Antenne - Ilya Kabakov
Westfälische Nachrichten Münster:
Anfangs gab es rasch viele blanke Stellen im Gras, weil einige kaum genug bekommen konnten von diesem Gefühl: Romantik nicht als Konsum, sondern als Erlebnis. Poesie on air. „Ich möchte keine Problemdiskussion, sondern Herz, Seele und Literaten ansprechen“, hatte Ilya Kabakov im April 1997 sein Projekt vorgestellt. Und sein Versprechen gehalten.
Seine Aasee-„Antenne“ eroberte flugs die Herzen der Münsteraner. Und sie gefiel dem Verein der Kaufmannschaft derart gut, dass er beschloss, das Kunstwerk zu kaufen als ein Geschenk an die Stadt. Woran liegt’s, dass dieser Sendemast anders bewertet wird, als ähnliche technische Freiluft-Geräte wie Parabol-Antennen, Wind-Räder oder Handy-Masten?
Das Zitat soll einem stürmenden und drängendem Brief des Johann Wolfgang von Goethe entstammen. Doch der Titel „Dichterfürst“ allein macht aus einem kunstgrimmigen Volkswolf noch keinen sanften Löwen. Was an die Volksseele appelliert, ist der Inhalt der zwei mal neun Buchstabenzeilen zwischen den 18 Metallstangen und die Form. Denn hier ist ein Brief ins Himmelblau geschrieben. Oder kommt die Post vom Himmel?
Kabakov erinnert daran, wozu Technik gemacht ist. Nicht, um uns noch effizienter durchs Leben zu hetzen, sondern Muße und Zeit zu gewinnen, um sich ins Gras am Aasee zu legen, auf den Wind zu hören, die Wolken zu sehen und?.?.?.
Und dass die schönen Zeilen nicht direkt der Feder des Deutschen, sondern der Nachempfindung des Russen entflossen sind, stört höchstens die spröde Wissenschaft. Kabakov jedenfalls fand das Missverständnis schmeichelhaft.
Übrigens: In Goethes "Die Leiden des jungen Werther " (1774/1787) gibt es im ersten Buch eine Stelle, auf die das Kabakov-Zitat Bezug zu nehmen scheint, dort heißt es im Brief vom 10. Mai: "Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen genieße. Ich bin allein und freue mich meines Lebens in dieser Gegend, die für solche Seelen geschaffen ist wie die meine. Ich bin so glücklich, mein Bester, so ganz in dem Gefühle von ruhigem Dasein versunken, daß meine Kunst darunter leidet. Ich könnte jetzt nicht zeichnen, nicht einen Strich, und bin nie ein größerer Maler gewesen als in diesen Augenblicken. Wenn das liebe Tal um mich dampft, und die hohe Sonne an der Oberfläche der undurchdringlichen Finsternis meines Waldes ruht, und nur einzelne Strahlen sich in das innere Heiligtum stehlen, ich dann im hohen Grase am fallenden Bache liege, und näher an der Erde tausend mannigfaltige Gräschen mir merkwürdig werden; wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen, die unzähligen, unergründlichen Gestalten der Würmchen, der Mückchen näher an meinem Herzen fühle, und fühle die Gegenwart des Allmächtigen, der uns nach seinem Bilde schuf, das Wehen des Alliebenden, der uns in ewiger Wonne schwebend trägt und erhält; mein Freund! Wenn's dann um meine Augen dämmert, und die Welt um mich her und der Himmel ganz in meiner Seele ruhn wie die Gestalt einer Geliebten – dann sehne ich mich oft und denke : ach könntest du das wieder ausdrücken, könntest du dem Papiere das einhauchen, was so voll, so warm in dir lebt, daß es würde der Spiegel deiner Seele, wie deine Seele ist der Spiegel des unendlichen Gottes! – mein Freund – aber ich gehe darüber zugrunde, ich erliege unter der Gewalt der Herrlichkeit dieser Erscheinungen."
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