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Premium (World), Franken

100 Meter

Hundert Meter vor mir plötzlich Unruhe. Der Verkehr kommt ins Stocken, ein Stau baut sich rasend schnell auf. Gerade noch kann ich bremsen, auch der Wagen hinter mir schafft es nur knapp. Stillstand.

Hundert Meter vor mir steigen Leute aus, laufen vor. Immer mehr. Zu viele. Stehen rum, gaffen. Die meisten Motoren sind jetzt aus. Gespenstische Stille. Von hinten Blaulicht und Martinshorn.

Hundert Meter vor mir kommen Leute zurück. Langsam. Nachdenklich. Das Polizeifahrzeug kämpft sich von hinten durch. Wie immer hat man kaum eine Gasse gelassen, einzelne Fahrzeuge stehen fast zwischen den Spuren, wahrscheinlich um besser sehen zu können. Endlich ist es durch. Von hinten kommt ein zweites.

Hundert Meter vor mir scheuchen die Beamten die Leute weg, weiter zurück. Die meisten gehen zurück zu ihren Fahrzeugen. Einige bleiben vorne stehen, gaffen weiter. Von hinten immer wieder Blaulicht. Ein Notarztwagen fährt zur Unfallstelle vor, kurz darauf ein Feuerwehrfahrzeug, zwei Krankenwagen.

Hundert Meter vor mir werden die Gaffer weiter zurückgedrängt. Von fern ein Brummen in der Luft, wird lauter, ein Rettungshubschrauber kreist, sucht einen Landeplatz. Die Kinder sind begeistert. Es herrscht inzwischen eine Art Picknickstimmung. Kinder spielen zwischen den Fahrzeugen, viele Leute sind ausgestiegen, vertreten sich die Beine, essen, trinken, pinkeln am Straßenrand.

Hundert Meter vor mir tun die Helfer was zu tun ist. Lange. Sehr lange. Kamen sie noch rechtzeitig? Ich will nicht weiterdenken. Verdränge. Hinten wieder Bewegung. Motorradfahrer müssen unbedingt ganz vor fahren, winden sich zwischen Leuten, Kindern und Hunden durch. Abschleppwagen schieben sich langsam durch die Gasse vor.

Hundert Meter vor mir startet der Rettungshubschrauber wieder. Steigt langsam hoch und dreht dann ab. Auch die Rettungsfahrzeuge fahren ab. Langsam, ohne Blaulicht.

Hundert Meter vor mir rollen die ersten Fahrzeuge an. Die Leute steigen wieder in ihre Fahrzeuge, lassen die Motoren an. Langsam löst sich der Stau auf. An der Unfallstelle ist außer ein paar großen undefinierbaren Flecken auf der Fahrbahn nichts mehr zu sehen.

Hundert Meter vor mir ... hätte ich auch sein können.

Comentarios 23

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  • crissi49 04/03/2015 1:02

    Genau diese Geschichte hab ich letzten August kurz vor Passau erlebt. Auch 100 Meter vor der Unfallstelle.
    Und genau so wie Du es beschrieben hast war es. Wenn Du das Foto nicht im Juni eingestellt hättest, dann hätte ich gedacht, Du beschreibst den gleichen Unfall. Ja, 100 Meter weiter und ich hätte das auch sein können. Die Mahnung Leute, fahrt vorsichtig stimmt schon, aber ist es nicht oft so, dass es gerade die trifft, die nicht gerast sind?
    Herzliche Grüsse Crissi
  • Ryszard Basta 30/06/2014 20:47

    Sehr gut geschrieben
    und sofort kommt mir
    ein Film in Gedaechtnis
    mit Bruce Willis ...6 Sinn
    oder aehnliches.
  • Trugbild 29/06/2014 21:27

    Das ist auch total interessant. Sowas meinte ich gerade, mit diesen nichtalltäglichen interessanten Ansichten. Sehr gut gesehen.
    Viele Grüße Adi
  • Bettina Bürgel-Stein 29/06/2014 11:06

    deine schilderung ist einfach oberspitze und geht unter die haut!
    und du hast recht.....
    LG Bettina
  • Brigitte Specht 28/06/2014 18:55

    ...mit diesem Foto und Deinen und auch den anderen Anmerkungen zu diesem Foto kommen auch bei mir so einige Erinnerungen an viele Autofahrten mit solchen Situationen hoch!
    L.G.Brigitte
  • gerda schmid 26/06/2014 17:51

    Das hat sich eingeprägt, hoffentlich verhält man sich auch dementsprechend.Bin immer froh, wenn alle wieder gesund heimkommen, es ist nicht selbstverständlich, darum sollten wir dankbar sein. LG Gerda
  • Petra Jacobi 26/06/2014 14:55

    Eine gelungene Dokumentation in Wort und Bild. Deine Geschichte geht unter die Haut.
    SW unterstreicht die Aussage.

