Nach Innen gekehrt
Die Gesichter der Schaufensterpuppen sollen nicht ablenken. Die Mode, das Äußere, soll im Vordergrund stehen. Charakter würde überdecken. Also ... Gesichtslosigkeit.
Bei mir bewirkt das genau das Gegenteil. Noch nie ist mir das stumme Wesen dieser Figuren so aufgefallen, wie an diesem Montag vor einer Woche in Lüneburg. Eine Mischung aus Erschrecken, Erstaunen und Schaudern machte sich breit. Die Klamotten? Nett, weil sie die Figuren äußerlich menschlich machen. Was bleibt ist der Kopf ... oder der nicht vorhandene Kopf. Plötzlich wurden die Figuren sehr menschlich, aber immer auch nachdenklich machend. Sie leben mitten unter uns und hin und wieder sind oder waren wir? (ich?) sie selbst ... sollten die Gesichtslosen deshalb gesichtslos sein, weil sie dann als interpretierbarer Platzhalter für jeden stehen können?
Gesicht zeigen, bedeutet, sein Wesen nach außen kehren. Wie auch immer. Strahlend, verdrießlich, freudig, unzufrieden. Im Gesicht ist zu lesen, was ist. Denn es lebt - wie auch immer.
Dann ist da aber auch dieses betrachtende Gefühl dieses Nichtwissens, was im Gegenüber vor sich geht, weil dieses ein Erkennen nicht zulassen will ... oder kann. Wie auch immer. Augen schauen blicklos ... seelenlos? Besser seelenundurchdringlich.
Der Mund, ein neutraler Strich. Kein Lächeln, kein Schrei. Ohren, die nichts aufzunehmen scheinen. Blässe. Farblosigkeit. Es scheint sich nach außen nichts abzuspielen, weil das Außen unerträglich zu sein scheint. Nicht zu verwechseln mit Gleichgültigkeit. Denn auch Gleichgültigkeit ist etwas sehr Äußerliches, oft Oberflächliches.
Das Nach Innen gekehrt sein ist tief - oft sehr verletzlich, weil verletzt. Dem Nach-Innen-Gekehrt-Sein fehlt das Vertrauen zum Äußerlichen. Zum eigenen Äußerlichen und zum Außen.
Und so verliert sich der Blick im Inneren.
Einsamkeit.
Dunkelheit.
Tränen? Nicht geweint.
Der Lebensfluss, er stockt.
Die Seele weint stumm ... ohne Tränen.
Peter Gabriel-Darkness
https://www.youtube.com/watch?v=ZDNr0NPFQWw
mehr von den Gesichtslosen:
Alexida 02/11/2016 10:32
.. alle Gesichtslosen, alle Herzlosen sind für mich nur die Biorobotern ....aus meiner Lebens- und Berufserfahrung kenne ich, dass die "Seele" eines Bioroboters ganz-ganz schwer erreichbar ist..
..eine spannende Foto-Serie, die mich nachdenklich macht..
LG Nadja
Pelue 01/11/2016 22:10
Ganz erstaunlich, wie viel Ausdruck in diesen "Gesichtern" vorhanden ist. Mich beeindruckt die Serie auch, Kompliment!Martin.
Ursula Zürcher 01/11/2016 20:13
Enorm ausdrucksstark und tiefgründig, wie du diese Serie zeigst und mit welchen Gedanken du sie verbindest. Und sie sagt viel über den inneren Reichtum des Fotografen aus. Eine wunderbare Arbeit!Liebe Grüsse, Ursi
Weltenspieglerin 01/11/2016 19:05
was für eine ausdrucksstarke serie !bin tief berührt...
so manches scheinbar tote gesicht möchte ich gerne liebevoll in meine hände nehmen,
es einfach nur halten, dass es halt findet.
vielleicht möchte ich auch gerne sanft über die angedeuteten wangen streichen,
vielleicht bei dem einem odere anderen sogar einen zärtlichen kuss auf die
nicht vorhandenen lippen drücken...
es ist so wunderbar heiko, was du mit dieser serie durch bild und text zu bewegen magst,
bei dieser scheinbar starren materie.
kompliment und wiklich hut ab.
doro
Klaus May Bilderwelten 01/11/2016 19:03
Er sieht ein wenig nachdenklich aus!Sehr gut getroffen!
LG payne