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Leben mit dem Braunkohletagebau: Kirchhof Otzenrath nur noch roher Erdgrund

Leben mit dem Braunkohletagebau: Kirchhof Otzenrath nur noch roher Erdgrund

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Franz-Josef Wirtz


Premium (Pro), Düsseldorf

Leben mit dem Braunkohletagebau: Kirchhof Otzenrath nur noch roher Erdgrund

Beim fotocommunity-Usertreffen am 10.03.2007, initiiert von -Gudrun- und Karola Hoppe anlässlich des begonnen Abrisses der Kirchen in Jüchen-Otzenrath im Garzweiler II bot sich ein erdrückendes Bild: der hinter der Kirche gelegene Kirchhof zeigt sich tief zerfurcht, nur noch hier und da sind Überreste der Begräbniskultur zu sehen. Bäume und Büsche, die die Intimität dieses Ortes der Stille und Einkehr einst prägten wurden bereits bis auf Randbereiche gerodet. Geästreste liegen überall verstreut. Das schwere Gerät hat Wegen und Flächen rohe Spuren eingeprägt. Ein Grab bleibt zurück und entgeht mangels Angehörigen einer geordneten Umbettung. Die metallene Inschrift wurde vermutlich von Plünderern demontiert. Die Scheiben der kleinen Trauerhalle sind eingeschlagen. Auch sie nur noch eine Hülle kurz vor dem Rückbau, wie der Bergbautreibende die Zerstörung nennt. Von Ordnung keine Spur.

Das Kirchengebäude ist bereits halb zerstört. Das Dach aus Eichenbalken und Schiefereindeckung und einigen Metallstreben liegt vor der Steinruine und wird von Verwertern ausgeweidet. Paletten mit Ziegeln werden abtransport und finden vielleicht irgendeine profane Weiternutzung. Die Wölbungen und Fenster reichen als Fragmente in den strahlend blauen Himmel. Die Beleuchtung pendelt chaotisch im Wind, der durch das Baugerippe streicht. Am Vortag, da der Abriss begann wollte der Regen nicht enden. Die Mittelsäule, die den achteckigen Raum getragen hatte und von der Bauweise her diese Kirche beinahe einzigartig machte ist eingeschalt in der Hoffnung, sie so einigermaßen unversehrt zurücklassen zu können. Sie soll später am Vorplatz der in Neu-Otzenrath bei Hochneukirch errichteten Kapelle aufgestellt werden.

Am Samstag gaben die Bagger gerade mal eine kurze Show-Einlage für Pressevertreter, mit Notizblock, Kamera oder Filmgerät. Der Abriss wurde am Montag fortgesetzt. Ein Exkursions-Bus des Bergbautreibenden passierte das Geschehen nur kurz. Aussteigen und Mithören, was sich ehemals Ortsansässige erzählen steht allerdings nicht auf dem Programm. Ein schneller Blick en passant muss genügen. Die Kehrmaschine hatte gerade noch die Straßen gereinigt, um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen. Mit Holzhäcksel begehbar gemachte Bereiche erlauben dem Publikum halbwegs saubere Schuhe - sofern sie den Wegweisern und den zahllosen "Grundstück betreten verboten"-Schildern auf den in Trümmer gelegten Flächen anderer Bauten Folge leisten. Aufgespannte Werbebanner und Toilettenhäuschen unterstreichen den Event-Charakter des ganzen Geschehens. Älteren Menschen, die in Wagen Angehöriger langsam vorbeidefilieren ist die Betroffenheit ins Gesicht geschrieben. Die Atmosphäre ist voll von unterschiedlichen Gefühlen und Verlegenheiten.

In der fotocommunity gibt es eine Reihe von Fotografen, die sich teils bereits seit Jahren mit der Thematik befassen, aus den unterschiedlichsten Beweggründen. Eine ganze Reihe hatte sich am Samstag getroffen. Die entstandenen Fotos vermitteln die jeweils eigenen Sichtweisen und Techniken.

http://www.ngz-online.de/public/article/regional/juechen/nachrichten/419861

Mehr zum Thema unter diesem Foto sowie den zahlreichen Bildern der anderen Teilnehmer am Treffen.

