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† Sebastian Haerter


Premium (World), Neubrandenburg

Stall-Allüren...

Zugegeben, manchmal komme ich mir etwas seltsam vor. Wenn ich wieder mal in einem gottverlassenen Mecklenburgischen Dorf stehe und fasziniert einen alten Stall oder eine Scheune fotografiere und dann meist von argwöhnischen Zeitgenossen gefragt werde, was es denn da zu fotografieren gäbe. Meistens antworte ich irgendetwas Unverfängliches.

Antworten möchte ich das:
„Sehr Ihr denn nicht, dass in Eurer ungeliebten Stallruine die halbe Eiszeit verbaut ist? Die geologische und kulturelle Geschichte unseres Bundeslandes? Dass Granit, Porphyr, Basalt und Gneis sich hier ein Stelldichein geben und mit einem unglaublichen handwerklichen Aufwand zu einer meterhohen, ästhetisch anspruchsvollen Wand hochgezogen wurden? Etwas, das heutzutage niemand mehr kann bzw. allein aus Kostengründen niemand mehr machen würde. Könnt ihr nicht wertschätzen, was Eure Vorfahren hier geleistet haben?“

Nein, das können sie oft nicht. Vielleicht, weil sie es nicht wissen. Mich bedrückt so etwas. Wenn jetzt, wie in Lapitz, ein mehr als 112 Jahre altes ungenutztes Stallgebäude abgerissen wird, weil die Gemeinde Bauland für Eigenheime schaffen will. Und damit ein Stück des alten Gutsensembles zerstört, das die DDR-Zeit erstaunlicherweise überstanden hatte. Was baulich an seine Stelle tritt, wird vermutlich von der Ästhetik eines Wüstenrot-Bunkers sein und von der Haltbarkeit eine Dreistelligkeit in den Jahren nie erreichen. Der Abrisskandidat indes präsentiert sich – zumindest dem Laien – erstaunlich vital. Unglaublich dicke Mauern, ein halbwegs dichtes Dach, schmucke Fenstereinfassungen aus Backstein in der Feldsteinwand und augenscheinlich keine großen Feuchtigkeitsschäden.

Gewiss, es ist erfreulich, dass Menschen wieder in ihrem Dorf bauen möchten, dass sie das ausblutende Land mit Leben erfüllen. Das ist wichtig fürs Überleben der Gemeinden im Mecklenburgischen. Aber um welchen Preis? Um den Preis der Ges(ch)ichtslosigkeit? Nun kann leider nicht jeder ehemalige Stall zur Kulturscheune, zum Loft oder Oldtimer-Garage werden. Und ganz ohne Nutzungsperspektive sieht es noch düsterer aus. Aber wenn die ländliche Profanarchitektur Mecklenburgs und damit ein Stück Kulturgeschichte langsam aber sicher platt gemacht wird, was bleibt dann in den Dörfern? Zumal sich die neuen Häuser zum allergrößten Teil aus koniferengerahmtem Einheitsbrei randstädtischer Grausamkeit rekrutieren. Ich erlaube mir, dies nicht gut zu finden, auch wenn mich niemand fragen wird.

Und deshalb fotografiere ich die steinernen Zeugen der Mecklenburgischen Gutsgeschichte, wo ich sie finde. So lange sie noch zu finden sind.

Comentarios 6

  • † Sebastian Haerter 21/05/2017 23:17

    @Gegenlichtfreundin
    Liebe Marion, Deine Worte erfreuen mich zutiefst. Du scheinst schon länger zu leiden, was die Sensibilität im Umgang mit unserem Erbe betrifft. Man sagt ja, Armut ist oft der beste Denkmalschutz. Eine Aussage, die man nicht pauschal für richtig erklären kann, aber manches Haus stünde heute nicht mehr, hätte die DDR sich den Abriss leisten können. Und nun, wo Geld eigentlich da ist, schleift man Einmaliges.
    Und es passiert täglich; auf dem Weg zur Arbeit fuhr ich erst neulich in Altentreptow an einer Abrissbaustelle vorbei. Die Häuser waren wegen Schwammes nicht mehr zu retten, aber die Türen - wunderschöne alte Türen mit Oberlicht - machte sich niemand die Mühe zu retten. Bagger, Brachialgewalt, Baufreiheit.
    Das Fatale ist, in einigen Jahren wird man vielleicht bereuen, was hier geschehen wird. Doch dann ist es zu spät. Und das jetzt: Gerade scheint richtig Bewegung in den Erhalt unseres kulturellen Erbes gekommen zu sein, werden Häuser gerettet, die man schon längst aufgegeben hatte (Gutshäuser Pinnow, Mallin, Tenzerow, Schloss Ivenack, Kummerow etc.). Die Gründe mögen profan-finanzieller Natur sein und der derzeitigen Krise in Sachen Geldanlage geschuldet, aber - sei's drum! So wird erhalten, was unser Land über Jahrhunderte geprägt hat. Warum die Gutsanlage Lapitz nicht einmal in der Denkmalliste verzeichnet ist, weiß ich nicht. Sehe ich diese Wände, weiss ich es noch viel weniger.
  • † Sebastian Haerter 21/05/2017 23:04

