Jolifanto1960


Premium (World), Mutlangen

Dunkle Wolken über Erto

Blick über Erto zum Monte Toc. Deutlich sind die schimmernden Gleitflächen zu erkennen.
Anfang Juni 2022

Die Namen der Landschaft hätten eine Warnung sein können. Die Flanken beiderseits des steilen Vajont-Tals in den italienischen Alpen, in dem die fatale Staumauer errichtet wurde, heißen "Toc" und "Salta". "Toc" bedeutet in Norditalien "morsches Stück", "Salta" heißt "Spring". Im Friaulischen ist der Name des Berges die Abkürzung für "Patoc", was "faul" oder "feucht" bedeutet.
Am 9. Oktober 1963 passierte es: Eine 270 Millionen Tonnen schwere Bergflanke löste sich vom Monte Toc und stürzte in den Vajont-Stausee, den SADE-Ingenieure gefüllt hatten, um per Wasserkraft Strom für den Großraum Venedig zu gewinnen. Eine Riesenwelle riss Dörfer weg. Fast 2000 Menschen starben.
Doch bereits über drei Wochen davor, am 15. September 1963 ruckte die gesamte Flanke am Monte Toc auf einen Schlag um 22 Zentimeter talwärts. Damit wurde auch das Argument der SADE widerlegt, das Gestein würde im Ernstfall nicht auf einmal ins Wasser fallen. In den Tagen vor der Katastrophe waren Zeichen des Unheils unübersehbar: Bäume, Zäune und Straßen rutschten abwärts. Noch immer wäre ausreichend Zeit gewesen, den Stausee komplett abzulassen.
Der Bergrutsch von Vajont sorgte für einen Jahrzehnte währenden politischen Skandal. Politiker, Geschäftsleute und Wissenschaftler hatten zahlreiche Alarmsignale ignoriert. Doch erst jetzt, 52 Jahre nach der Katastrophe, glauben Geoforscher die fatalen Abläufe im Berg genau erklären zu können.
Es waren vor allem drei geologische Faktoren, die aus der Rutschung eine Katastrophe machten, (...): eine extrem glatte Rutschfläche, Hitze im Berg und ablaufendes Wasser. Die Kraft des Wassers sei bislang übersehen worden, dabei zeigten Simulationen: Ohne den unterirdischen Strom wäre die Bergflanke wohl nicht auf fatale Weise abgestürzt.
Heute liegt die damalige Gleitfläche auf dem Monte Toc offen zu Tage, sie schimmert hell - ihre Beschaffenheit hat die Forscher beeindruckt: "Wirklich unglaublich, wie eben sie ist."
Nach SPIEGELWissenschaft (Axel Bojanowski), 20.04.2015

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