Der Milchpilz und der Wintersternenhimmel
Das Wirtschaftswunder der 1950er Jahre zeigte sich im wieder gewonnenen Wohlstand. Da es Alkohol erst mit 21 Jahren gab, galt es als schick, sich in Milchbars und Eisdielen zu treffen. Gleichzeitig konkurrierten auch in Deutschland die Molkereien und ihre Erzeugnisse gegen die neuen Erfrischungsgetränke, die es an jedem Kiosk einfach und verbrauchernah zu kaufen gab. Der Milch fehlte es an solchen Verkaufsstellen.
Mit der Idee eines Milchkiosks mit einem breiten Angebot von Milchprodukten sollte diese Versorgungslücke geschlossen werden. Das erste Kioskhäuschen in Fliegenpilzform wurde bei der Tagung der „Großstädtischen Milchversorgungsbetriebe“ im Mai 1952 in Bayreuth als sogenannter „Milchverbrauchswerber“ präsentiert und später nach Regensburg gebracht. Später ließ sich der Hersteller, die Hermann Waldner KG aus Wangen im Allgäu, sowohl den Entwurf als auch den Namen „Milchpilz“ gesetzlich schützen.[1] Da ein Milchkiosk einen hohen Wiedererkennungswert haben sollte, wählte Hermann Waldners Sohn Anton, zum damaligen Zeitpunkt Geschäftsführer, die markante Form eines Fliegenpilzes.[2]
Die eigentliche Konstruktion des Bauwerks war ein weiß bemalter Holz-Fertigbau. In der ursprünglichen Form wurde der Kiosk von einer flexiblen, wasserabweisenden Dachhaut aus Polyvinylchlorid (Handelsname Mipolam) überspannt. Sie hatte die charakteristische rote Farbe mit weißen Punkten. Im Lauf der farblichen und strukturellen Alterung ergab sich auch eine merkliche Schrumpfung dieses Weich-PVCs, so dass manches Exemplar bald mit einer massiven Dachhaut aus Metall überzogen und danach in vergleichbarem Stil bemalt wurde.
Milchpilze hatten ab Werk eine Gesamthöhe von rund 4,0 Metern und eine Dachbreite von 4,60 Meter. Der Durchmesser des Nutzraumes maß 3,15 Meter. Er hatte vier Schiebefenster, eine Glastüre, drei eingebaute Tische und vier Regale. Einbaukühlschrank, Heißwasserspeicher mit Waschbecken, Schlagsahnezapfer und Eismaschine konnten als standardisierte Zusatzgeräte hinzugekauft werden.
Seitens der Behörden regte sich jedoch Widerstand: Die Württembergische Landesstelle für Naturschutz und Landschaftspflege in Ludwigsburg schrieb in einem auf den 12. August 1952 datierten Brief an die Geschäftsleitung von Waldner: „Die Gestaltung Ihrer Milchhäuschen in Pilzform halte ich für völlig abwegig. Die Ablehnung dieses Bauwerks, das besser nach Amerika passen würde, durch die Stadtbauämter ist in Ordnung. Ich glaube nicht, daß es eines Milchpilzes bedarf, um die Milchgetränke populär zu machen. Zuverlässige Bedienung und niedrige Preise werden mehr dazu betragen als geschmacklose Reklame.“
Die Pilze wurden nicht nur in Deutschland vertrieben, sondern europaweit auch nach Österreich, in die Schweiz, nach Italien, Frankreich, Belgien und nach Griechenland exportiert.[3]
Die letzte Position des Orderbuches der Waldner KG ist die Nummer 49: Die Auslieferung erfolgte am 21. November 1958 nach Mannheim.
propolis 31/12/2019 17:39
Das ist so wundervoll. Happy new year. Vlg propolisKauPeh 31/12/2019 16:30
...und dieser Pilz hat welche Seriennummer und er steht in Hamburg?Gruß KauPeh