    @brennabor 461
    Hallo Jens, danke. Sicher nimmt man, sobald man diffenziert, die Schärfe aus den Dingen. Und sicher gärt auch in mir manchmal eine Wut, die sich trefflich in die Welt schreien ließe. So, wie es gerade Mode ist. Aber letztlich wissen wir alle doch, dass die Dinge zwei und mehr Seiten haben.
  • † Sebastian Haerter 21/05/2017 22:58

    @2Prinz
    Danke! Ja, so ist es wohl. Wer diesen Anblick gewohnt ist, vielleicht gar jahrelang in dem Stall gearbeitet hat, der findet möglicherweise nichts mehr Besonderes an diesem Bauwerk. Wie oft sind es Zugezogene, die den Einheimischen die Augen öffnen für die Besonderheiten in Ihren Orten.
  • Gegenlichtfreundin 21/05/2017 17:44

    Lieber Sebastian,
    Deine wohl überlegten Worte bewundere ich immer wieder. Wie so oft sprichst Du mir aus dem Herzen. Seit mehr als 25 Jahren in der Stadt- und Dorfplanung kenne ich viele dieser Beispiele, habe sie zuhauf fotografiert. Wie oft haben wir "Fenster sind die Augen des Hauses." zitiert. Für die Türen und Tore gibt es nach meiner Kenntnis keinen solchen Vergleich mit dem Gesicht des Menschen, am ehesten könnte man sie vielleicht "Mund" nennen, der von abweisend, weil verschlossen, bis lachend, weil weit geöffnet, das Wesen eines Gebäudes ausdrücken kann. Das Gesicht des Hauses spiegelt meiner Meinung nach vor allem das Wesen ihrer Besitzer wieder.
    Wie schön hier der Bogen ausgemauert wurde. Kein wie so oft in Vorwendezeiten "hereingeferkelter" Betonsturz, keine zugemauerte Öffnung, keine sichtbaren Narben. Diese “gefährliche“ Zeit hat das Gebäude überstanden. Nun gibt es etliche Möglichkeiten, die gebaute Geschichte zu bewahren und doch ... wenn hier kein Denkmalschutz eingreift oder sich Menschen finden, die wie wir denken, sind solche Zeitzeugen tatsächlich für immer verloren.
    Was uns bleibt ist, die Menschen zu sensibilisieren. Manchmal ist ein vorbildlich saniertes Gebäude im Ort ein kleiner Anfang. Hoffen wir es!
    Danke für Deine gut durchdachten, treffenden Worte und den Bildbeitrag!
    LG Marion
  • brennabor 461 19/05/2017 14:37

    Hallo,
    großer Respekt für Deine Sichtweise. Du beschreibst die Problematik sehr schön, verletzt damit weder die eine, noch die andere Seite, regst aber auch mal zum nachdenken an. Solche Betrachtungen sind heutzutage wichtiger denn je ... !!!
    Und Dein Foto ist ein guter "Aufhänger" für einen Denkanstoß :-)) Favorit.
    (... mir gefällt es sehr, dass hier neben der Fotografie auch mal zu anderen Themen diskutiert wird)
    Gruß Jens
  • Maik 2Prinz.de 19/05/2017 14:04

    Klasse festgehalten - und dann noch der Text dazu. Großartig! Diejenigen die täglich damit zu tun haben oder es regelmäßig daran vorbeigehen, haben meistens keinen Blick für das besondere, was dieses historische Gut ausmacht.
    ciao
    Maik