Bricla


Premium (Complete), Mittelfranken

Weihnachts.Buch.Baum

Ich habe ein altes Buch weihnachtlich verändert.
Das Buch stammt von einem Bücherregal, wo man seine alten Exemplare entsorgen kann für andere Mitmenschen.
Leserforum Nürnberger Nachrichten 19.12.2016

Comentarios 28

  • juergi-p 26/09/2016 13:22

    Buchfrevel! Andererseits aber eine tolle Idee.
    vg von juergi
  • Sam Os 31/12/2015 4:47

    Eine gelungene Umsetzung einer interessanten Idee
    VG Grüße und ein tolles neues Jahr
    Samos
  • Eifellive 18/12/2015 18:31

    Eine tolle Idee und ein schönes Foto.
    LG
    Ingrid
  • Cecile 18/12/2015 15:12

    Grandios ist das und mein großes Kompliment an dich für diese sagenhaft schöne und gute Arbeit !!!!!
    Einen schönen 4. Advent für dich mit lieben Grüßen
    Elfi C.
  • Hannes Gensfleisch 16/12/2015 11:22


    Gern geschehen.
    Ich hoffe, es hat nicht
    so viele Tippfehler drin. ;–)
  • Bricla 16/12/2015 7:08

    @Hannes: Damit dürftest du den Rekord für die längste Anmerkung aufgestellt haben ;)
    Danke für die Mühe
  • Hannes Gensfleisch 15/12/2015 20:24


    Und hier der Anfang der arabischen Novelle von Paul Scheerbart:

