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Hände abhacken ...

Hände abhacken ...

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smokeonthewater


Premium (World), Berlin

Hände abhacken ...

... wäre die angemessene Strafe für Sprayer, die historische Fassaden versauen. Kopf abhacken bringt nichts, der ist ja leer.
Hier handelt es sich um die Charlottenstraße 12 in Potsdam – ein Bürgerhaus, das 1781 von Georg Christian Unger erbaut wurde.

Unger hat in Potsdam und Berlin eine Reihe wertvoller klassizistischer Baudenkmäler hinterlassen, z.B. den Langen Stall:

Ulbrichts Kulturbarbarei
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smokeonthewater
https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Christian_Unger

Comentarios 10

  • gelbhaarduisburg 13/09/2015 14:13

    Ursprünglich wollte ich nur einen Beitrag zu einem Niederrhein-Krimiwettbewerb verfassen, der den Rahmen des braven Üblichen sprengt. Also auf jeden Fall kein biederer Mordermittler, der zwischen Kopfweiden Leichenteile zählt, denn sowas punktet immer bei diesen Wettbewerben - und ist STINKLANGWEILIG. Als ich das Thema dann hatte, spürte ich beim Schreiben sehr deutlich, dass ich es tatsächlich absolut nicht gut meine mit Sprayern der Sorte, die auch in Dieters Foto am Werke gewesen sind. Und ich spürte eine sehr tiefe Befriedigung am Ende. Ungefähr diese wohl, die der Killer in der Story spürt.

    Womit alle Fragen beantwortet sein dürften.
  • smokeonthewater 13/09/2015 13:19

    @Marc: Was würdest Du denn unter einem "Graffiti-Ripper" verstehen? Jack the Ripper hatte seinerzeit Prostituierte getötet, sowohl moralisch (Selbstjustiz) als auch pathologisch (Trieb) begründet. Genau so eine Story erzählt Jens. Da Du dagegen nichts einzuwenden hast, misst Du in Deinem Rechtsstaatverständnis mit zweierlei Maß: In der Story darf man es beschreiben, in der Bildunterschrift darf man keinen Bezug darauf nehmen.

    Und natürlich hat Jens mit dem Gedanken kokettiert, sonst hätte er dieses Thema nicht aufgegriffen. Er wertet nicht, sondern erstellt ein Psychogramm.
  • Marc Zschaler 13/09/2015 12:12

    Durch die Fragen an Jens und mich wage ich zu behaupten, dass Du die Geschichte nicht verstanden hast.
  • smokeonthewater 13/09/2015 11:58

    @Jens: Du hast mit dem Gedanken also auch schon kokettiert?

    @Marc: Selbstjustiz ist rechtsstaatlich?
  • Marc Zschaler 13/09/2015 11:06

    @gelbhaarduisburg
    Passt sehr gut.
  • gelbhaarduisburg 13/09/2015 9:53

    Hünxer Handarbeiten

    Tief im Hünxer Wald, unweit des Lippeufers, zerrt im Morgengrauen vor den Anlagen des seit Jahren aufgegebenen Schlösschens Schwarzenstein ein großer kräftiger Mann ein wimmelndes Bündel, einen jungen Menschen aus dem Kofferraum seines Kombis. Der Junge zittert vor Angst, er friert und will schreien, doch sein Entführer hat ihm die Hände auf den Rücken gebunden, ihm die Sicht mit einem um den Kopf gebundenen Schal genommen und ihn geknebelt. Er schubst den Jungen vor sich her, tritt ihm ins Gesäß und bewegt ihn auf das kleine Anwesen zu, das da verträumt, doch in seiner Verlassenheit, mit vernagelten Fenstern und Türen auch ein wenig bedrohlich wirkt. Der Hüne kennt sich hier aus. Er weiß, wie und wo er sich Zugang zu dem alten Gemäuer verschaffen kann. Eine Tür wird entriegelt und ausgehebelt, mit einem Brecheisen wird eine Latte entfernt, und schon hat er den Jungen eine schmale Treppe hinab in den Keller des Hauses geführt, wo eine große staubige, mit allen nur erdenklichen Utensilien ausgestattete Werkstatt untergebracht ist. Wagenheber, Schraubstöcke, Bohr- und Schleifmaschinen, Schraubendreher und -schlüssel in allen Größen hat es hier, Schränke voller Dübel, Zwingen, Radkappen, Elektronikbausätze, Spannungsprüfer, alles, was das Handwerkerherz begehrt. Der Hüne stößt den Jungen in eine Ecke des Raums, schlägt ihm ein Hundehalsband um, kettet ihn an einen ins Gemäuer eingelassenen Karabinerhaken, entknebelt sein Opfer, zieht sich seinen Mantel aus und stopft seine Pfeife. Derweil er zufrieden die ersten Züge an deren Mundstück macht, sieht er sich in aller Ruhe und mit einiger ins Gesicht geschriebener Vorfreude an, was sein Werkstück werden soll: den Jungen. Der atmet schwer, lauscht, zieht den Rotz hoch, doch bringt nicht einen Laut hervor. Immer wieder öffnet er zaghaft den Mund, doch er wagt nicht, den Unbekannten anzusprechen, der ihn in der Nacht aus einem Hinterhalt angegriffen und so schnell und machtvoll niedergeschlagen hatte, dass er nicht den Hauch einer Chance hatte, ihm ins Gesicht zu sehen oder zu entkommen. Jetzt riecht er die abgestandene Luft des Verlieses, riecht Altöl und Gummi und das Vanillearoma des Pfeifenrauchs und wird immer ängstlicher, je länger die Stille um ihn anhält und es ihm nicht gelingt, aus den Gerüchen einen Schluss zu ziehen, der ihm hilfreich dabei wäre, sich irgendeinen Reim auf die Situation zu machen, in der er sich befindet.

