Gerade erlebt
Eine Beschreibung von Alltagsereignissen, die man alle auch komplett fotografisch festhalten könnte: Wortlose Menschen an der Haltestelle, die einen riesigen Abstand benötigen. Treffe auf verschlossene Blicke in der City und auf permanent am Handy hängende Leute. Ein böser Autofahrer hupt, weil ein Fahrschüler an der Kreuzung das Auto abgewürgt hat.
Dann aus dem Briefkasten weggeworfene Anzeigenblätter, die vor dem Aufgang umherfliegen. Ich begreif es nicht. Denke, heb' die Pamphlete auf - und ab in den Container damit. Gemacht!
Flaute beim „Schönen guten Abend“ Wünschen. Auch Flaute und Brüche in den Beziehungen, nur weil man anderer Meinung ist. Wird das treue Wesen Hund zum Ersatz? Der Hausmeister und ich fluchen: „Wieder ist das Schloss in der Eingangstür aufgebrochen worden!“
Endlich, ich bin daheim und umarme meine Frau. Eine Stunde später: Etwa 20 „Spaziergänger“ gehen mit Taschenlampen durch unseren Stadtteil Dierkow. Einige „Armleuchter“ leuchten in die Wohnungen. Stimmen rufen: „Schließt euch an!“ - Vom Balkon rufe ich ihnen zu: „Irgendwann ist auch mal Feierabend!“
Denkste! Zehn Minuten später: Die Polizei löst die unangemeldete Protestaktion auf. Die Teilnehmer bekommen eins auf die Mütze: Es werden Anzeigen wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz aufgenommen. Sollten Bußgelder verhängt werden, fließt wenigstens Geld in die klamme Stadtkasse und schließlich dorthin, wo es benötigt wird. Na denn weiter so, oder?
A.-J. O. 30/01/2022 22:49
Den ganzen Tag über musste ich immer wieder an dieses Bild denken. Wegen all dem, was Du darunter geschrieben hast.Leute, die unverwandt auf ihr Smartphone schauen, sind für mich Alltag. Und da ich nicht weiß, was sie gerade anschauen, versuche ich, es einfach nicht zu werten. Früher starrten die Menschen beim Warten auf den Bus oder die Straßenbahn Löcher in die Luft. Die sind wenigstens kleiner geworden durch die neue Technik. :-)
Gegrüßt wird bei uns – glaube ich – sogar mehr als vorher. Wobei eher mit einem tonlosen „Hallo”, als mit einem energischen „Grüß Gott!”. Vielleicht kommt es mir auch nur so vor, weil ich mehr darauf achte. Ich find 's lustig, weil ich früher – also als ich noch jung war – demonstrativ und ein wenig aus Trotz mit „Hallo” oder „Guten Tag” antwortete, wenn jemand das althergebrachte „Grüß Gott” verwendete. Heute mach' ich 's genau umgekehrt. Bin ich etwa ein „Quergrüßer”?!?
Deine Schilderungen mit dem Tross durch die Straße und den Taschenlampen ruft – wegen letzteren – ungute Erinnerungen herbei. Andererseits gibt es der Bedeutung des Begriffs „Armleuchter” neuen Schwung und Tiefe. Das Positive im Negativen (oder zumindest Indifferenten) suchen …
Bei uns werden die Blicke derjenigen, die mit viel persönlichem Einsatz bei solchen Aktionen dabei sind, gefühlt mit jedem Tag finsterer – und kein Gruß, kein Blick, wenn man sich sonst wo trifft. Sorgen über Sorgen – selbst um Menschen, denen man sch…egal ist.
Zeiten zum Haare sträuben.
Andererseits hat meine Mutter letzthin wieder einmal gesagt, sie hätte schon viel Schlimmeres erlebt. Und in jüngerer Zeit klingt dieser Satz irgendwie anders als sonst und viel weniger trivial.