    Es war Nacht. Die Sterne funkelten hoch über der einsamen Wüste. Hin und wider wehte der Wind durch die Einöde. Große Käfer summten und surrten in der Luft – und eine lange Karawane zog über den heißen Sand still ihres Weges dahin. Gen Mekka pilgerten die braunen Wüstensöhne, die weit daher kamen vom fernen Damaskus.
    »Wir sind in Mekka, bevor der Morgen graut«, rief ein Kamelreiter einem Reiter zu, der in seinen gelben Gewändern hoch aufgerichtet auf einem schwarzen Hengste saß und unablässig mit seinen glänzenden Augen gradaus in die dunkle Weite starrte. Nur der spitze schwarze Kinnbart und die feingebogene braune Nase hoben sich in scharfen Umrissen aus dem gelben Wolltuche heraus. Die rechte Hand hielt den im Steigbügel steckenden Speer. Es war der Dichter Ascha, der auf dem schwarzen Hengste saß. Sein Pferd fühlte jetzt einen leichten Sporendruck, und im langsamen Trabe ritt der Dichter an den Kamelen vorbei. An der Spitze der Karawane neben dem größten, mit Ware bepackten Lastkamel zügelte der Reiter sein Roß; er spähte weit vorgebeugt in die Ferne, in der aus der geheimnisvollen Finsternis unbestimmte Schatten aufstiegen. Die alte Stadt Mekka ward drüben in der Dunkelheit sichtbar.
    Die Bürger Mekkas waren arm, sie ahnten noch nichts von dem späteren Ruhm und Reichtum ihrer Vaterstadt. Der Prophet lebte noch nicht. Und die Armut der altmekkanischen Bürger entlockte dem Dichter Ascha Seufzer um Seufzer.
    Ascha wollte gen Okaz ziehen, um dort am Dichterwettkampf teilzunehmen. Jedoch die Goldstücke, die er von Freunden in Damaskus empfangen, waren schon sämtlich verschwunden ; die weite Reise hatte mehr gekostet, als man geglaubt. Ascha gedachte der lustigen Stunden, die er auf den Märkten und in den Schänken verbracht. Glühende Frauenaugen leuchteten wieder in seiner Erinnerung auf; traurig begann er die vielen schönen und häßlichen Hände zu zählen, die seine Goldstücke fortgenommen und behalten. Des Dichters Augen hafteten lange bange am Boden. Außer Roß, Kleid und Lanze besaß der Arme nichts – nicht eine Silbermünze ließ sich in den weiten faltenreichen Wollkleidern auffinden. Und die Armut der altmekkanischen Bürger entlockte dem Dichter abermals Seufzer um Seufzer.
    Bei diesen traurigen Dichtergedanken erblaßten allmählich die Sterne. Der Himmel ward hell. Hinter Mekka ging die Sonne auf in demselben Augenblick, in dem die Karawane die Lagerplätze der Stadt erreichte. Die Prachtglut der Himmelsfarben schien den Ascha wieder belebt zu haben, denn er tummelte lustig seinen Renner auf den Wiesen umher, er schaute nach den bunten Kuppeln der alten Tempel, sein Blick glänzte wieder wie sonst, und bald ritt er unter hohen Palmen lustig fort einem abseits gelegenen Hause zu, vor dessen Türe man große rotgefärbte Wolldecken zum Trocknen aufgehängt hatte.
    Ischak, ein armer Bürger, dem das kleine mit brauner Lehmerde gebaute Haus gehörte, wußte den stattlichen Reiter so zuvorkommend zu begrüßen, daß dieser seine Seufzer gänzlich vergaß. Als der Gast aber erst gesagt, daß er der Dichter Ascha sei, da konnte der alte Ischak seine Rührung nicht verbergen; Tränen traten in seine Augen, und glücklich ward die Schwelle gepriesen, die der arabische Dichter überschritt, als er die Wohnung des alten Mannes betrat. Der Alte geleitete den Ascha durch ein niedriges Zimmer zu dem Hofraume hinter dem Hause, den eine hohe Lehmmauer von allen Seiten umgrenzte.
    Eine breite grüne Wolldecke hing in weich geschwungener Wellenlinie wie ein Zeltdach von dem oberen Gesimse des Hauses hernieder, wurde vorne von langen Latten emporgehoben und beschattete so die Estrade. Hier hieß Ischak seinen hohen Gast noch einmal herzlich willkommen und holte gleich eigenhändig eine große Schüssel mit kühlem Wasser, in dem Ascha seine Füße waschen konnte; Ischak wollte während dessen für das Pferd Sorge tragen.
    Wie sich der Dichter frisch und erquickt auf dem alten, über die schwarzen Steinfliesen gebreiteten Teppiche niederließ, trat eine Jungfrau mit einer Kanne Dattelwein aus dem Hause heraus ; sie begrüßte den Gast artig und bescheiden und stellte den Wein vor ihm nieder. Der Alte kam zurück und leistete dem Fremden Gesellschaft, ein zweites Mädchen brachte Brot herbei, ein drittes erschien mit einer Schale voll Früchten, ein viertes mit frischem Ziegenfleisch.
    Während die beiden Männer das einfache Mahl verzehrten, wunderte sich Ascha über die große Zahl der im Hause seines Wirtes befindlichen Mädchen. Sein Erstaunen wuchs jedoch, als eine fünfte und sechste Jungfrau herbeieilte, um die Speisereste fortzutragen. Auf die Frage, wessen Töchter die Mädchen seien, sagte der Alte, die Mädchen seien seine eigenen Kinder. Der Dichter fragte nun neugierig, ob er noch mehr Kinder besäße. »Acht Mädchen hat mir meine vor vielen Jahren verstorbene Frau hinterlassen«, erwiderte der greise Vater mit zitternder Stimme. Darauf plauderten sie lebhaft von Damaskus und Mekka, von Smyrna und Alexandria, von dem großen Markte zu Okaz und von den arabischen Dichtern, von Teppichen und Seidenstickereien. Ascha erfuhr hierbei, daß die acht Töchter seines Wirtes Seidenstickereien verfertigten und durch den Erlös derselben den Haushalt bestritten, da der alte Vater nicht mehr im Stande war, sich allein vom Ertrage seiner Wollfärberei zu ernähren.
    Drei Tage nun lebte der berühmte Dichter im Hause des Wollfärbers. In den Abendstunden pflegte er durch die Straßen Mekkas zu reiten, um mit seinen Gedanken allein sein zu können. Aber Aschas Gedanken schwelgten nicht in Versen, nicht ließ er wie einst sein Träumen und Sinnen hinausschweifen zu den Geistern der Wüste, zu den schwarzen Dschinnen oder zu den himmlischen Sterngöttern; nur an seine Reise nach Okaz mahnte ihn alles, was er sah; jeder Kameltreiber schien ihm zuzurufen: »Mit wessen Gelde willst Du weiterreisen, großer Dichter?« Und Ischaks Armut ward dem Ascha beklagenswerter denn je. Sollte der Gast von dem alten Manne die letzten Ersparnisse fordern? Ascha warf stolz den Kopf zurück, ließ ihn aber immer wieder sinken; er kam zu dem Schlusse, daß er in jedem Falle noch etliche Goldstücke zur Weiterreise bedurfte. »Soll mich meine Armut verhindern, am Dichterwettstreit in Okaz teilzunehmen?« rief der arme Reiter heftig aus. Er riß das Pferd zurück, blieb stehen, nagte an der Unterlippe und leistete sich selbst den Schwur, vom alten Ischak das Gold zu erpressen, wie es auch kommen möge. Er murmelte leise vor sich hin: »Was würde ganz Arabien sagen, wenn Ascha dem Dichterwettkampf fern bleibt? Niemand weiß den Klangreiz der Sprache so zum ergreifenden Ausdruck, so zur Glanzwirkung zu bringen wie ich.« In die feinen Gesichtszüge begann ein verschmitztes Lächeln kleine Falten lustig hineinzuzaubern; Ascha trabte heiter davon.
    Als sich der Reiter unter den Palmen der Wohnung des alten Färbers näherte, war die Sonne bereits untergegangen. Die roten Wolldecken leuchteten vor dem kleinen, von grünem Gestrüpp umhegten Lehmhause wie blutige Kriegermäntel, und schon strahlte der Abendstern vom dunkelblauen Himmel durch die Palmen zur Erde hernieder. Entschlossen schaute der Dichter umher, band die Zügel seines Pferdes neben der Tür an einen Holzpflock und ging durch das Haus in den Hofraum, wo er unter dem grünen Zeltdach sinnend stehen blieb; die Arme hielt er gekreuzt über der Brust. Mondenschein erhellte die grünumlaubten Lehmmauern, die Mohnblumen in der Mitte des Hofes, die Hecken und Obstbäume; zwei Palmen hinter der Mauer reckten sich dunkel vom Abendwinde gewiegt hinauf zum Sternenzelt.
    »Herr, das Abendessen steht bereit.«
    Also sprach eine wohllautende Stimme.
    Der Dichter drehte sich erschrocken um. Selma, Ischaks älteste Tochter, stand da schüchtern vor ihm. Er reichte ihr die Hand und dankte, doch das Mädchen sprach wieder: »Herr, Euch scheint ein großes Unglück widerfahren, Ihr seht schon lange so finster aus. Vergebt mir die neugierige Frage, doch meine Schwestern baten mich, zu erforschen, was Euch drückt. Der Vater ist fortgegangen, und, wenn er zugegen ist, dürfen wir nicht wagen, Euch anzusprechen. Haben wir es an irgend etwas fehlen lassen? Wir sind so arm und vermögen Euch nicht mehr zu bieten. Ihr dürft uns deshalb nicht zürnen.«
    Ascha fühlte bei diesen Worten eine Beklemmung, er hatte nur überlegt, wie er wohl erfahren könnte, wie viel Goldstücke der alte Ischak noch besäße. Selma stand erwartungsvoll. Der Mond überglänzte den schlechtgepflegten Hof und den alten Teppich. Da kam dem Dichter ein Einfall, und er fragte tiefernst: »Liebe Selma, kommen häufig Freier in Euer Haus? Hat Dein Vater schon einen Eidam für Dich oder für eine Deiner Schwestern gefunden?« Da wurde das Mädchen traurig; es schüttelte den mit pechschwarzen Haaren umrahmten Kopf so heftig, daß die Haarsträhnen über der Brust zusammenfielen, seufzte schmerzlich und erwiderte tonlos: »Wir sind zu arm, Herr, wir konnten niemals hoffen, daß ein Freier unser Haus beträte.« Ascha fragte nun schalkhaft lächelnd, ob denn die Mädchen nichts gespart hätten, und Selma sagte darauf: »Zwanzig Goldstücke haben wir nur gespart, denn die Stickereien werden wohl gut bezahlt, aber die Arbeit ist sehr mühsam und langwierig, zudem ist die Seide, die uns von China zugesandt wird, hier so teuer, daß wir doch im Ganzen wenig erübrigen, selbst wenn wir noch so kärglich leben würden.«
    »Zwanzig Goldstücke genügen nicht einmal, um einen einzigen Eidam anzulocken. Wäre die Stadt Mekka reicher, dann könntet Ihr wohl eher Hoffnung haben –.« Bei diesen Worten des klugen Ascha begann die Selma zu weinen, aber der Dichter lächelte, streichelte die Wange des jungen Mädchens und sagte mit prophetisch glänzenden Augen: »Dennoch wird jede von Euch einen Eidam finden, seid nicht betrübt! In Jahresfrist werdet Ihr – alle Acht! – glückliche Ehefrauen sein, auch wenn ihr kein einziges Goldstück erspart hättet. Dieses, Selma, verkündet Dir Ascha, der Dichter, der mehr weiß und mehr vermag als Du ahnst.«
    Da trocknete Selma ihre Tränen, sie reichte dem Dichter vertrauensvoll dankend die Hand und sprach gerührt: »Dann will ich auch prophezeien. Ich weissage, daß Ihr im Dichterwettkampf den höchsten Preis erringen werdet, und eure Verse werden, wie es Brauch ist, mit golddurchwirkten Fäden auf weißer Seide gestickt werden. Und ich weiß auch, daß diese meine Finger das Glück haben werden, Eure Verse mit Goldfäden für alle Zeiten zu verewigen.«
    Nachdem sie aber also mit erhobener Stimme geweissagt hatte, verstummte sie, und es war lange Zeit eine große Stille; nur der Mond glänzte über der Lehmmauer, die Mohnblumen glühten im Halbdunkel, und die Palmen wiegten sich im Abendwinde. Und auf einmal fühlte Ascha Selmas Haupt an seiner Brust, und sie sprach ganz leise, gar nicht mehr prophetisch: »Kann nicht Ascha einer von den Bräutigamen sein?« Da fuhr aus Aschas tiefster Seele ein großer Seufzer, und er sprach ganz leise, ohne zu lächeln: »Ascha ist ein Dichter und also ein armer Mann, Deiner aber warten die reichen Söhne von Okaz.« »Aber Ascha«, flüsterte Selma, indem sie sich innig an ihn schmiegte, »wird doch den Preis im Dichterwettkampf erringen und viele Goldstücke heimtragen.«
    »Ja«, sprach Ascha, »das wird er. Aber er wird sie noch denselben Tag alle ausgegeben haben und wird ärmer sein denn zuvor. Denn wisse, daß Ascha ein Dichter ist und daß ein Dichter auch dann kein Geld hat, wenn er Geld hat, dafür aber große Bekümmernis, Trunkenheit, Liebesnöte und Schulden zuletzt.«
    »O«, sprach Selma noch leiser, »das ist freilich etwas Andres, das habe ich nicht gewußt. Dann muß Selma also doch des anderen Eidams warten.« Ihr Haupt aber lag noch immer an seiner Brust. Und Ascha beugte sich nieder und küßte sie viele Male, daß sie es nicht wehren konnte. Und sie weinte wieder und sagte: »Ascha, Ascha, warum kannst Du nicht doch der Bräutigam sein?« Da umschlang sein starker Arm sie fester, seine Küsse brannten wie Flammen, und er sagte: »Selma, Dein Bräutigam wird Dir Goldstücke geben, ich aber gebe Dir Küsse, für jedes Goldstück einen.« Und nach einer Weile fügte er hinzu: »Nun ist Ascha Dein Bräutigam gewesen. Aber jetzt ist es aus. Mehr hat Ascha nicht. Ziehe hin in Frieden.«
    »Ja«, sagte sie leise, »ziehe hin in Frieden. Die Himmlischen sind groß und werden das Los der Dichter bessern.«
    Und also schieden sie in Frieden, da um diese Stunde der alte Ischak heimkommen sollte. Eine Weile stand Ascha ganz still und schaute in den Mond, mit großer Ruhe. Da er aber Ischaks schlürfende Pantoffeln hörte, sprach er zu sich in seinem Innern: »Die Dichtermacht ist groß, und die Liebe ist eine Katze. Aber Deine Küsse waren keine Goldstücke. Und jetzt ist nur zu überlegen, wie Du diesen guten Leuten die gesparten zwanzig Goldstücke abnehmen kannst.«
    Und eine halbe Stunde darauf saßen Ascha und der greise Ischak schweigend mit untergeschlagenen Beinen auf dem Teppich nebeneinander. Eine Spanne Zeit dauerte dieses Schweigen, dann aber, als die Kanne Dattelwein zur Hälfte geleert war und der Mond glänzend über die Mauer schien, hub der Dichter mit leiser Stimme an:
    »Ischak hat acht Töchter, alle schön wie der Vollmond, wenn er über der Wüste steht, aber das Haus der Armen steht offen, ohne daß ein Eidam hineintritt.«
    Da ward ein langer Seufzer in der Stille der Nacht vernehmbar und das Haupt des greisen Ischak sank tiefer auf die Brust herab. Und abermals nach einer Weile begann der große Ascha von Neuem:
    »Die Himmlischen haben Ascha geoffenbart, daß dem Hause Ischaks acht Schwiegersöhne nahen werden, alle glänzend angetan und Besitzer unzähliger Kamele und Schafe. Und es wird geschehen in den Tagen, da der Dichter in Okaz weilt und die Gassen von Okaz widerhallen vom Klange seiner Lieder.«
    Bei diesen Worten richtete der greise Ischak sein Haupt langsam empor, und ehrfurchtsvoll murmelte er:
    »Bei den Himmlischen ist kein Ding unmöglich.«
    »Kein Ding unmöglich«, wiederholte der Ascha und wiegte leise sein Haupt hin und her. »Und doch«, fuhr er nach einer Weile wieder fort, »wurde das Herz des Dichters von schweren Zweifeln an der Macht der Götter bewegt. Wie, Ihr Himmlischen, fragte ich, soll ich denn nach Okaz kommen, da ich zu dieser Reise doch zwanzig Goldstücke benötige und auch nicht die kleinste Münze in den Falten meines Gewandes trage?«
    »Und was haben die Himmlischen Dir darauf geantwortet?« fragte der alte Ischak, und eine leise Erregung bebte durch seine Stimme.
    Da war es, als ob auch die Augen des Dichters heller aufleuchteten und auch seine Stimme zitterte leise vor Erregung: »Heute«, sagte er, mit dem Tone eines geweihten Sehers, »heute, erwiderten mir die Himmlischen, bist Du arm, und heute noch wirst Du reich sein. Aber«, setzte er dann nach einer Pause wehmütig hinzu, »das Heute neigt sich dem Ende zu, und noch sehe ich keinen Boten, der mir die Erfüllung dessen brächte, was die Dreimal-Heiligen mir geoffenbart haben.«
    Bei diesen Worten hob sich der greise Ischak langsam empor, stand auf, und eine große Feierlichkeit lag über seinem ganzen Wesen. Und er legte beide Hände auf die Schultern Aschas und sagte: »Mein Sohn! Zweifle nie an der Macht der Himmlischen. Bei den Himmlischen ist kein Ding unmöglich, und siehe, ihr Bote ist gekommen.« Und langsam schlürfte er davon, ging zu seinen Töchtern und kam bald mit zwanzig dicken Goldstücken wieder, die er in feierlicher Weise dem Fremden übergab. Dieser dankte mit zitternder Hand und steckte hastig das Geld zu sich. Länger hielt es ihn nicht. Er stand auf und nahm Abschied.
    Vor der Tür umarmten sich die beiden Männer noch einmal und rasch bestieg der Dichter wieder seinen schwarzen Hengst, mit dem er stolz hochaufgerichtet in die mondhelle Nacht hinaussprengte.

