Blende acht, die Sonne lacht

Blende acht, die Sonne lacht

Leica M3, Summicron 50mm, Film

Georg, der sich im Grunde längst in die Leica verguckt hatte, sah sich bestärkt in seinem Vorhaben und brauchte nicht mehr lange, sich auf das Angebot einzulassen, unter der Bedingung freilich, betonte er nachdrücklich, dass ein Tragegurt im Preis enthalten sei. Er brauchte dieses Gefühl, nicht den erstbesten Preis zu akzeptieren. ... Der Photohändler, den die vielen Lebensjahre nicht nur grau, sondern auch ein bisschen weise hatten werden lassen, war mit diesem Gefühl seiner Kunden sehr wohl vertraut. Er zögerte kurz, faltete die Stirn, schien nachzudenken, abzuwägen, zu kalkulieren, willigte aber alsbald, noch bevor das Innehalten als kleinlich hätte gewertet werden können, in diesen Handel ein mit einem Gestus, der anzusiedeln war zwischen Entsagung und mitfühlender Großzügigkeit: ein Kammerspiel. Während Georg seine PIN in das EC-Kartenlesegerät tippte, legte der Händler ihm auch noch einen Ilford HP5 in die Filmkammer der Leica, fädelte den Anfang des Films in die gegenüberliegende Spule ein und schloss dann die Kamera. Gratis.
An Georgs Seite – mal heiter hüpfend, mal gelassen baumelnd an einem alten, mit den Jahren des Gebrauchs geschmeidig gewordenen ledernden Tragegurt – verließ die Leica erwartungsvoll den Laden, der ihr zunächst Pflegeheim, dann Ruhestatt gewesen war, um in den Händen ihres Liebhabers mit dem Licht der Straßen von Paris zu malen und den Nachweis von einem Leben nach dem Tod zu erbringen. Ihre Beschwingtheit angesichts eines vereitelten Endes übertrug sich auf Georg und trug ihn zusammen mit seiner einäugigen Gefährtin in eine Bar, wo die beiden Flaneure bei einem Café einander näher kennenlernten. Der Milchcafé wärmte und regte an, und als der Kellner ihm nach dem Café noch einen Cognac servierte, war Georg bereits so weit stimuliert, dass er ein erstes Mal schüchtern den Auslöser drückte, nachdem er zuvor, Blende und Belichtungszeit schätzend, auf den Ort, an dem das Tablett mit dem Glas vorüberschweben würde, fokussiert hatte. Obgleich er noch keineswegs wusste, ob das Glück, dessen es ja immer bedurfte, ihm bei dieser Aufnahme letztendlich hold sein würde, durchströmte ihn ein gleichnamiges Gefühl schon jetzt. Es ließ sich greifen, hören, sehen.

(Textauszug, Blende acht, die Sonne lacht)

https://www.fotocommunity.de/photo/titeltb-alfons-gellweiler/47463887