The seven last words of our savior
Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun - das erste Wort: Eine Bitte für die anderen. Für die Spötter unterm Kreuz, für die Mörder, die Befehlsempfänger, die Folterknechte, die Schuldigen überall. Der Mann der hier spricht, ein Jude von dreißig Jahren, war gepeinigt, entwürdigt, an Leib und Seele gedemütigt worden: Soldaten hatten ihn ausgepeitscht, nicht nur geprügelt mit Stöcken und Ruten; nein, mit Lederpeitschen hatten sie ihn geschlagen, die Ahnherrn der Boger, Eichmann und Höss, mit Peitschen, in die, wie Ketten, spitze Knochenstücke und Bleiklumpen eingenäht waren; gemartert hatten sie ihn und dem Blutüberströmten ein Wams aus rotem Tuch übergestülpt: in die Faust einen Knüppel gepresst und auf den Kopf einen Strohkranz gesetzt! Ein schäbiger Lumpenkönig sollte er werden; eine blutige Puppe, mit der die Soldaten ihren rohen Spaß treiben konnten: erst geschlagen, mit den Klingen-Peitschen und den Metallkugel-Riemen, dann verhöhnt - „sieht er nicht spaßig aus, der König unserer Gnaden, diese Karikatur eines Herrschers, die man anspucken darf, um ihr die Verachtung zu bezeugen, die Verachtung, die ihr gebührt?"
Alles ins Gegenteil verkehrt, mit diesem Karneval im Zeichen von Folter und Terror: Der Lorbeerkranz - ein Stachelgeflecht, mit Dornen, die fingergroß waren. Der Purpurmantel - ein schmutziges Fähnchen. Das Szepter - ein Prügelstock. Der Fußfall - eine Obszönität. In Jerusalem werden die Spiele der allerheiligsten Inquisition und der Ketzerverfolgung geprobt. Ein Nichts, der „andere", der Preisgegebene, der zur Vernichtung ansteht: „Sei gegrüßt, König der Juden" - und, später, dann die Tafel um den Hals gehängt, auf der, in drei Sprachen (Mörder pflegen pedantisch zu sein), die Schuld des Delinquenten notiert war: griechisch, lateinisch und aramäisch: Jesus aus Nazareth, König der Juden. Und, nach alledem, am Kreuz, unmittelbar vor der Vernichtung, das Gebet für die Mörder. Die Bitte des gefolterten Juden für die Eigenen und für die Fremden. Die Losung der Bergpredigt - „Betet für eure Verfolger!" -, gesprochen in der Stunde des Todes.
Amen, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein - das zweite Wort: Trost für den Bruder im Leid; Hinwendung, abermals, zum anderen: jetzt aber zum Schmerzgefährten. (Es könnte auch eine Frau sein, ein Mädchen, so wie der hagere Rabbi, Jeschua, ein freundlicher, ein wenig untersetzter Mann gewesen sein könnte.) Waren es Strauchdiebe, politische Gefangene, Aufständische, Sichelmänner: die beiden an Jesu Seite? Zwei von Tausenden auf jeden Fall, die damals, in einem mörderischen Alltagsgeschäft, an den Bäumen aufgehängt wurden, fünfhundert, bald nach Jesu Lebzeit, an einem einzigen Tag: so viele, dass das Holz für die Kreuze auszugehen drohte und die Hinrichtungsorte, diese unzähligen Schädelstätten, von deren Schreien niemand berichtet hat, rar zu werden begannen. Golgotha steht stellvertretend für alle Passionen, damals und heute: so wie das Bild von dem einen, der tröstet, und dem anderen, der in der Sekunde des Todes neue Hoffnung gewinnt, die Zeit überdauert: ein Gedenken an alle, die - ecce homo! - ein Zeichen gaben vorm Brand, vorm Peleton, vorm Gas. Jesus und der Verbrecher: da steht nicht Hoheit gegen Niedrigkeit; da leiden zwei Menschen, nackt (ohne Schamtuch selbst, vielleicht) und blutend am Kreuz; ihre Gewänder, Sandalen, Gürtel und Hemden, werden verteilt und ausgelost; aber noch - nicht lange mehr - können sie sprechen, die beiden: „Amen, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein". Jesu Worte gelten keinem Priester, hohen Beamten, Besatzungsoffizier, sondern einem Menschen, dessen Armut, Qual und Niedrigkeit er teilt. Seltsam zu denken: Der letzte, der Jeschua umarmte und küsste, war Judas Ischarioth; der letzte, mit dem er - außer Gott! - redete, war ein Preisgegebener, dessen Name unbekannt ist. Im Staub also, nicht unter den Himmeln, war Jesus zu Hause: damals, in Jerusalem.