    Der große Markt von Okaz wurde von unzähligen Reisenden besucht; Perser und Armenier, Inder und Syrer trafen dort zusammen. Ungeheure Warenballen lagen neben den ruhenden Kamelen. Die Teppichhändler priesen laut ihre neuen Muster an, und prunkende Seide glänzte neben dicken Wolldecken. Aus den großen, bunten Zelten drangen die fremden Laute der verschiedenen Sprachen heraus. Nackte Kinder spielten lärmend auf der grünen Wiese, Frauen trugen Wasserkrüge zu den silberklaren Quellen – laute Marktfreude belebte die ganze Stadt.
    Ascha wandelte sehr unruhig mit breiten Pergamentrollen in der Hand in den abseits gelegenen Palmenhainen umher. Vergeblich versuchte er, sich die Gesichtszüge von Ischaks Töchtern im Geiste vorzustellen, auch ihr Wesen und ihre Eigenart schien ihm gar nicht mehr erinnerlich. Daß ihn aber so sein Gedächtnis im Stiche ließ, das kümmerte den Dichter wenig, den dazumal nur ein Gedanke bestrickend umfangen hielt; er wollte prüfen, wie weit die Macht eines arabischen Dichters reichen könnte. »Der König von Byzanz soll uns Dichter um unsre Macht beneiden !« flüsterte er häufig vor sich hin – in seinen spitzen, schwarzen Bart.

    Als nun endlich der Tag des Wettstreites herangekommen war und auch Ascha mit lauter hellklingender Stimme seine Verse vortrug, da horchten die Versammelten aufmerksam auf; gar bald herrschte andächtige Ruhe. Der große Ascha pries in acht herrlichen Gesängen die Tugenden der arabischen Frauen. Der Name »Selma« ward häufig wiederholt. Mekkas künftige Größe wurde zum Schlusse von Ascha in hochtönenden Worten geweissagt, worüber die Versammelten sehr erstaunt waren. Die Verwunderung wuchs, als der Dichter in reizenden Versen mitteilte, daß die acht Mädchengestalten, welche die gepriesenen Tugenden verkörperten, leibhaftig auf Erden lebten. Ein brausender Beifall wurde dann aber entfesselt, als der Dichter auch behauptete, daß er den Wohnort der Schönen anzugeben wüßte. Kaum glaublich erschien es hierauf Allen, als sie hörten, die Mädchen lebten in dem bislang nur durch seine Armut bekannten Mekka im Hause des armen Wollfärbers Ischak. Wer indessen beschreibt den Jubel, als Ascha begeistert ausrief, daß derjenige, welcher nur eine einzige der acht Jungfrauen zu seinem Ehegemahl erheben dürfe, sich selig preisen könne bis an das Ende seiner Tage. Mehr jedoch sagte der kluge Dichter an dem Tage des Dichterwettkampfes nicht.
    Alles aber hatten viele vornehme Jünglinge gehört, die alle sogleich in heißer Liebe entbrannten, noch in selbiger Nacht eine große Karawane ausrüsteten und ohne Verzug zum Aufbruch mahnten, damit Niemand früher gen Mekka pilgre denn sie.
    Und der Dichter Ascha empfing den Dichterpreis. Den nach Mekka reisenden Jünglingen ward der ehrende Auftrag zu teil, dafür zu sorgen, daß Aschas Verse von kundiger Hand in Mekka mit goldenen Fäden auf weiße Seide so rasch wie möglich gestickt würden. Andächtig verwahrten acht Jünglinge die acht Pergamentrollen in den Wollgewändern auf ihrer Brust. Im ganzen versammelten Volke fühlte sich ein Jeder hingerissen von der feurigen Glanzsprache des großen Dichters Ascha. Sein Name ging von Mund zu Mund und ward von den Fortziehenden weitergetragen bis an die Ufer des Ganges, bis Byzanz und Alexandria.
    Als Ascha nach einigen Monden wieder in Mekka vor Ischaks Türe sprengte, da schien ihm das Haus leer zu sein. Niemand öffnete. Er band wieder die Zügel seines Rosses an den Holzpflock, öffnete die schwere Holzpforte, schritt durch die armseligen Gemächer in den Hof, wo er Alles unverändert fand. Wieder schaute er unter dem grünen Zeltdach, während er die Arme über der Brust kreuzte, zu den Mohnblumen hinüber, auf die großen Palmen, auf die braunen Lehmmauern – da hörte er hinter sich etwas rascheln. Schon glaubte der Dichter, einer von den schwarzen Wüstengeistern sei ihm nachgeschlichen und raschle dort wie eine Maus, denn es blieb kurze Zeit wieder ganz still, bis eine ihm bekannte Frauenstimme hell und vernehmlich sprach:
  • Hannes Gensfleisch 15/12/2015 20:17


