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St. Martin - Wie es in Wirklichkeit war.

St. Martin - Wie es in Wirklichkeit war.

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Klaus Tesching


Premium (World), hinter den sieben Bergen

St. Martin - Wie es in Wirklichkeit war.


Die wahre Geschichte von St. Martin

Es war ein kalter Novembertag, als ein armer Bettler am Straßenrand saß, die Hände tief in seinen löchrigen Mantel gesteckt. Das Bürgergeld, das er kürzlich erhalten hatte, reichte gerade so, um ein Stück Brot und eine wärmende Suppe zu kaufen. Doch an diesem Tag war es nicht die Kälte, die ihm Sorgen bereitete, sondern die sonderbare Gestalt, die sich ihm näherte.

Ein Ritter, hoch zu Ross, in glänzender Rüstung – zumindest war sie das einmal gewesen. Heute wirkte sie etwas verbeult und trug die Spuren zahlloser erfolgloser Abenteuer. Dieser Ritter war niemand anderes als der berüchtigte Martin von Luxushausen, bekannt für seine Liebe zu Wein, Weib und vor allem: seinen teuren Umhang. Doch auch Martin hatte seinen Stolz. An diesem Tag wollte er der Nachwelt eine Heldentat hinterlassen, von der die Geschichtsbücher berichten sollten.

„Habt keine Furcht, guter Mann!“ rief Martin theatralisch und zog ein Schwert aus der Scheide, das bei genauerem Hinsehen mehr einer abgenutzten Bratpfanne glich. „Ich werde meinen Umhang mit Euch teilen!“

Der Bettler sah ihn skeptisch an, während Martin in epischer Pose das Schwert hob. Er holte aus, um den dicken Stoff seines Mantels zu teilen – doch nichts geschah. Der stumpfe Stahl glitt ab, als hätte er versucht, einen Pudding zu zerschneiden.

„Verdammte Schmiede!“ fluchte der Ritter und versuchte es erneut, diesmal mit noch mehr Nachdruck. Doch das Schwert verkeilte sich nur im Stoff, der nun leicht zerfranst war. Martin kämpfte verbissen weiter, während der Bettler langsam den Kopf schüttelte.

„Ihr habt vielleicht die besten Absichten, edler Herr, aber vielleicht wäre eine Schere praktischer?“ wagte der Bettler zu sagen, während er ein schiefes Lächeln zeigte.

Bevor Martin antworten konnte, ertönte ein lautes Geschnatter. Eine Gruppe Gänse, die das Spektakel mit argwöhnischen Blicken beobachtet hatte, stürmte plötzlich herbei. Mit ihren scharfen Schnäbeln rissen sie wild am Umhang, bis dieser schließlich in zwei Teile zerfiel.

„Da habt ihr’s! Die Gänse des Himmels selbst sind gekommen, um meine Tat zu vollenden!“ verkündete Martin triumphierend, während er dem Bettler die größere Hälfte des Mantels überreichte. Die Gänse zogen sich zufrieden schnatternd zurück, offenbar stolz auf ihre unerwartete Rolle in der Geschichte.

Der Bettler nahm den Mantel dankend an, rollte mit den Augen und murmelte: „Wenn das der Stoff ist, aus dem Legenden gemacht werden…“

Und so wurde die Geschichte von St. Martin geboren. Sie handelte von einem Ritter, einem Bettler und einer Schar entschlossener Gänse, die zusammen ein Stück Geschichte schrieben – oder zumindest einen Umhang zerteilten.

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