    Ich bin auch mal in einer ähnlichen Situation gewesen. Es geschah an einem Wintertag. Das Wetter war so, wie man es sich als Fahrer im Winter nicht wünscht. Ungefähr zur selben Zeit als ich zu Hause losfuhr, noch vor 6:00 Uhr, machte sich eine Junge Frau auf den Weg zu ihrer Arbeit, höchstens 15 km von zu Hause entfernt.
    Ihr Auto noch relativ neu.
    Ihr erster Winter mit ihm unterwegs. An einem vereisten Berg verlor sie die Kontrolle über ihr Fahrzeug...
    Ein Hubschrauber wurde nicht mehr gebraucht...

    Ich kam aus der Gegenrichtung, hatte noch einen langen Weg vor mir, verfluchte das Sch...wetter.
    Polizei und Feuerwehr waren gerade eingetroffen. Ich stand nicht weit von der Unfallstelle entfernt.
    Zum Schluss, als alle Fahrzeuge ihre Fahrt fortsetzen konnten, stand nur ich noch da. Schon längst hatte die Batterie meines Autos den Geist aufgegeben. Es herrschten Minusgrade. Mitarbeiter meiner Werkstadt, die ich informiert hatte, machten sich trotz des Schneegestöbers auf den Weg, um mir zu helfen. Sie wurden von der Polizei nicht bis zu mir durchgelassen, weil die Unfallstelle weiträumig abgesperrt war. Die Polizei fühlte sich nicht zuständig mir zu helfen, weil sie wegen des Unfalls anwesend waren.
    Erst als auch das Unfallfahrzeug geborgen war, konnten mir die Feuerwehrleute helfen.
    Mir Starthilfe zu geben war eine Angelegenheit von wenigen Minuten.
    Es war nach 10:00 Uhr.
    An diesem Tag fuhr ich nicht mehr zur Arbeit.

    Diese Geschichte fiel mir beim Lesen deiner Geschichte wieder ein.
    Lieben Gruß Petra



  • Pixelfärber 26/06/2014 1:31

    Wer nicht gafft, sieht mehr! Ein breites Spektrum an Fehlverhalten. Realistisch anschaulich berichtet in chronologischer Dramatik ohne zu dramatisieren. Der Text ist stark, der Leser macht sich seine Gedanken. Die direkte Ansprache an den Leser nach dem Ende des Berichts hätte ich weggelassen.

    Das Foto ist gut gestaltet und passt, es illustriert die Situation, mehr brauche ich nicht zu sehen, auch keine Gaffer.
  • Annedore Schreiber 25/06/2014 21:13

    Deine bedrückenden Schilderungen lösten bei mir Erinnerungen aus, die Jahre zurückliegen. In der gleichen Situation habe ich mich ebenfalls befunden, spät abends auf einer Landstraße. Gaffer, die nach vorn liefen, Feuerwehr und andere Rettungsfahrzeuge. Das Schlimmste waren die Schreie der Verletzten, die ich nie vergessen kann.
    Vielleicht trägt Dein Foto und Dein Bericht dazu bei, dass alle vorsichtig fahren. Und bitte keine Gaffer, die die Rettung behindern.
    LG Annedore
  • W.H. Baumann 25/06/2014 19:57

    Du hast das sehr eindrücklich dokumentiert und zusammen mit dem passigem s/w-Bild geht es noch mehr unter die Haut.
    VG Werner
  • Reinhold Müller 25/06/2014 19:21

    Das wünsche ich keinem. - Deshalb immer Augen auf und schön Abstand halten.
    LG Reinhold
  • Renate Wagner 25/06/2014 19:08

    gerade heute nachmittag habe ich wieder einmal fast 3 stunden fahrt auf autobahn und co. gemacht und ich muss sagen, ein mulmiges gefühl ist mein ständiger begleiter. baustellen und der immer dichte verkehr lassen es buchstäblich "eng" werden.... und ich bin wie du dankbar, wenn es ein gutes ende genommen hat.
    ja, es könnte auch einen selbst treffen, immer......
    nachdenkenswertes, und gut.....
    lg, renate
  • pts 25/06/2014 19:01

    Vorbildlich !
    Die "Gasse" ist frei, Hilfe kann an die Unfallstelle kommen. Menschenleben können gerettet werden ! Die Aufnahme spricht für sich.
    Dein Kommentar bespricht alle Varianten des Fehlverhaltens einiger "vieler Autosteuerer", die sich wenig Gedanken machen und sehen wollen, wie es aussieht, wenn da jemand liegt. Ein Foto vom Geschehen ist wichtiger, als Hilfe zu leisten. Ich bekomme eine Gänsehaut !!!
    Tschüssing Horst, ich hoffe, Du hast es inzwischen überwunden,
    peter
  • Kees Koomans 25/06/2014 18:24

    Serh gut dokumentiert! LG. Kees.
  • Marianne Th 25/06/2014 17:58

    Ein eindringliches Bild zu deinem dramatischen Situationsbericht.....deine Reportage gefällt mir sehr.
    LG marianne th