    Und weiter:

    Auf staubigen Blumen sitzen müde Käfer. Glühend scheint die Sonne hinab in die Gärten der großen Chalifenburg. Träge liegen dicke Schildkröten auf den braunen Kieswegen. Ein schwarzer Sklave schleicht durch's Gebüsch. Immer wieder leuchtet zwischen Myrten und Lorbeern das gelbe Lendentuch des Sklaven hell auf.
    In den Straßen Bagdads wird es stiller und stiller – denn die Sonne steht ganz hoch oben am Himmel. Es ist so heiß und so drückend schwül – wie in der Wüste.
    Auf dem breiten Tigris gleiten chinesische Dschunken mit schmierigen Segeln langsam dahin – an der Chalifenburg vorbei – der kleinen Speicherinsel zu.
    In der Chalifenburg schreien die Haremsfrauen, die Prinzen drücken sich verstohlen die Hände, die Sklaven flüstern mit scheuem Blick, nur die Hofleute lächeln – verschmitzt – überlegen – kalt. Und von Palast zu Palast eilen die Boten mit wichtigen Briefen, die ganze Hofburg mit ihren bunten Gärten, mit ihren Hallen und Hainen, mit ihren unzähligen Schlössern und Villen – ist in große Bestürzung geraten – – denn eine große Empörung ist ausgebrochen in den weiten mohamedanischen Landen. Man hat dem Chalifen Emin den Gehorsam gekündigt. Und die Aufständischen werden geführt von Mamun, dem Bruder des Chalifen. Schon nahen die Rebellen den Thoren Bagdads. Niemand wagt dem Mamun zu widerstehen, die Söldnerscharen gesellen sich auch zu den Aufständischen – – – und Mamun kommt immer näher und näher, und mit ihm kommen zügellose Rotten, wilde blutgierige Krieger – sie nahen der Chalifenburg. Bagdads Bürger ziehen sich in ihre Häuser zurück. Um die Mittagszeit ist auf allen Straßen kein Mensch mehr zu sehen.
    Aber im Fischpalast am Tigris, wo der Chalif Emin seit einem ganzen Jahr am liebsten zu weilen pflegt, da stehen die Sklaven an den Türen und starren gradaus, keiner von ihnen wagt, sich zu bewegen. Der Chalif hat befohlen, alle Sklaven sollen ganz still stehen. Um das Mauerwerk des kleinen Schlosses plätschern die Tigriswellen, die große Prachtbarke schaukelt. Auf einer Galerie, die sich dicht über dem Strome hinzieht, geht Emin langsam auf und ab, zuweilen bleibt er stehen, starrt ins Wasser, lehnt sich mit der Brust über das Holzgeländer und schlägt mit dem rechten Fuß nach hinten aus wie ein Pferd . . .
    Die Prachtbarke schaukelt nicht fernab von der Galerie, deren Holzgeländer reich mit roten und blauen Farben bemalt ist. Der Chalif trägt einen grünseidenen Kaftan und einen weißen Turban, unter dem das dunkelbraune Gesicht mit kleinem Schnurrbart und blitzenden Pechaugen plötzlich unheimlich hervorschaut. Emin faltet die Hände – und seine Augen werden blöde.
    Emin weiß heute wieder nicht, was er zuerst tun soll, gestern wollt' er auf den Tigris hinausfahren. In der Nacht fiel ihm aber ein, daß er einen Brief an einen indischen Teppichhändler zu schreiben habe. Des Morgens wachte der Chalif mit einem neuen Bauplan auf; er wollte fürderhin in den Kronen der größeren Bäume wohnen, weil dort die Aussicht so gut ist. Wie er nun so an dem Holzgeländer lehnte, fielen ihm einige Regierungsgeschäfte ein. Auch überlegte er dabei, ob er nicht lieber einmal einen Krieg anfangen sollte. »Ja wohl«, murmelt er, »als Chalif muß ich eigentlich auch Krieg führen, das hab' ich ja noch nie getan. Wenn ich nur nicht so viel zu tun hätte. Immerfort muß ich so viel tun. Ich komme bald zu gar nichts mehr, und ich vergesse so vieles. He, Sklaven!«
    Zitternd und bebend nahten die beiden Sklaven, die an der nächsten Türe standen; Emin fragte:
    »Was habe ich vergessen?«
    Der größere Sklave – ein Armenier mit hellem Gesicht und dunklem Bart – kreuzte die Hände langsam über der Brust, verbeugte sich bis zur Erde und sprach:
    »Angeln! Herr!«
    »Richtig! richtig! richtig!« rief der Chalif, und majestätisch schritt er durch die Pforte in seinen Speisesaal, den grade sechs persische Jungfrauen festlich schmückten. Auf den Teppichen lagen Rosen und Nelken. Weihrauch brannte in goldenen Schalen. Und in der Mitte auf einem weißen, ovalgeschnittenen Ziegenfell stand ein Kalbsbraten – der duftete. Die Jungfrauen sanken auf die Kniee, warfen Rosen hoch in die Luft und sangen ein arabisches Schlachtlied, das der Chalif immer zum Frühstück zu hören pflegte. Der Chalif setzte sich nun auf das Ziegenfell und aß – die Mädchen sangen und warfen Rosen in die Luft, die Weihrauchbecken qualmten, und Emin dachte plötzlich wieder nach; er dachte wieder an alle seine vielen Geschäfte, an den Krieg und an den indischen Teppichhändler. – Da kam aber der Armenier herbei und rief wieder:
    »Angeln! Herr!«
    »Ach richtig«, sagte schmunzelnd hierauf der Beherrscher der muhamedanischen Welt, kaute hastiger, stach das Messer in den Kalbsbraten und sprang auf. Die Mädchen sangen nicht mehr, auf einen Wink des Armeniers jagten sie jetzt wie die Windhunde davon, um die Angelruten zu holen. Von allen Seiten eilten Sklaven herbei, stürzten dem Allmächtigen zu Füßen und küßten den Teppich, den der Herr betreten wollte – – – jedoch kein einziger Sklave, kein Hofmann und kein Prinz wagten zu sagen, daß Rebellen der Chalifenburg nahten, daß Mamun, des Chalifen Bruder, schon ein paar Dutzend Siege über Emins Truppen davongetragen – – – nein, nein – Emin hörte nur zuweilen, daß an den Grenzen Krieg ausgebrochen, daß das aber nichts zu bedeuten habe – das sei immer so gewesen, das sei überhaupt noch gar kein wirklicher Krieg – so ungefähr sprachen die Hofleute, wenn sie einmal vor dem Herrn der Erde reden durften, was nicht oft vorkam.
    Und Emin schritt stolz in seinen Teichsaal – da war der ganze Fußboden aus Alabaster, und in den Alabaster waren blaue Sterne von Lapis lazuli eingelegt. Vor den Fenstern des reich vergoldeten Saales war nur das erhellte Laub grüner Bäume zu sehen, die wie grüne Gardinen das Licht dämpften. In der Mitte des Saales befand sich ein großer Teich, der durch Röhren mit dem Tigrisstrome verbunden war. Hier angelte der große Chalif. Er saß in ganz, ganz weichen Kissen am Rande seines Teichbeckens mit dem Rücken gegen die Fenster und angelte. Wenn sich die grünen Blätter vor den Fenstern bewegten, dann bewegten sich auch die grünen Lichtflecken auf dem Alabasterboden. Die blauen Sterne von Lapis lazuli wirkten gar geheimnisvoll zwischen den grünen Lichtflecken.