Leben mit dem Braunkohletagebau: Ruhe in Frieden? Gebeine mit Wanderstab
Leben mit dem Braunkohletagebau: Ruhe in Frieden? Gebeine mit Wanderstab
Franz-Josef Wirtz


[°Ô(]

Aus der Heinsberger Zeitung vom 17. Juni 2006
" . . . dann hat man die Heimat ganz verloren"
http://home.arcor.de/guenter.salentin/garzweiler/pressespiegel/pressenotizen/evz_20060617_jetzt_frisst_sich_der_bagger_durch_garzweiler_II.htm

Übersichtskarte:
http://www.debriv.de/pages/grafiken.php?page=255

Comentarios 13

  • Katrin Gems 01/01/2011 21:16

    Man steht fasssungslos davor...
  • Franz-Josef Wirtz 29/03/2007 13:34

    Zustand gut zwei Wochen später:
    Mittelsäule der katholischen Kirche Jüchen-Otzenrath
    Mittelsäule der katholischen Kirche Jüchen-Otzenrath
    Franz-Josef Wirtz

    (Das Friedhofsgelände blieb seither relativ unverändert.)
  • Michaels Fotowelt 22/03/2007 14:39

    Stimme Klaus und Gudrun zu.
    Es sind die Erinnerungen, die bleiben. Mit Otzenrath (so blöd sich das jetzt auch anhört) geht auch ein Teil von mir. Ich habe selber nie dort gewohnt oder näher damit zu tun gehabt. Aber ich habe eine Verbindung zu diesem Ort aufgebaut und bin sehr traurig, das ich jetzt Abschied nehmen muss..

    Michael
  • Nicole New 21/03/2007 11:58

    Ein trauriges Stück Vergangenheit :-(
    LG Nicole
  • Franz-Josef Wirtz 15/03/2007 13:50

    Assoziationsketten sind wichtig und bringen den Menschen weiter... :-)

    Ich bin selbst in einem kleinen rheinischen Dorf mit einer ähnlich großen (bzw. kleinen) Kirche aufgewachsen. Nur liegt das Dorf zufällig nicht im Abbaugebiet. Von der Grundschule aus konnte man damals mit Blick über die Felder (ist ja sehr flach hier) die "Vollrather Höhe" wachsen sehen. Eine Abraumhalde noch aus der Zeit von "Garzweiler I"/Tagebau Bergheim. Es ist ein Stück Geschichte und Identität, die hier durch die Zerstörung der Dörfer verlorengeht. Und diese Geschichte wird immer weniger unmittelbar relevant, da die Geschichtenträger immer weniger werden. Sich durch diese Dörfer zu bewegen vermittelte durch ihr Gesicht eine Vertrautheit, den Stallgeruch der Kindheit. Diese Vertrautheit erreichen die sterilen austauschbaren Neubaugebiete einfach nicht mehr. Sie könnten irgendwo liegen. Der Fingerabdruck des "kleinen niederrheinischen Dorfes" lässt sich in ihnen nicht mehr identifizieren.

    Zurückblickend haben die Dorfgemeinschaften der bereits seit längerem umgesiedelten Orte immer wieder durch viel privater Eigeninitiative und Engagement versucht, alte Elemente wieder in die neuen Straßenzüge zurückzuholen, z.B. restaurierte Kirchenbänke. Das authentische, das ist eben stärker charakterstiftend als vieles Neugeschaffene. Und die Suche nach dieser Identität und Authentizität macht das Seelenleid der Umsiedler wohl immer wieder deutlich, auch wenn sie oft das "es muss ja sein" übernehmen und sich vorsagen.

    http://www.ksta.de/html/artikel/1162473194958.shtml
    "Ein Stück alte Heimat gerettet"
    von Markus Clemens, 20.12.06, 07:13h

    Dass es eben nur kleine rheinische Dörfer sind macht die Tragik aus. Peter Liebetrau hat das Gebiet von Garzweiler I mal nach Köln verschoben:

    Wären so viele Menschen und Kulturgüter betroffen, gäbe es wohl kaum Tagebau solcher Dimensionen. Aber so...