Frau! Siehe, das ist dein Sohn! Siehe, das ist deine Mutter! - das dritte Wort: Ansprache an die Getreuen, einen geliebten Schüler, Johannes, und an Maria, die Mutter. Die Schar am Kreuz ist klein; von Jüngern, treuen Gefolgsleuten, entschlossenen Palladinen - keine Rede mehr jetzt. Einer von zwölfen, Johannes (aber auch der hat, in der Stunde der Wahrheit, Jesu Einsamkeit nicht geteilt: auch er ein Schläfer in Gethsemane), Johannes also, dann die Mutter, von der kaum noch die Rede war - Maria, abgetan mitsamt der törichten Familie („Wer ist das, meine Mutter und wer sind meine Brüder?"), und schließlich, die Frauen, Figuren am Rande: auftauchend und schon wieder verschwunden. Doch jetzt, im Tode, kehrt sich auf einmal alles um; da werden die Fernsten zu Nächsten; da sind es Frauen, die standhalten, zu Füßen des Kreuzes und nicht hochgemute Jünger; da gewinnt, im Zeichen des Todes, eine neue Gemeinde Kontur: die Brüder-und-Schwester-Gemeinde unter dem Kreuz, für die Begriffe wie „Mutter" und „Sohn" eine, über Blut und Leib, Herkunft und Sippe weit hinausgehende Bedeutung gewinnen. Familie: das ist von nun an, gespiegelt in Maria und Johannes, der neuen Mutter und dem neuen Sohn, die Gemeinschaft derer, die sich der unterm Kreuz eingesetzten Liebeskommunität verpflichtet weiß - der Kommunität, die familiäre Bindungen (die kleine Hausgemeinschaft, in die man den für wahnsinnig erklärten Jesus zurückholen versuchte) so selbstverständlich außer Kraft setzt, wie jene politische Genossenschaft, die innen nur den Freund und draußen nur den Feind ausmacht. Dagegen gilt von nun an: Frau! Siehe, das ist dein Sohn! Siehe, das ist deine Mutter!
Und Jesus schrie laut und sprach: Eli, Eli, Lama, Sabachthani, das ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? - das vierte Wort: Ein Schrei - und ein Gebet. Der Gekreuzigte, leidender Gottesknecht und gemarterter Mensch: verfolgt als Gerechter, fällt ein in die Worte jenes zweiundzwanzigsten Psalms, mit dessen Hilfe die Gemeinde Jesu Martyrium beschrieben und gedeutet hat: „Ein Gespött der Menschen bin ich und dem Volk verachtet. Ausgeschüttet wie Wasser bin ich, alle meine Gebeine haben sich zertrennt; mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs. Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, meine Zunge klebt an meinem Gaumen, und du legst mich in des Todes Staub; denn Hunde haben mich umgeben, und die Rotte der Bösen hat meine Hände und Füße durchgraben. Ich kann sie zählen: alle meine Gebeine; sie aber schauen und haben ihre Lust an mir, teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los um meine Gewänder. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich heule, aber Hilfe ist ferne." Schrei und Gebet; Verzweiflung - und, dennoch, am Ende geborgen zu sein, die Gewissheit, die den Schrei ins Seufzen und das Seufzen in die leise Formel des Gebets verwandelt... für eine Weile jedenfalls denn der letzte, grauenhafteste, Mark und Bein durchdringende Schrei - Jesu am gewissesten verbürgte Äußerung in der Stunde des Todes, der Aufschrei ohne Worte: er steht noch aus.