    Die Sklaven standen jetzt überall an den Türen wieder ganz still und starrten gradaus, denn der hohe Herr des Hauses angelte. Wundersam – heut' biß nichts an. Doch Emin starrte in den Teich und ließ die Angelruten nicht fallen. Er hatte Krieg, Indien und Regierung vollkommen vergessen.
    In den Gärten der Chalifenburg schleicht ein schwarzer Sklave mit gelbem Lendentuch einen kleinen Hügel hinan. Er klatscht in die Hände, und siehe – da kommen Krieger aus dem Gebüsch, wilde Gestalten mit blitzenden Säbeln – wohl an die hundert Mann. Der schwarze Sklave zeigt auf den Fluß und erzählt hastig den Führern, was er im Schloß erfahren – hauptsächlich, daß dort alle still stehen und gradaus sehen müssen.

    Mit ein paar Kähnen fahren die Krieger neben der Prachtbarke des Fischpalastes vorbei an die Galerie, auf der noch vor kurzem der Chalif nachdachte.
    Die Sklaven fliehen, wie sie die Krieger sehen, und diese durchsuchen nun das ganze Schloß, essen den Kalbsbraten im Speisesaal auf und kommen an die Tür des Teichsaales.
    Und da schreit der Chalif Emin hell auf, fängt an zu lachen, daß ihm die Tränen über die braunen Wangen rollen – denn er hat einen großen Aal gefangen; der Aal zappelt an der Leine, schlägt wuchtig mit dem Schwanz nach allen Seiten, und Emin freut sich darüber.
    Die beiden Sklaven an der Tür flüchten in die Ecken des Gemachs. Die wilden Rebellen sehen sich erstaunt an, lachen auch wie Emin, dann aber zieht der Wildeste hurtig sein Schwert, holt kräftig aus und schlägt dem lachenden Chalifen den Kopf ab. Der Kopf fällt mitsamt dem Turban in den Angelteich – und die Angelrute fällt mit dem Aal auch ins Wasser. Der Aal zieht Leine und Rute mit sich in die Tiefe durch die Röhren hinaus in den breiten Tigrisstrom.
    Prächtig glänzt in dem grünen Blätterscheine das rote Blut des toten Chalifen. Auch der Alabaster wird an dem Teichrande rot gefärbt, und ein blauer Stern von Lapis lazuli wird auch ganz rot. Die grünen Lichtflecken auf dem weißen Alabaster kommen neben dem roten Blute zu prächtigster Wirkung. Nur die beiden Sklaven in den Ecken des Gemachs achten nicht auf die seltene Farbenstimmung. Das grüne Dämmerlicht zittert im Teichsaal – und es wird immer dunkler.
  • Hannes Gensfleisch 15/12/2015 20:12


    Für alle Leseratten hab' ich den Text mal »rekonstruiert«:

    »Seid gegrüßt, edler Herr, von einem armen Weibe, das zu Euren Füßen ruhen möchte bis zur Todesstunde. Der Dichter Ascha hat jeder Tochter Ischaks einen Eidam prophezeit, und es sind acht Freier zu uns gekommen und haben um uns geworben, wie man um indische Königstöchter wirbt. Ich aber habe mich von diesem Orte nicht zu trennen vermocht, an dem Ihr, edler Herr, mir erschienen. Eure Verse sind von mir auf Seide gestickt, und mein Bräutigam hat mir beim Sticken freudig Hilfe geleistet. Unser Vater zog mit seiner jüngsten Tochter in die weite Ferne, darum muß Selma, Ischaks älteste Tochter, dem Dichter im Namen ihres Gatten den ehrfürchtigen Gruß entbieten. Ascha, wie sollen wir Euch wohl danken. Euer Name wird niemals vergessen werden, Ihr habt gezeigt, wie groß und gewaltig immerdar war und bleiben wird – die Dichtermacht.«
    Da lächelte der große gefeierte Mann, wandte sich um, ergriff die beiden Hände der weinenden Selma und küßte die Stirn der jungen Frau.
    Als der vielgepriesene Dichter Ascha – reich an Schätzen mancher Art – wieder mit einer großen Karawane gen Damaskus zog – da wunderten sich die Kameltreiber, daß der stattliche Reiter auf dem schwarzen Hengst immer so listig lächelte und dazwischen wieder seufzte – unverständliche Worte in seinen spitzen Bart murmelnd. Eines Nachts aber, als es wieder sehr finster war, verstanden die Kameltreiber die unverständlichen Worte, sie klangen wie . . . Dichtermacht . . . Dichtermacht . . .
    »Dschennan! Dschennan!«
    Also hallts durch den dunklen Garten des reichen Ibn Salimba.
    Mohren rufen nach der Dschennan.
    Dschennan ist die alte Wirtschafterin des Ibn Salimba. Sie gebietet über ein Heer von schwarzen Sklaven und Sklavinnen. Das Mohrenvolk ist ganz bunt gekleidet, so bunt wie das große Tulpenbeet, vor dem der Herr des Hauses mit seinen Gästen speist und trinkt.
    Mit Fackeln rennen die Mohren durch den dunklen Garten, sie suchen die alte Dschennan, denn sie hat wieder was vergessen: was Wichtiges, sehr was Wichtiges. Ibn Salimba ist sehr ärgerlich. Die Schwarzen sind schon ganz ängstlich geworden.
    »Dschennan! Dschennan!«
    Und nach einer guten Weile steht die gute alte Dschennan vor ihrem Herrn und vor dessen Gästen neben dem bunten Tulpenbeet. Das Mohrenvolk lauscht im Gebüsch. Die Augen der Schwarzen funkeln.
    Ibn Salimba runzelt die Stirn, starrt seine Haushälterin an und fragt hart: »Wo liegt Kordova?«
    »Dort, Herr!«
    Die Alte weist mit dem Zeigefinger in die richtige Richtung hinein.
    »Wo liegen die Marzipaneier?«
    Die Alte zeigt auf einen großen silbernen Teller und sagt weinend: »Dort, Herr!«
    »So,« erwidert nun Ibn Salimba, »Dein Gedächtnis ist also noch nicht so schwach, wie Du manchmal behauptest. Wo ist nun das Nußöl in den Eiern, das neue Nußöl – he? na? wirds bald?«
    »Aber, Herr, das ist ja in die Eier hineingebacken.«
    »Was?«
    Ibn Salimba nimmt wütend ein Ei in die Hand und wirfts der Alten an den Kopf, trifft aber nur die Schulter seiner Haushälterin, an der das Ei auseinandergeht, wobei grünliches Nußöl herunterrinnt. Die Gäste lachen – wie sie aber das Öl sehen, sind sie still.
    »Was?« schreit wieder der Hausherr.
    »Ja, Herr«, sagt die Dschennan, »wenn in einem Ei kein Öl sein sollte, so haben die Mädchen schuld, wir hatten mehr Marzipan als Nußöl, und ich habe gesagt, die Mädchen sollten nichts übrig lassen. Nun meint' ich doch, sie solltens so abpassen, daß in jedes Ei auch Öl hineinkäme. Das haben die Mädchen nicht getan.«
    Dschennan weint wieder, und die Gäste lachen. Schließlich lacht der Hausherr auch. Die Schwarzen ziehen sich grinsend ins Dunkel zurück.
    Und die Becher klirren und klingen gegeneinander, der Wein erhitzt das arabische Blut, und die Marzipaneier mit ihrem Nußöl verschwinden hinter den weißen Zähnen der lachenden Sängerinnen, die Ibn Salimba in seinem Garten bewirtet, um seinen Freund, den Geographen Jussuf, zu ehren.
    Die Springbrunnen plätschern, das bunten Tulpenbeet glüht. Chinesische Lampions durchleuchten den Garten, und im Weinkioske füllen die schwarzen Sklaven roten Wein in die neuen Schläuche. Mit den neuen Schläuchen rennt das Mohrenvolk über das Fliesengetäfel der Gartenwege. Die Sängerinnen singen, daß es laut durch die Granatbäume schallt, und die Gäste lauschen und trinken. Jussuf liegt sinnend neben dem Hausherrn auf einem dunklen marokkanischen Teppich, und der Mond geht über Kordova auf und glänzt über den Lustgarten am Qued el Kebir, über den Lustgarten, in dem Ibn Salimba ein Nachtfest feiert. Weiter hinten in dem prächtigen Landhause poltert die alte Dschennan wie eine toll gewordene Dschinne durch die Prunkgemächer, durch Küche und Keller, so daß das Mohrenvolk die schwarzen Augen verdreht und sich ärgert über das böse alte Weib.
    Und als die letzten Klänge eines alten arabischen Volksliedes verklungen waren, erhob sich Ibn Salimba von seinem weichen Pfühl, ging an das Tulpenbeet, brach eine gelb und weiß gestreifte Tulpenblüte, wandte sich zurück und überreichte die Blüte dem sinnenden Jussuf – der sprang überrascht lächelnd auf, die beiden Männer flüsterten sich ein paar Worte zu und gingen dann Arm in Arm in eine Kypressenallee hinein. Auf den bunten Fliesen der Allee schwankten die langen Schatten der beiden Freunde hin und her; hinter ihnen wars hell, vor ihnen dunkel. Was die Beiden sprachen, hörten die Gäste nicht mehr. Ein paar Sklaven, die sich im Gebüsch versteckt hatten, vernahmen Worte wie »Byzanz« »Palermo« »Bagdad« »Peking« »Kairo« »Smyrna« – das Übrige verstanden sie nicht, denn die beiden Freunde sprachen persisch.
    Währenddem rief hinter dem Tulpenbeet die rothaarige Aischa etwas erregt ein paar Freundinnen an ihre Seite: »Kinder,« sagte sie, »jetzt wollen wir den neuen Gassenhauer singen. Was in allen Schenken zu hören ist, muß Jussuf auch kennen lernen!« Und die anderen Sängerinnen waren lachend einverstanden, sie tranken den Männern zu und begannen – schmeichelnd, kosend, wie die warmen Wellen des Qued el Kebir:
    Geh nicht fort, hehrer Held!
    Laß die Welt! Laß die Welt!
    Trinken könntest Du auch hier;
    O, trinke mit mir!
    Geh nicht fort, hehrer Held!
    Hast Du Zeit, Hab und Gut,
    Dann verbringst Du das auch hier;
    Verbrings doch mit mir!
    Morgen lacht, wer die Nacht
    Nicht zum Schlaf, nicht zum Schlaf
    Wie ein Murmeltier mißbraucht;
    Die Reue verraucht!
    Aber rennst Du mir weg,
    Wird mein Bein, dieses Bein,
    In die Schänke gehn allein;
    Ich liebe den Wein!
    Dieses Lied war unter dem Namen »Der einbeinige Trinker« bekannt und stammte von dem einbeinigen Dichter Ibn Krasim, der beim Vortrage der letzten Strophe immer sehr heftig auf sein linkes Bein (das gesunde!) zu schlagen pflegte – was ihm später auch diejenigen nachmachten, die zwei gesunde Beine besaßen.
    Aber Jussuf und Ibn Salimba, die eben wieder in der Kypressenallee Kehrt machten und sich langsam dem Tulpenbeete näherten, sprachen heftiger und eindringlicher, wenn sie auch flüsterten. Ein dicker Mohr hörte im Gebüsch, wie Jussuf jetzt auf Arabisch sagte: »Aber Byzanz, ich sage Dir, Byzanz kennst Du nicht. Da nützt mir Silbergeld garnichts. Byzanz ist teuer – so teuer wie chinesische Stickereien.«
    Ibn Salimba zuckte die Achseln, dann aber wandte er sich zu seinem Freunde und stand still, er flüsterte: »Durch Deine Vermittlung mache ich die großartigsten Geschäfte, das weißt Du. Ich will Dich auch anständig dafür bezahlen. Sei mein Freund. Das Gold sollst Du bekommen. Bist Du zufrieden?«
    »Ja, ich danke Dir«, rief Jussuf laut. »Im Übrigen«, fuhr er fort, »muß die Aischa noch vor Morgengrauen in Kordova sein; darf ich sie in Deiner langen Barke zurückbringen?«
    »Gewiß«, versetzte der Hausherr, »he, Sklaven ! Fackeln! Fackeln! Bringt einen Schlauch mit Wein in die lange Barke! Schnell!«
    Die Sklaven flogen.
    Der Qued el Kebir fließt im Mondenschein dem fernen Mittelländischen Meere zu. Die Wellen schaukeln sich, brechen sich an den Strudeln im Uferschilf, heben sich, senken sich, spiegeln den Mond und die Sterne, glitzern und umspülen mit gurgelnden Lauten die lange Barke, in der jetzt Jussuf und Aischa schweigend Platz nehmen.