    Gott ist schon weg
    Gott ist schon weg
    Jürgen B.
  • Franz-Josef Wirtz 14/03/2007 12:35

    Ja, es hilft dem Gedächtnis auf die Sprünge. Unter einem anderen Foto merkte eine Userin an, dass damals, als ihr Ort zerstört wurde es eben noch nicht Fotografie für alle geschweige denn Video gab. Und so ist die Erinnerung einfach blasser und stark an die Person gebunden.



    Dresden ist eine Landeshauptstadt. Für so ein kleines rheinisches Dorf wie hier, das nun auf ein Neubaugebiet für vielleicht 60% der ursprünglichen Eigentümer und mit einer Kapelle reduziert wurde wird es jedoch kaum je irgendwelche Aktionen geben, um den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen und der Siedlung erneut einen Charakter zu verleihen.

    Weitere Sakralgebäude auf der Abrissliste sind unter diesem Bild zu finden:
    Kapelle in Berverath, im Braunkohletagebau Garzweiler II
    Kapelle in Berverath, im Braunkohletagebau Garzweiler II
    Franz-Josef Wirtz
  • -Gudrun- 13/03/2007 19:24

    etwas besonderes...ja, klaus bringt es auf den punkt...ich verbinde auch eine ganze menge sehr schöner dinge, erinnerungen und erlebnisse damit...
  • -Gudrun- 13/03/2007 19:03

    der text trifft bis ins mark!
    sehr gut!

    @ frank:
    meine bilder dazu findet man nicht nur im o.g. artikel, bzw. dem entsprechenden link auf der seite, sondern auch so, verstreut in meinem account (einfach weil mein fotohome-ordner voll ist :-) )
    vielleicht magst du ja mal gucken...

    lg,
    gudrun
  • Franz-Josef Wirtz 13/03/2007 18:45

    Eine ausgesprochene Usertreffen-Sektion gibt es nicht. Bislang gelangst Du über die Fotoserien der Teilnehmer im -Artikel dahin. In den verwendeten Sektionen finden sich derzeit auch weitere Bilder zum Thema.

    Tagebau
    Tagebau

    Lost Places
    Lost Places


    Seltener:
    Nordrhein- Westfalen
    Nordrhein- Westfalen
  • Frank Eberius 13/03/2007 18:18

    Der Wahnsinn geht weiter! Und wir reden von CO2 und Klimawandel! Braunkohle ist Dreck. Wenn es mal Mächtige gibt, die solch eine Riesenfläche für erneuerbare Energien räumen dürfen, leben wir schon lange nicht mehr! Danke Rheinbraun für den See der übrig bleiben wird! Da können wir dann Wellkraftwerke einbauen lassen!
    Gruß Frank

    P.S.: wo finde ich den die anderen Bilder vom Usertreffen?
  • Franz-Josef Wirtz 13/03/2007 15:41

    @Michael: möglich. Vielleicht fällt dann die Vase noch weniger auf.
  • Michael Hohnen 13/03/2007 15:25

    klasse gefällt mir
    hab ich am Samstag gar nicht gesehen
    würde in sch/w sicher gut wirken
    Auferstanden aus Ruinen
    Auferstanden aus Ruinen
    Michael Hohnen

    vg
    Michael
  • Edith M. 13/03/2007 14:34

    Text und Foto vermitteln genau die Stimmung.
    Ich habe gestern ganze Familien mit Kind und Kegel angetroffen. Viele haben das Bedürfnis ihre Betroffenheit in Worte zu fassen.
    Das schöne Wetter hat viele aus der Umgebung animiert per Fahrrad, Inliner usw gen Otzenrath zu pilgern.