Mich dürstet - das fünfte Wort, das schlichteste: die Bitte um Hilfe. Ein Mann fleht um einen Schluck Wasser. Die Folterung ist vorbei, der Gang nach Golgotha, auf dem er unter der Last des Kreuzes zusammenbrach, auch. Das Kreuz: der Querbalken, an dem die Hände angenagelt worden sind. Angenagelt, bevor man das Holz, mitsamt dem Körper, hoch am Pfahl befestigte: Jesus, auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte, wird ihn von weit her erkannt haben, den in die Erde eingerammten Pfahl, mit dem Holzklotz in der Mitte, der dazu diente, den Gekreuzigten möglichst lang bei Bewusstsein zu halten. Der Körper, so die Überlegung der Exekutionsspezialisten: Kenner der Anatomie und des Seelenhaushalts, sollte nicht so rasch zerreißen. Kein Wunder, dass, im Hinblick auf solche Folter, ein Römer kurz vor Jesu Lebzeit erklärte: „Selbst das Wort Kreuz soll fern bleiben nicht nur dem Leibe der römischen Bürger, sondern auch ihren Gedanken, ihrem Auge, ihrem Ohr." Selbst das Wort! Kreuz: das hieß damals so viel, wie heute Vergasung heißt: Erstickung im Ofen. In dieser Lage - mit zernagelten Gliedern, auf dem Sitzblock hockend, vom Erstickungstod bedroht - hat Jesus um einen Schluck Wasser gebeten, hat „Ich habe Durst" gesagt - und erhielt: Essig und Galle - die Verhöhnung, so scheint es, setzte sich fort. Aber gewiss ist das nicht; es könnte nämlich auch sein, dass ein Soldat, ein Bruder des reuigen Mitgekreuzigten Jesu, sich zu einer Geste der Barmherzigkeit verstand: Essig brauchte kein Martergetränk, Essig kann leichter Wein, Erfrischungstrank der kleinen Leute sein. „Ich habe Durst." „Dann trink. Ich halt dir den Schwamm an die Lippen. Die Winzer trinken das auch, und die Schnitter tauchen ihr Brot darein." War‘s so? Anders also als im neunundsechzigsten Psalm: "Und sie geben mir Galle zu essen und Essig zu trinken in meinem großen Durst"? Ich glaube, wie an den frommen Rebellen am Kreuz, auch an den einen Soldaten, der Jesu Barmherzigkeit zeigte.