    Ibn Salimba ist ungemein aufmerksam gewesen. Die Sklaven haben auf Porzellanschalen die dicksten Weintrauben, die feinsten Nüsse und die saftigsten Früchte in den Kahn getragen. Herrliches Mandelgebäck, Marzipan und Süssigkeiten finden sich in großen, blanken Krügen vor – das ist Alles für die Aischa.
    Und für die Fahrt hat der reiche Kaufmann zwei Schläuche mit Wein gesandt. Das beste Räucherwerk brennt auf kleinen silbernen Schalen – dann steht da ganz hinten im Kahn ein Topf mit heißem Wein und ein Topf mit kordovanischem Scherbet – dem köstlichen Eiswein, der sogar besser schmeckt als der Scherbet von Palermo. Ibn Salimba weiß, daß sein Freund Jussuf diese Leckereien zu schätzen versteht – Jussuf ist ein Kenner.
    Die nubischen Ruderer stoßen jetzt das Boot vom Ufer ab, die Fackelträger verschwinden unter den Granatbäumen. Und Jussuf und Aischa horchen auf das regelmäßige Plätschern der langen Riemen. Sie sitzen hinten im Boot, die Ruderer sehen nichts von ihnen, denn ein Teppich teilt das Fahrzeug in zwei Teile, Teppiche hängen hinten auch an den beiden Bordseiten, doch lassen sich diese Teppiche leicht zurückziehen.
    An der Spitze des Bootes sitzt der alte Steuermann mit weinrotem Turban. Wenn er steuern will, dreht er einen drehbaren Pfahl, durch dessen oberen Teil ein starker Stock durchgesteckt ist, und der Pfahl setzt dann eine Kette in Bewegung; diese Kette zieht das Steuerruder hinten entweder nach rechts oder nach links – je nachdem der alte Steuermann den Pfahl vorne dreht.
    Sechs nubische Sklaven rudern.
    Die lange Barke schießt wie ein Pfeil durch das Wasser. Die Sklaven rudern eifrig, denn der Weg zur Stadt ist weit, und es geht stromaufwärts.
    Die Steuerkette rasselt, und Jussuf hebt den rechten Fuß auf, weil das Rasseln unter dem Fußteppich ertönt, doch er besinnt sich gleich und reicht der rothaarigen Aischa die Hand und spricht dabei: »Wir wollen erst den Glühwein und dann den Eiswein trinken, nicht wahr?«
    Aischa nickt, und sie tun nun, wie er gesagt. Das Räucherwerk duftet wunderbar – und der Rothaarigen schmeckt das Marzipan vorzüglich. Eine rote Ampel schaukelt über Jussuf und Aischa, die emporschauen zu den Sternen am schwarzen Himmel. Die Ampel sieht aus wie ein herabhängender, wackelnder, roter Mond. . . .
    »Hast Du Dich nicht oft nach Kordova zurückgesehnt?« Also fragt die Aischa, und Jussuf sagt zerstreut:
    »Oft? Oft? Ich glaube nicht . . . zuweilen . . . ja.«
    »Du bist jetzt grade sieben Jahre fort.«
    »Sieben Jahre! Ja! Ja!«
    »Jussuf, freust Du Dich nicht, daß Du jetzt wieder in Kordova bist?«
    Sie fährt mit der Linken über sein volles, krauses Haar, und Jussuf küßt seiner Freundin die Hand. Er denkt dabei an Ibn Salimbas Gold – und lächelt.
    »Ich freue mich«, sagt er nach einer Weile.
    Er trinkt bedächtig den warmen Wein und fährt dann fort, indem er nach Osten deutet: »O, Du kennst aber noch nicht die Welt – die große Welt – die dort hinten – hinter dem Steuerruder – die bis in den fernen fernen Osten reicht.«
    »Jussuf, Jussuf, erzähle mir!«
    »Von der Welt?«
    »Ja!«
    Auf den Fluten des Qued el Kebir glänzt der Mond.
    Jussuf schlägt den Teppich an der linken Seite des Bootes zurück. Und nun ist der Raum, in dem der Geograph mit der berühmten Sängerin weilt, von hinten, vom Steuerruder aus gesehen, auf der rechten Seite und vorn ganz dicht durch dicke, dunkle marokkanische Teppiche abgeschlossen ; auf der linken Seite ist der Teppich zurückgeschlagen, links vorn wie links hinten hängen schwere, wulstige Teppichfalten. Hinten über dem Steuerruder ist der Blick ganz frei, so daß man die Strudelfurche hinter der langen Barke leicht überschauen kann. Oben hängt an einem seltsam gewundenen Eichenast, der rechtwinklig am kurzen Maststock befestigt ist, an kurzer Leine die papierne rote Ampel.
    Auf den Fluten des Qued el Kebir glänzt der Mond.
    Jussuf und Aischa sitzen mit untergeschlagenen Beinen auf dem gelben, mit schwarzen Linienmustern durchwirkten Bodenteppich. Sie sitzen mit dem Rücken gegen die rechte Bordseite. Sie schauen über die linke Bordseite zwischen den zurückgeschlagenen, wulstigen Teppichfalten hindurch auf den glänzenden Strom hinaus.
    Jussuf beginnt:
    »Ich kann Dir nicht so geordnet berichten, wie's in Büchern zu lesen ist, auch nicht so spannend erzählen wie ein alter Märchendichter. Aber Du sollst dies und das zu hören bekommen, und – Aischa, ich möchte Dir die Welt erschließen – die große, bunte Welt. Mir ist so, als wenn ich tausend Jahre in der weiten Fremde herumgezogen wäre. Am Anfang gings über Tunis und Marokko hoch zu Kamel durch die heiße Wüste. Ich weiß noch, wie ich erschrak, als ich zum ersten Male Löwengebrüll hörte. O – und wenn nachts die Karawane langsam und schleppend durch den heißen Sand dahinzog, dann glänzten über uns die ewigen Sterne, so wie sie jetzt auch über uns glänzen. Aber das Gesumm und Gesurr – hei Aischa – Dschinnen und Ghulen mit schwarzen Gesichtern und blauen Augen – die sah ich nicht – aber gruslig wars zuweilen doch. Wir haben manches Abenteuer erlebt, und ich habe anfangs Deiner sehr oft gedacht. Von Deinen roten Haaren hab ich oft geträumt. Und Deine Küsse hab' ich oft noch gefühlt, wenn ich an kühlen Quellen tagsüber neben den Kamelen schlief – über uns schwankende Palmen – und Schatten unten – tiefblaue Schatten . . . Dann kamen wir schließlich nach Alexandria – da gabs viel zu sehen – und der Straßenlärm betäubte mich anfangs. In Alexandria kam ich oft mit Christen zusammen, die schrieben damals gerade das Jahr 972. Ich mußte des Ibn Salimba wegen mit den Christen zusammen sein – denn Du weißt ja, ich war schon damals sein Geschäftsreisender. Die Gelehrten sahen mich deswegen häufig ein wenig entrüstet an, aber ich hatte Geld und meine Zunge auf dem rechten Fleck. Ich erzwang mir die Achtung, wenn sie mir versagt wurde. Manchmal gings mir nicht allzu gut. Trocknes Brot hab' ich kennen gelernt – denn Ibn Salimba war damals noch ein Geizhals – bestreite das nicht! Heute ist ers nicht mehr. Doch hör', Aischa! Ein Abenteuer, das ich in Kairo erlebte, fällt mir gerade ein. Wir hatten in Kairo, wo's prächtige Häuser und herrliche Schänken giebt, zwei Nächte sehr kräftig in einem Olivengarten gezecht und beschlossen, am dritten Tage das Grab des alten egyptischen Kalifen Ibn Chefren aufzusuchen. Nun denke Dir aber dieses Grab ungefähr hundert Mal höher als Kordovas große Moschee, unten ganz breit und vierseitig, nach oben spitz zulaufend. Dieses Grab, eine sogenannte Pyramide, deren es dort in Egypten sehr viele giebt, steht da wie ein riesiger regelmäßiger Steinberg. Wir fahren also auf dem Nil, dem Fluß, der durch Kairo fließt, zu der großen Pyramide. Der Nil ist zwanzig Mal breiter als der Qued el Kebir. Unterwegs kaufen wir ein paar Dutzend Tauben. Wie wir nun auf die Pyramide klettern wollen, wird von einem jungen Perser der Vorschlag gemacht, die Tauben oben auf der Spitze der Pyramide zu braten und aufzuessen. Und alle sind einverstanden. Wir schleppen Holz und Feuerzeug hinauf, putzen unsere Dolche, rupfen die Tauben, braten sie, essen sie und leben da oben wie alte Götter. Wein hatten wir auch . . . und als der Abend kam, dachten wir nicht daran, hinunterzugehen. Es war ein himmlischer, göttlicher Abend. In der Ferne ringsum lag die gelbe heiße große Wüste, Kairo hinter uns, andere Pyramiden in der Nähe – die Sonne ging wie eine rote Riesenampel unter, und der Fluß, der Nil, sah ganz blutrot aus. Ich dachte an Deine Haare, Aischa, und bildete mir ein, ich könnte hinter der großen Wüste ganz klein Marokko sehen – und Kordova auch. Ich wurde deswegen ausgelacht. Aber es war einer der schönsten Abende, die ich erlebt habe – die Nacht darauf war allerdings sehr kalt – wir froren schrecklich. – Aber die Moscheen von Kairo waren auch sehr schön. O Aischa, ich war auch in Mekka, und in Bagdad und Damaskus war ich auch, dort wo unsere großen Kalifen gelebt haben. Jetzt leben dort auch noch große und reiche Kalifen. Zu Fuß bin ich da oft gewandert. Ja! Ja! Doch mir wird jetzt heiß.«
    Und Jussuf ging zum Eiswein über, zu dem köstlichen kordovanischen Scherbet, der viel besser schmeckt als der Scherbet von Palermo.
    Und andere Barken fuhren vorüber, indische Liebeslieder tönten über den Wassern des Qued el Kebir, Saitenklang hallte durch die Nacht, und bunte chinesische Lampen leuchteten lustig wie bunte große Käfer, so daß man des Mondscheins zuweilen garnicht achtete.

