Bremsprobe
Deutschland deine Vorschriften.
Wer stönt nicht angesichts der Flut von Bestimmungen und Anordnungen, die uns scheinbar das Leben nur schwer machen wollen. Der Eisenbahner denkt da anders. Für ihn sind Vorschriften und Bestimmungen immer Dinge, die Sicherheit schaffen. Nehmen wir die Steilstreckenvorschrift.
Zugegeben, das ist schon etwas extremes und es leuchtet gewiß jedem ein, daß hier besondere Sorgfalt anzuwenden ist. Und sonst ? Noch heute gilt der Grundsatz, Sicherheit steht an erster Stelle. In der alten Fahrdienstvorschrift lautete es: Der Eisenbahner im Betriebsdienst hat an erster Stelle für die Sicherheit des Betriebes zu sorgen. Das sagt doch alles.
In der bereits erwähnten Steilstreckenvorschrift wird ganz besonderer Wert auf die Bremsprobe gelegt. Da wird unter anderem eine volle Bremsprobe verlangt, d.h. jeder einzelne Wagen wird kontrolliert, ob beim ihm die Bremsen funktionieren. Das leuchtet ein. Aber es dauert eben seine Zeit. Daß aber eine Bremsprobe manchmal längert dauert, als einem lieb ist . Davon kann so mancher Lokführer ein Liedchen singen. Wie schon beim letzten Bild angekündigt, ich auch:
Samstag morgen. Sternklarer Himmel, aber leichter Bodennebel. Es ist fünf Uhr. Der Nachtheizer wird von mir abgelöst. Das Feuer liegt gut und nur wenige Schaufeln genügen, um ein gutes Grundfeuer aufzubauen. Mein Heizer ist schon einen Tag länger dabei und hat bis spät in die Nacht an der verflixten Lichtmaschine gearbeitet, die es mal wieder nicht tun wollte. Er darf deshalb noch schlafen. Ich habe schon die Schmiergefäße kontrolliert und aufgefüllt, als mein Heizer kommt und eigentlich kann es jetzt losgehen. Es ist schon ein Vorteil, wenn die Lok längere Zeit im Feuer bleibt. Doch für ´nen Kaffee und ein paar Brötchen reicht die Zeit alle mal. Kurz vor acht erscheint der Lotse und bringt die neue Fahrplananordnung mit. Ein paar unwesentliche Änderungen für die Zuglok bei der Bergfahrt. Alle Befehle entfallen. Es werden die planmäßigen Gleise benutzt. Für die talfahrende Zuglok sind dagegen wegen Fahrt auf falschem Gleis Befehle erforderlich. Die Fahrzeiten haben sich nicht geändert.
Jetzt muss es aber flott gehen. Einen Packwagen vorziehen, umfahren, vor den Packwagen setzen, mit dem Packwagen an den Zug, Schiebelok an das andere Zugende ranfahren, den Zug zurückdrücken und schließlich mit dem Zug an den Bahnsteig. Hört sich einfach an. Nur wer den Bahnhof Ohligs kennt, weiß um die Sägefahrten, die nötig sind, um von den Nebengleisen auf’s Hauptgleis zu gelangen.
Bremsprobe. Die muss sein. Also schaue ich, ob der Zugführer den Auftrag ”Bremsen anlegen” gibt. Ja, im Gewühl der Menschen ist eine Handlampe zu sehen, die eindeutig das Zeichen gibt. Also lasse ich 0,5 bar aus der Hauptluftleitung und ich schaue wieder zum Zugführer. Erneut kommt das Signal ”Bremsen anlegen”. Nun denn, dann wird der Druck auf 0,7 bar gesenkt. ”Das kann ja heiter werden, wenn die Bremsen so spät ansprechen.” denke ich mir. Wieder erscheint ”Bremsen anlegen”. Mehrfach und heftig. Der Zugführer steht offensichtlich unter Druck. Dann mache ich eben eine Vollbremsung. Und wieder sehe ich das Signal ”Bremsen anlegen”. Diesmal viermal hintereinander und ganz besonders heftig. Jetzt reicht’s mir . Runter von der Lok, da ist doch was faul. Alle Bremsschläuche kontrolliert. Zwischen Lok und Packwagen ist alles in Ordnung. Dem Heizer ist kein Vorwurf zumachen, das Kuppeln mit dem Packwagen habe ich ja selbst überwacht. Aber siehe da, zwischen Zug und Packwagen war die Schlauchverbindung gekuppelt, aber die Absperrhähne nicht geöffnet. Da hat der Rangierer wohl was vergessen. Alles beruhigt sich wieder und erneut wird das Signal gegeben. Diesmal folgt erwartungsgemäß ”Bremsen lösen”. Und mit der mündlichen Meldung ”Bremsen in Ordnung” strahlen nicht nur wieder die Gesichter der Beteiligten sondern auch der Himmel.
