Reiner H.


Premium (Pro), 50° 44' 2.37'' N ~ 7° 5' 59.33'' E

: 01 | k o m m e n s i e r u h i g n ä h e r

[Diese Geschichte handelt vom legendären Duell zweier Lügengladiatoren : zwischen dem unbesiegten Champion Käpt´n Blaubär und seinem Vorgänger Nussram Fhakir, der Einzigartige.
Sie ist mein diesjähriger Versuch einer vorweihnachtlichen Geschichte … viel Stoff und hoffentlich finde ich Zeit, jeden der 24 Tage mit Bildern und Worten zu füllen.]




Kurz vor dem Duell, es war mein 59. Hauptkampf, kam Smeik [eine Haifischmade] alleine in meine Kabine. Er schickte Chemluth hinaus, weil er mit mir unter vier Augen sprechen wollte.
Smeik schien etwas Wichtiges mitzuteilen zu haben, er hatte für gewöhnlich keine Probleme, etwas frei heraus zu sagen. Diesmal aber wand er sich wie eine Schlange.
„Hör zu, ich möchte, dass du mir heute abend einen Gefallen tust. Du weißt, daß ich dir in der letzten Zeit jeden Wunsch von den Augen abgelesen habe. Jetzt möchte ich, daß du ausnahmsweise etwas für mich tust.“
„Ist schon geschehen, Smeik.“
„Ich möchte, daß du heute abend verlierst.“
Hätte er mir erzählt, daß Atlantis demnächst im Meer versinkt, hätte ich nicht überraschter sein können.
„Die Sache ist die: Du bist zu gut geworden. Die Wetten sind das entscheidende Geschäft bei den Lügenduellen. Da aber jeder weiß, daß du sowieso gewinnst, wettet niemand mehr auf deine Gegner. Deswegen können wir keine Gewinne mehr machen. Hör zu: Du mußt nur einmal verlieren, diesen Abend. Ab nächste Woche wird alles wie immer sein, du gibst nur für eine Woche den Titel ab. Ich habe eine Menge Pyras gegen dich gewettet, mein Junge. Um genau zu sein: alle, die ich habe. Wenn du heute abend gewinnst, bin ich ruiniert. Und du weißt doch, wie sehr ich am Geld hänge. Also enttäusche mich nicht.“

Smeik schwabbelte davon, ohne eine Antwort abzuwarten. Der Phogarrenqualm folgte ihm wie ein treues Schoßtier.
Wie betäubt betrat ich das Megather. Ich hatte nicht gewagt, Chemluth von der Sache zu erzählen, um ihn nicht mit hineinzuziehen. Zum ersten mal in meiner Gladiatorenlaufbahn hatte ich die gleichen weichen Knie wie bei meinem ersten Duell, als ich den Thron des Herausforderers bestieg. Der Gegner ließ auf sich warten. Aufgebrachte Blutschinken warfen erste Maiskolben. Ich hatte nicht mal eine Ahnung, wer mein heutiger Gegner sein würde. Das war mir im allgemeinen gleichgültig, ich nahm es mit jedem auf. Und heute konnte es sowieso egal sein, ich sollte ja auf jeden Fall verlieren. Ich hatte beschlossen, Smeik den Gefallen zu tun. Was blieb mir auch anderes übrig ?

Dann wurde im Orchestergraben der Gong geschlagen und mein Herausforderer hereingeführt.
Es war Nussram Fhakir, der Einzigartige.

Jetzt war mir klar, warum Smeik diesen Abend gewählt hatte. Der Meister aller Lügengladiatoren versuchte ein Comeback ! Die Wetteinsätze mußten astronomisch sein, auf beiden Seiten. Ich war der Unbesiegbare, aber er war der Einzigartige. Selbst unter Meisterlügengladiatoren galt Fhakir als unangefochtener Champion, als größter, begnadetster Lügner aller Zeiten.
Wir hatten alle seine Werke gelesen und seine Duelle studiert. Er hatte die Nussram-Eröffnung erfunden, eine Standardeinleitung für Lügen, die alle Lügengladiatoren seither in unendlichen Varianten plagiierten, ebenso die Fhakir-Variante, ein schwindeltechnischer Schachzug, der es einem erlaubte, danach in über fünfhundert verschiedenen Richtungen weiterzulügen. Er war der Erfinder der sogenannten Weißen Lüge, einer Trugtechnik, so zart, so charmant, mit so großer Behutsamkeit konstruiert, daß man ihr auf der Stelle erlag und sie gleichzeitig verzieh, als wäre sie nie geschehen. Nicht zuletzt hatte er den Doppelten Haltlosen eingeführt, eine Schwindeltechnik, die man nur mit dem zweifachen Salto ohne Netz oder einem Looping mit verbundenen Augen vergleichen kann. Er hatte die Flunker-Flanke kreiert, eine sozusagen über die Bande zu sich selbst zurückgespielte Lüge, die nur den Besten gelang. Er hatte Rasputin Zoroaster (ein Künstlername), den nattifftoffischen Meisterscharlatan, vierzehnmal hintereinander geschlagen. Er war der Schöpfer des sogenannten Nussram-Tänzelns, bei dem er schwindelmäßig auf der Stelle zu treten schien, den Gegner aber in Wirklichkeit taktisch entkräftete und ermüdete, um ihn dann im entscheidenden Moment mit einer gezielten Lüge direkt zu übertölpeln.
Er führte die Hasarde in den Lügensport ein, eine tolldreiste Schwindelfigur, die er der Fluchttechnik von Wildhasen und der Pirouettendrehung von Ballettänzerinnen entlehnt hatte. Er hatte eigenhändig eine Lügarythmentafel mit sechsunddreißigtausend Unwahrheiten erstellt und sich in einer Nacht simultan mit den zwölf besten Gladiatoren duelliert und gegen alle gewonnen. Dieser Mann war eine Legende, ein Genie, der Nachtigaller des Lügensports. Ich brauchte mir keine Mühe zu geben, gegen ihn zu verlieren. Das würde so oder so geschehen.

aus : Walter Moers – Die 13 ½ Leben des Käpt´n Blaubär,
Goldmann-Verlag, ISBN-13 : 978-3-442-45381-8



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: 02 | a u f . d e m . w e g . . .
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