    Und Jussuf sagt:
    »Ah! Das ist ein vorzüglicher Scherbet! In der Heimat des großen Dichters Abu Nuwas – in Bagdad – ja, da hab ich auch mal Eiswein getrunken, der schmeckte so ähnlich. Es waren armenische Tänzerinnen dabei. Wir saßen auf einer Terrasse am Tigris, und Pechfackeln flackerten unheimlich vor den Jasminlauben. Die armenischen Mädchen waren sehr schön, und wie wir beim Morgengrauen fortgingen, waren meine Taschen leer – so leer wie ein Kirchhof im Mondschein.«
    Aischa hustete, Tränen standen in ihren Augen. Die lange Barke fuhr an bunten Holzkiosken, an erleuchteten Villen und an großen Steintreppen vorüber. Harfenklang tönte aus den Laubgängen am Ufer heraus, Lichter blinkten durch die Pappeln, und schlanke Palmen ragten in den Sternhimmel hinein. Rosen dufteten, Enten flogen auf, und die Riemen der nubischen Sklaven verwüsteten das Uferschilf. Dann aber fuhr der Kahn wieder in die Mitte des Stroms hinein. Und Jussuf dachte an Bagdad – und er mußte lächeln. Ihm gings in Bagdad so schlecht, daß er sich nur selten am Tage in den belebten Straßen blicken lassen durfte, und sein Kleid war so zerrissen, Bart und Haar so struppig, daß einmal eine Schar Kinder schreiend vor ihm auseinanderstob und johlend davonrannte, als wär' er ein Spukgeist vom Demawand.
    Die Erinnerung an den Demawand, einen Berg im nördlichen Persien, auf dem alle Geister des Orients nach dem Glauben des Volkes zusammenzukommen pflegten, rüttelte den Jussuf wieder aus seinen Träumen auf, denn er hatte sich, als er mal in der Nähe jenes Berges in einer Herberge einkehrte, durch ein langes Stück weißer Leinwand gräßlich erschrecken lassen – und dieser Schreck fuhr ihm jetzt abermals durch die Glieder. Aischa sah ihn mit ihren Tränen im Auge an, und Jussuf fühlte plötzlich, daß ihn Aischa wieder liebe wie einst – wie einst vor sieben Jahren.
    »Warum bist du eigentlich nach Kordova zurückgekommen?« fragte die Aischa.
    »Hm«, entgegnet Jussuf; er will sagen, wie's auch wahr ist, daß Ibn Salimba das veranlaßt habe, doch er besinnt sich und denkt, das könne die Rothaarige kränken, die wohl sicher glaube, daß er nur ihretwegen zurückgekommen sei. Deshalb meint er: »Ich weiß nicht.« Eifrig erzählt er dann von Persien und Indien, von Samarkand und Edelsteinen, von Elefanten und Königspalästen, von Bajaderen und Priestern, von Buddha und Mahomet, von jüdischen Weinhändlern und persischen Derwischen, vom Ganges und vom indischen Weltmeer.
    Jedoch Aischa schaut mit glühenden Augen in den Qued el Kebir, dann unterbricht sie den Freund und behauptet zaghaft: »Aber die Welt ist hier doch auch so schön, warum willst Du denn immer die ferne Fremde preisen, ist Dir die Heimat garnichts mehr?«
    »Ich sollte Dir doch von der ›Welt‹ erzählen«, versetzt Jussuf, und die Rothaarige erwidert schnell: »Kordova liegt doch auch in der Welt!«
    »Ja! Ja!« sagt der Geograph gelangweilt, »aber für mich ist die Welt immer da draußen – dort im Osten – da hinter dem Steuerruder. O die Welt ist so groß, daß man über ihr Alles vergißt, Alles.«
    »Auch die Stunden, die man im Arme der Liebe verträumt?«
    Also fragt die Aischa, und ihr Freund kraut sich hinter den Ohren, dann spricht er gutmütig flüsternd: »Aischa, Du weißt wohl noch, was ich Dir damals sagte, vor sieben Jahren, als ich Dich verließ. Ich setzte Dir auseinander, daß mir die Welt mehr sei als die Liebe, daß die Welt eine größere Macht über mich habe als die Liebe. So ists auch heute noch. Vergieb mir, daß ich so offen rede, doch ich kann nicht anders. Ich liebe Dich noch immer so wie damals – wirklich – und ich habe in den sieben Jahren öfter an Dich gedacht, als ich Dirs sagen kann, aber trotzdem liebe ich die weite Welt und das lustige Wandern doch noch mehr als Dich . . . wenn auch das Wandern manchmal gar nicht lustig ist. Sieh, Aischa, ich muß nach Palermo und nach Byzanz, ich kann nicht hier bleiben – suche mich nicht zurückzuhalten. Du bist noch viel schöner jetzt als damals. Aber ich darf nicht, ich kann nicht. Meine liebe, gute Aischa!«
    Sie lagen sich lange halb lächelnd, halb schluchzend in den Armen – und der Mond verschwand, und die lange Barke fuhr in Kordova hinein. Rechts und links standen jetzt unzählige Häuser, der alte Steuermann rasselte viel mit der Steuerkette, denn sie mußten vielen Schiffen ausweichen. Die nubischen Sklaven ruderten mit halbgeschlossenen Augen. Währenddem dämmerte der Morgen, und die Barke landete.
    Die Rothaarige erzählte ihrem alten Freunde von Sevilla und von ihren neuen Freunden. Sie habe aber, wenn sie ihm auch nicht treu geblieben sei, ihren Jussuf nie vergessen und ihn doch eigentlich immer geliebt, er müsse sie auch lieben, so wie sie ihn liebe. Jussuf lächelte und meinte freundlich: »Kind, ich muß wieder nach China, von Spanien bis China, und von China nach Spanien, das ist mein einziges, mein höchstes Glück. O, Du kennst die Welt nicht. Du solltest nur chinesische Stickereien sehen – das ist eine Pracht, ich habe Ibn Salimba welche mitgebracht, hast Du sie nicht gesehen? O, das tut mir leid. Ich hab' ihm erzählt, daß sie fürchterlich teuer gewesen sind, das hat ihn gerührt, und deshalb hat er mir viel, viel Geld versprochen – zur Reise nach Byzanz – und die Stickereien haben mich doch nur einen alten Ring gekostet – nichts weiter – ach ja! In der Welt wird man klug, fast zu klug.«
    »Bei Allah!« schreit jetzt die Aischa. »Es ist ja schon heller lichter Tag. Und wir sind ja schon in Kordova – an der Landungsbrücke. Was wird nur der alte Steuermann denken.«
    Und eilig verlassen beide die lange Barke. Die Aischa drückt ihrem Freunde herzlich die Hand, ruft die Sklaven heran, die auf die Sängerin gewartet haben, läßt sie das Marzipan und die anderen Sachen aus dem Kahne schaffen und steigt in ihre Sänfte, grüßt noch einmal ihren Jussuf und verschwindet. Im Kaworraschloß, wo ein Morgenfest gefeiert wird, wartet man schon auf die große Sängerin.
    Jussuf aber läßt sich die beiden Weinschläuche von zwei Packträgern nachtragen und wandelt mit ihnen zur nächsten Medrésse, wo man ihn kennt. Die Medrésse ist ein Gasthaus für die wandernden Gelehrten. In der Bibliothek und in den Lesesälen versammeln sich täglich die Gelehrten – um zu disputieren.
    Als Jussuf auf seinen Weinschläuchen ein wenig ausgeschlafen, begiebt er sich zu seinen Freunden, und er wundert sich gleich über ihr Gespräch, sie sprechen gerade wieder über Abu Nuwas – genau so wie vor sieben Jahren. »Kordova liegt nicht in der Welt«, murmelt der Geograph – und er schenkt seinen Freunden die beiden Schläuche mit Wein.
    An den nächsten beiden Tagen besorgt Jussuf seine Geschäfte in Kordova – und an den nächsten beiden Abenden weilt er im Kaworraschloß, der berühmtesten Schänke, in der Aischa, die Rothaarige, sehnsüchtige Liebeslieder singt.
    Nach vier Wochen fährt Jussuf mitten auf dem Mittelländischen Meere nach Palermo und Byzanz. Die Wogen des Meeres brausen und schäumen. Jussuf denkt an seine Freundin und atmet wieder tief auf. Er ist ihr entflohen. Er denkt an die Eichen und Ulmen im Garten des Kaworraschlosses, er blickt nach Osten weit hinaus, sinkt auf die Kniee und ruft laut durch die Brandung: »Welt, Welt, nun hast Du mich wieder! Dir bleib' ich treu!« Das Schiffsvolk hört das und schüttelt den Kopf. Das Schiffsvolk würde den Jussuf so gut verstehen, wenns nur Arabisch verstände. Doch Arabisch kann das Schiffsvolk nicht.
    Jetzt schäumen die Wellen übers Verdeck. Jussuf aber ärgert sich nicht, daß sein neues, weiß und gelb gestreiftes Leinengewand naß wird. Er blickt immer noch nach Osten – dort – nur dort liegt seine Welt.
  • Andreas Boeckh 15/12/2015 11:43

    Ideen muss man haben - und eine gute Ausrüstung.
    Andreas
  • Joachim Haak 15/12/2015 7:50

    ideal als Weihnachtsgeschenk
    mit keiner Überraschung
    +++
    LG Jo
  • Arthur Baumgartner 14/12/2015 22:57

    Einen platzsparenden Weihnachtsbaum, den man nach den Festtagen wieder zwischen die Buchdeckel klappen und bis zum nächsten Gebrauch ins Regal stellen kann.
    Eine sehr kreative Idee hast du mit dieser Aufnahme umgesetzt.
    VG Arthur
  • dodo139 14/12/2015 15:01

    Eine tolle Idee - fantstisch umgesetzt.
    LG Doris
  • FlugWerk 14/12/2015 7:24

    Eine schöne Idee ist das, mag ich solch ausgefallene dinge und Bücher sowieso. LG Tina
  • ilsabeth 13/12/2015 22:38

    Schön und praktisch zugleich: Ein Tannenbaum to go!
    Verrückte Idee!
    LG ilsabeth

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