Es ist vollbracht - das sechste Wort: Amen am Ende eines langen Selbstgesprächs. Der Tod ist nah; das Martyrium, die Qual inmitten der Schaulustigen, das Preisgegebensein unter dem Applaus der Gaffenden, die Folterung - beinah überstanden: ein Leidensweg am Ziel, auf den schon die erste Nacht, die Nacht von Bethlehem, verwies, aller leuchtenden, die Himmel durchstrahlenden Friedens-Verheißung zum Trotz. Es ist vollbracht: Das betrifft nicht nur die Geißelung und das Annageln am vorher genau ausgemessenen Holz (ein Baumstück galt mehr als ein Mensch), nein, das Wort gilt in gleicher Weise der Angst, die Jesus bei Dunkelheit auf die Felder hinaustrieb, fern von den Menschen, allein, es gilt dem Vergießen des blutigen Schweißes in der Gethsemane-Nacht; es gilt den Tributen an menschliche Gebrechlichkeit und an die Angst der Kreatur, von der - uns zum Trost! - auch jener Mann nicht frei gewesen ist, der Jude auf dem Gang von Bethlehem nach Golgotha, von dem Martin Luther - einer, der wie kaum ein zweiter Christenmensch gewusst hat, was Angst heißt! - gesagt hat, in seiner Karfreitagspredigt im April 1522: „Ein fein pur lauter Mensch" ist unser Herr Jesus gewesen; „darum hat er auch in des Todes Ängsten so getrauert und gezagt"; denn die Angst ist am größten, wenn „einer sieht, dass der Tod seinen Rachen aufsperret und auf ihn zufallen will" ...und diese Angst und Traurigkeit hat Jesus auch gehabt und viel härter „denn sie etwa einen Menschen versucht hat", doch „das ist ihm vorbehalten, dass er nicht wahnsinnig geworden ist", nein, „seine Vernunft ist ihm lauter, klar und rein blieben". Es ist vollbracht; ich habe Durst: Das sind schlichte, sehr sanfte Worte, die Jesus am Kreuz spricht. Kein triumphaler Appell, sondern menschliche Rede. Worte, die - uns zur Schande - ein millionenfaches Echo fanden - bis zu diesem Tag. Das Echo der leiser werdenden Stimmen von Verhöhnten und Gefolterten.
Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist - das letzte Wort, wie das erste, an den Vater gerichtet: nun aber nicht mehr Bitte, Warten, Sich-Einlassen, Hoffen, sondern Abgesang und, in eins damit, Wendung von der Erde zum Himmel, vom Menschen zu Gott, vom Sterbenden zu dem, der über den Tod hinaus Leben verbürgt. Das letzte Wort: für die Gemeinde, damals, ein Satz, der in der Weise des einunddreißigsten Psalms gesprochen sein musste: "Herr, auf dich vertraue ich, lass mich nicht zuschanden werden; ziehe mich heraus aus dem Netz, das sie mir gestellt haben. In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott."Ein Wort der Demut, das letzte - ein Wort aber auch, das zu bedenken heißt: den anderen, mit dem Gekreuzigten leidenden Gott in Auge zu fassen, nicht den Gewaltigen, nicht den Herr-Gott, sondern den, der mit-gekreuzigt wird, den Gott, der in den Todeszellen dabei ist, bis heute, und, da er sich mit-dahingibt statt gelassen als ein Gott der Altäre, zuzuschauen, zum Teilhaber menschlicher Not wird - Mann und Frau zugleich; nicht Vater der Schlachten, sondern Pietà und Schmerzensvater im Himmel - ein ergreifendes Doppel-Bildnis, das auf die Einheit von Ohn-Macht und Erlösung verweist. Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist: Jesus, der Jude, der dies gesagt hat, wusste um die Einheit von Scheitern und Erhöhung, von der Kraft, die sich nicht in der Glorie, sondern in Anfechtung, Angst und Schwäche bewährt. Und dies eben, das Miteinander von Traurigkeit bis an den Tod und „in deine Hände befehle ich meinen Geist", bewegt uns, die Hörer der Passion und verpflichtet die Zeugen: „Jesus", hat Pascal gesagt, „wird bis ans Ende der Welt in Todesqualen sein; wer könnte da schlafen zu solcher Zeit?" - wer, Haydns großes Gewitterfinale in solchem Leidenssturm, der doch zugleich, für uns, ein Hoffnungsbeben ist - vielleicht; denn die Schöpfung könnte, wie die Dinge heute auf der Erde stehen, auch zurückgenommen werden und schon bald.
Prof. Walter Jens
Stefan Negelmann 15/03/2011 9:20
!Florestan 14/03/2011 22:27
der perfide homo dingenskirchen und seine jetztdinger, also wir, haben sich zwei dinge herausgenommen:- sie wissen bescheid
- sie wissen nicht genau bescheid, also gottheiten
dass sie universale nichtse sind, das begreifen sie nicht.