen rührigen Vorstand mit Durchsetzungsvermögen hat.
    Vielen Dank für deine Arbeit.
    Gruß,
    Charlotte
  • Cordula Betz 10/11/2007 22:15

    Sehr gut, dass du die so schön und gestochen scharf festgehalten hast und noch viel besser, dass du sie hier in der FC zeigst und uns alle darüber stolpern lässt... LG Cordula
  • wmab 10/11/2007 21:54

    Gut gesehen und Text informativ.
    LG Werner aus Meenz
  • UweB 10/11/2007 21:27

    Eine sehr lobenswerte Aktion des Vereines. Gestolpert bin ich über die Reaktion der Stadt Mainz. Das ist mehr als peinlich. Es hat sich also seit meiner Schulzeit nix geändert. In Geschichte haste die Sandalengrösse jedes griechischen und römischen Soldaten gelernt. Die französische Revolution wurde in einem Zustand der Glückseeligkeit rüber gebracht, als würde die Mutter mit ihren Kindern am 3. Advent über Weihnachten reden. Die industrielle Revolution wurde bis in die kleinste Schraube der Dampfmaschinen durchgekaut, aber die Deutsche Geschichte ab 33 ist in 4 Wochen durchgepeitscht worden. Nach dem Motto da hatte Deutschland mal einen Schnupfen. Nix Schlimmes, Ging schell vorbei. Von rechts drohte nie Gefahr, nur von links. Das Ergebnis dieser Blindheit sehen wir ja heute.
    Danke für's Zeigen und Wachrütteln.
  • Juergen W. 10/11/2007 20:54

    Hallo Karl - wieder einmal ein tolles Bild aus Mainz, was die Sache jedoch immer so interessant macht sind deine Erklärungen! Ich finde das super !!!!
    LG Jürgen
  • Hildegard Schultheis 10/11/2007 20:44

    Zuerst konnte ich gar nichts zu dem Motiv sagen
    und jetzt, wo die Erläuterungen darunter stehen auch wieder nichts
    - sehr eindrucksvoll
    ++++++++++++++++++

    :-))
  • pictures4art de 10/11/2007 20:16

    Gegen das Vergessen.

    LG Klaus
  • Katjuschka W. 10/11/2007 19:55

    Davon habe ich schon in einer Doku gehört.
    Das Thema erschwert mein Herz heftig wie
    beim ersten Erfahren...
    Mehr will ich heute nicht dazu sagen.
    Ernstes Gedenken von Katjuschka
  • Monika Schmiedgen 10/11/2007 19:34

    Ein kleiner Stolperer kann schon mal zum Nachdenken anregen, wohin man eigentlich geht... gut so.
    Gruß, Monika