Die Würde des Menschen ist ...
Ein unbedarftes Foto, geknipst 2007 von einer Touristin in der Gruppe mit vielen anderen. Eine kleine Werkstatt, in der in Handarbeit Alabastergefäße hergestellt werden. Das Foto völlig verhunzt, da unbeabsichtigt in der kleinen Kompaktkamera der Grünfilter aktiv war. Ein grünes Monster. Ausschuss!
Nun entdecke ich gerade wieder das Fotografieren, mit einer neuen, schicken Spiegelreflexkamera und frage mich, ob bei meinen alten Fotos etwas dabei ist. Viel belanglose Knipserei und nur ganz wenige Menschen. Und auf einmal das grüne Monster. Irgendetwas ist an dem Motiv dran. Und tatsächlich mit einem einfachen Fotobearbeitungsprogramm ließ sich der Grünschleier entfernen. Heraus kam ein wenn auch blasses, so doch recht ansehnliches Foto. Man könnte es noch zuschneiden … Ich bin stolz, es ist mein erstes bearbeitetes Foto und es kann sich sehen lassen! Ich traue mich, es hochzuladen … aber es beschleicht mich ein Unbehagen. Nicht in Worte zu fassen. Nach zwei Tagen ein Kommentar: die Perspektive stellt Fragen. Was meint er damit?
Beim Nachdenken fällt es mir auf: Es ist der Blick von oben … auf einen am Boden sitzenden Menschen. Ein hierarchischer Blick - kein Blick auf Augenhöhe. Ein Blick, der sich offen etwas holt, nicht heimlich und verborgen, so dass der andere nicht bemerkt, dass er ... bestohlen wird?
Es ist auch das Motiv. Er sitzt im Staub, in einer Ecke und kann rein physisch nicht ausweichen. Hunderte Touristen kommen täglich vorbei, schauen, fotografieren ... und kaufen dann meist doch nicht, was er herstellt. Und dennoch muss er sich zur Schau stellen, seine Seele verkaufen, um überhaupt ein wohl eher karges Einkommen zu erwirtschaften.
Es ist genau dieses Unbehagen, das ich habe, Menschen zu fotografieren. Als Touristen sind wir oft auf der Suche nach dem Ursprünglichen, dem Einfachen, dem Authentischen, dem Fremden, dem Neuen. Insbesondere jenseits der europäischen Grenzen. Nach Menschen, denen das Leben ins Gesicht geschrieben steht. Wir Individualtouristen haben dabei die Bettenhochburgen verlassen und fallen wie ein Schwarm Heuschrecken in den letzten Winkel dieser Welt ein. Beruhigt kehren wir dann in unsere beheizten Wohnungen, in unseren Wohlstand zurück. Froh, nicht in der Haut derer zu stecken, an denen wir uns erlabt haben.
Die Würde des Menschen ist unantastbar - die Grundfeste unserer Gesellschaft. Wir haben ein "Recht" an unserem Bild. Kann dieser Mann sein Recht in Anspruch nehmen? Mit Sicherheit nicht, denn er würde damit seine Existenz gefährden. Und so spiegelt der Blick von oben in diesem Bild auch die tatsächlichen Machtverhältnisse zwischen ihm und uns wider. Die Würde des Menschen ist antastbar ... schon in einem Bild und wir spüren es genau. Aus der Touristenknipserei ist ein politisches Bild geworden.
Seien wir uns gewahr: Auch DIE WÜRDE DIESES MANNES IST UNANTASTBAR.
In einer zweiten Bearbeitung hier
UlliPi 25/10/2018 22:52
Gutes Motiv - vlt. in der Aussage, die du unterstreichen möchtest, wäre es noch intensiver, hättest du den goldenen Schnitt / Kreuz oben rechts zwischen seine Augen gelegt. Und etwas heller hätte ich es auch gemacht ... die Wasserpfeife finde ich für die von dir getroffene Bildaussage unwichtig ... LG Ulli
sARTorio anna-dora 14/10/2018 8:38
Danke für dieses Bild und für den Text dazu, du sprichst mir aus dem Herzen!Liebe Grüsse aus den Schweizer Bergen.
Anna-Dora
Henning Burk 14/08/2018 4:46
Dieses Foto finde ich motivisch einfach genial! Bildausschnitt sitzt perfekt mit der Wasserpfeife als wichtigen Bildbestandteil. Es erzählt Geschichten und die Perspektive stellt Fragen...Bei der technischen Umsetzung hätte ich vielleich noch versucht, ganz auf monochrom zu setzen. Vielleicht noch etwas den Kontrast erhöht? Ein Hauch von Grün ist noch erkennbar.
LG Henning