Scan eines Paperbildes. Es zeigt den Museumszug im Bf Letmathe Ausganpunkt der Steilstrecke nach Iserlohn.
GelsenBuer 28/09/2012 14:13
Geschichte, die lebendig wird, eine klasse Aufnahme dieses Zuges.VG Reiner
Joachim Engelbracht 09/08/2012 23:13
Den Mann mit dem Hammer habe ich das letzte mal in den 60igern gesehen.Klopf klopf. Haben die Bremsen angezogen und wieder gelöst oder nicht. Kleine Klangprobe am ganzen Zug. Meldung an Zugführer: Bremsen Ok.
Der Lokführer beugt sich aus dem Fenster und wartet auf das Zeichen vom Zugführer das es endlich los geht.
Der Heizer hat es gut gemeint und die alte Dame steht mächtig unter Druck.
Dann kommt die Erlösung. Ein schriller Pfiff aus der Pfeife und ein weißes Täfelchen mit grünem Rand.
Der Blick des Lokführers wendet sich vom Fenster ab auf seine Manometer.
Die Steuerung steht und die linke Hand öffnet den Schieber.
Die Räder drehen durch. Schieber zu und etwas Sand. Und mit viel Gefühl noch mal.
Get doch!!!!! Und sie will rennen die gute alte P8.
Irendwann haben wir alles mechanische Wissen verlohren. Aber wir können ja Googelen. Wenn wir denn Strom haben.
Schönes Foto und Doku.
Liebe Grüße: Achim
Steffen°Conrad 09/08/2012 17:51
Ein sehr ansprechendes Bild-und eine sehr gute Geschichte.
Wie wichtig Bremsproben sind, zeigten uns aktuell Elsterwerda und Hosena-
Unschuldige büßten für Versäumnisse anderer...
vgconni
focusfinder 08/08/2012 21:39
schöne szene, super eingefangen. ein stück echte bahn. und ein tolles lok/wagen gespann. liebevoll und gut gepflegt. ja, und auch gut, dass auf die sicherheit geachtet wird, auch wenn wir deutschen ja die weltmeister der bananenbiegeradienverordnungen sind ;-).
vlg markus
IC524Rheinland 08/08/2012 19:56
Hallo Heinz,die Aufnahme und die Beschreibung ist super!
Anbei: Danke für Deine Fotomail.
Gruß
IC 524/ Tim
Thomas Reitzel 08/08/2012 18:01
Dein Text beschreibt sehr anschaulich, warum die vollständige Bremsprobe in gewissen Fällen durchgeführt werden muß.Durch menschliche Fehlhandlungen oder einfaches Unterlassen zeigt sich unmittelbar der Sinn der Vorschriften, die, wie alle Eisenbahner wissen, "mit Blut geschrieben" sind.
MbG, Tom
Andreas Pe 08/08/2012 14:36
Da wurde wieder sehr schön aus dem wahren Eisenbahnleben berichtet. Und was für schlimme Folgen eine nachlässige Bremsprobe haben kann, dafür gibt es ja Beispiele in nicht zu ferner Vergangenheit..VG Andreas
Dieter Jüngling 08/08/2012 13:43
Klasse Betriebsaufnahme. Auch wenn es ein Sonderzug ist. Sicherheit bleibt Sicherheit.Und wer kenn nicht ähnliche Beispiele aus seinem Alltag?
Auf meinem Ausbildungsbahnhof, Oberhof (Thür), war es zwingend Vorschrift, bei allen Güterzügen und in beiden Richtungen talwärts, eine Bremsprobe duchzuführen. Die hatte in der Art zu erfolgen, dass mit Luftdruckmanometer, an der Luftleitung des letzten Wagens, der erforderliche Druck mit zu prüfen war.
Lag dieser unter 4,6 at. durfte der Zug seine Fahrt nicht fortsetzen. Bei den meisten Güterzügen lag das Zugende immer gut 200 Meter im Brandleitetunnel. Das erschwerte die Bremsprobe zum einen wegen der Dunkelheit und zum anderen wegen der Abgase der vielen Dampfloks, die das atmen oft schon zum Risiko werden ließen. Deshalb gingen wir nur mit unseren Karbitlampen in den Tunnel. Wenn die ausgingen, fehlte der Sauerstoff.
Ja, so war das bei uns um 1970.
Gruß D. J.