Charly Graf - ein Sohn Mannheims
http://www.youtube.com/watch?v=vSL5AHhpi6U
Nach ganz oben hat er es nie geschafft, ganz unten war dagegen schon oft. Das Leben des ehemaligen Mannheimer Profiboxers Charly Graf ist der Stoff, aus dem Filme gemacht werden. Einer, der Dokumentarfilm „Schwarzer Graf“, wurde im November vorgestellt, ein Spielfilm ist in Arbeit.
Es ist die Geschichte eines geläuterten Sünders. Aber hat seine Geschichte auch ein glückliches Ende? Seinen größten Kampf hat er jedenfalls noch nicht gewonnen.
Es gibt offenbar Dinge, die man besser verschweigt oder verschämt versteckt. Im Brockhaus-Sonderband zum Mannheimer Stadtjubiläum sucht man ein Kapitel über die Benz-Baracken ebenso vergebens wie einen Artikel über Charly Graf. Dabei haben die Slums und der ehemalige Profiboxer oft für bundesweite Aufmerksamkeit gesorgt. Die Lebensverhältnisse in der Obdachlosensiedlung nahe des Benz-Werkes waren immer wieder das Thema von Fernseh- und Zeitungsreportagen. In einer ARD-Dokumentation von 1955 sieht man den damals vier Jahre alten Charly Graf in den Armen seiner Mutter Elisabeth.
Seinen Vater, den schwarzen US-amerikanischen Gefreiten Charles Blackwell, der kurz nach der Geburt seines Sohnes in die USA zurückkommandiert wurde, hat er nie gesehen. In den Benz-Baracken aufzuwachsen, diesem tristen, deprimierenden Wohngetto der Abgeschriebenen, Asozialen und Kriminellen, das ist ein soziales Todesurteil. Kaum einer schafft den Weg nach draußen, die soziale Diskriminierung schweißt die „Barackler“ zusammen. Ihr Wir-Gefühl ist ein Schutzpanzer – gegen die Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit und gegen das Gefühl, nichts wert zu sein. Aber Charly Graf hatte es doppelt schwer, denn seine Hautfarbe stempelte ihn noch einmal zum Außenseiter.
Die Erinnerungen an seine Kindheit gleichen einem Alptraum. Der hat Spuren hinterlassen. Die bedrückendsten Szenen in „Schwarzer Graf“ zeigen ihn in der Wohnung seiner Mutter, die todkrank auf dem Sofa liegt – sprachlos. „Sie brachte immer irgendwelche Typen mit“, erinnert sich der 56-Jährige. Einmal sind vier, fünf Männer in der Wohnung. Als der kleine Charly auf sie einschlägt, bricht ihm einer von ihnen den Arm. Quälende Erinnerungen an eine von allen Seiten ungeschützte Existenz.
Aber offenbar hat der Heranwachsende Glück. Seine Physis prädestiniert ihn offenbar zum Leistungssportler. Die Erfolge im Sport zeigen ihm den Weg nach draußen, raus aus dem Dreck, geben ihm Selbstbewusstsein. 1969 wird er im Gewichtheben Deutscher Jugendmeister und bei den deutschen Juniorenmeisterschaften im Boxen Zweiter. Graf, der auch beim VfB Gartenstadt und später bis zur A-Jugend beim SV Waldhof kickt, entscheidet sich für das Boxen. Es war keine glückliche Entscheidung, denn ohnehin ist es fragwürdig, ob die Scheinwelt des Profisports alles gutmachen kann, was Vater, Mutter und Gesellschaft an dem Kind und Jugendlichen Charly Graf versäumt haben. Und dann auch noch ausgerechnet das Profiboxen, ein Sport, der im Dunstkreis der Halbwelt angesiedelt ist. „Der sieht aus wie eine Million Dollar“, soll sein damaliger Promoter Joachim Göttert über Graf gesagt haben.
Am 14. November 1969 gibt der „Ali von Waldhof“ sein Debüt als Profiboxer. Der Aufstieg des Mannheimers ist steil, der Absturz ist jäh. Nach sechs schnellen K.o.-Siegen wird Graf von dem ausgebufften jugoslawischen Profi Yvan Prebeg am 2. Oktober 1970 in der sechsten Runde auf die Bretter geschickt. „Es war immer ein Riesendruck. Ich hab Angst gehabt, die Anerkennung zu verlieren“, blendet Graf zurück. Im Sport ist er plötzlich ein Nichts, im Mannheimer Rotlicht-Milieu, wo es ihn jetzt immer öfter hinzieht, ist er dagegen genauso schnell eine Größe wie vorher im Boxen. Dort kann er seine Fäuste gut gebrauchen. Und das tut er. Es ist der Absturz. Glücksspiel, Zuhälterei und schwere Körperverletzung – mit Unterbrechungen sitzt er sechseinhalb Jahre in Haft.
Im Knast lernt er den damaligen RAF-Terroristen Peter-Jürgen Boock kennen, der ihn nicht nur mit der Literatur vertraut macht, sondern ihm auch rät, wieder mit dem Boxen anzufangen. Hermann Isert, Anstaltspfarrer in der JVA Ludwigsburg, setzt sich für eine ungewöhnliche Resozialisierungsmaßnahme ein. Erstmals darf sich in Deutschland ein Häftling außerhalb des Knasts beim Boxen bewähren. Zwei Justizvollzugsbeamte sitzen am Ring, als Graf im März 1985 in Düsseldorf den Deutschen Meister Reiner Hartmann entthront. Am 29. November 1985 verliert er seinen Titel gegen den Düsseldorfer Thomas Classen auf umstrittene Weise und tritt endgültig zurück.
„Jetzt darf alles passieren, nur nicht in den Knast“, sagt sich Charly Graf und beginnt ein neues Leben. Zwölf Jahre lebt er im Allgäu, er heiratet, hat zwei Kinder, um die er sich liebevoll kümmert. Aber die Ehe zerbricht. Seit sieben Jahren ist Charly Graf wieder in Mannheim. Ins Milieu ist er nicht mehr abgerutscht. Er gibt Jugendlichen in Mannheimer Haupt- und Förderschulen Anti-Aggressionstraining – ehrenamtlich. Das bringt ihm Anerkennung, aber kein Geld. Charly Graf, der „Filmstar“, lebt von Hartz IV. Sein Wunsch, dass sein Engagement mit einer hauptamtlichen Stelle belohnt wird, hat sich noch nicht erfüllt. Christian Gaier
Etania 19/03/2011 16:43
Die Erfahrung und was man in ihr durchmacht,bereitet den Wandel vor.
Ein Stück fehlt ja hier noch auf deinem Bild,
Charly sieht das und wollte es wohl auch so,
ich wünsche ihm diesen Erfolg.
LG Etan
E-Punkt 05/04/2008 22:46
Ein ganz bemerkenswertes Porträt, eindringlich, authentisch und künstlerisch. Keine nullachtfünfzehn-Arbeit. Richtig gut.Mein Kompliment, Christian.
LG Elfi
Matten Ernst 02/04/2008 22:08
Prima Foto, ist ja sogar die goldene Schnitt Regel (1/3-2/3) beachtet worden. Kommt in S/W gut rüber und verleiht dem Bild irgendwie ein Flair wie aus dem Hurricane Film. Charly kommt bestimmt als Trainer authentisch rüber.