    „Wie alt bist du?“, hört er plötzlich die Stimme seines Entführers. Der Junge bringt keinen Ton hervor. „Wie alt bist du?“, wiederholt die Stimme und setzt etwas lauter hinzu: „Damit wir uns gleich verstehen: Du antwortest mir immer, wenn ich dich wat frage, prompt und präzise, wenn du nicht wills’, dat ich dir was auffe Schnauze hau, klar? Also -?“. „Neunzehn“, sagt der Junge leise. „Wie bitte? Sprich lauter!“, sagt der Hüne. „Neunzehn“, schießt es jetzt, wie befohlen, laut aus dem Jungen hervor. „Neunzehn“, wiederholt der Hüne sinnierend, „So jung und schon dat ganze Leben völlich versaut“. Er pafft und schmatzt ein wenig dabei. „Neunzehn... Schade, schade... dat du kein Mädchen bis’: Sei froh. Ich würd’ mich sonst vorher bestimmt ’n bisschen mit dir amüsier’n. An Jungs hab ich leider kein’n Spaß“. Der Junge ist erstarrt. Viel mehr als „An Jungs hab ich leider kein’n Spaß“ jagt ihm jenes „vorher“ mit Macht neue Ängste durch Hirn und Leib. Was soll mit ihm geschehen? Will ihn der Kidnapper umbringen? Warum er? Warum hatte der Mann ausgerechnet ihn, als er in der Nacht um die Häuser der Hauerstraße im verschlafenen Lohberg gestrichen war, hinterrücks niedergeschlagen, weggezerrt und dann in den Kofferraum seines Wagens verfrachtet? Warum um alles in der Welt ist er nun hier, und wo ist er hier? Die Zeit im Kofferraum ist ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen. Er kann nicht wissen, dass es nur etwas mehr als fünfzehn Minuten waren vom „Flammgrill“ an der Ecke Hünxer / Hauerstraße im alten Bergmannsdorf Lohberg, die Hünxer Straße hinauf, durch das Dorf Drevenack bis hierher, zu Haus Schwarzenstein nahe der A3. Der vom nahenden Frühling kündende Vogelsang könnte bis an sein Ohr dringen, doch der Junge steht nach wie vor unter Schock, windet sich in seinen Ängsten und hört nicht die Meise noch das Rotkehlchen. Er lehnt an der Wand und presst seine Beine zusammen. Seine Blase ist voll, doch er kommt nicht einmal auf die Idee, darum zu bitten, seine Notdurft verrichten zu dürfen. Er hört die sich nahenden und bald wieder entfernenden Schritte seines Peinigers. Der geht rauchend vor ihm auf und ab und weidet sich am Anblick seines verängstigten Opfers, das in verdreckten, farbverschmierten Jeans, offenen Turnschuhen, mit wirrem rotem Haar, einem Bluterguss unterm linken und einer kleinen klaffenden Wunde unterm rechten Auge da steht und unaufhörlich zittert. Dieses Zittern, der ganze Anblick eines zutiefst verängstigten Menschen erregt den Mann im gleichen Maß wie er ihn erbärmlich findet, wie dieses jämmerliche Bild, das der Junge abgibt, Bestrafungsphantasien in ihm weckt. Unentschlossen, welcher seiner einander widerstrebenden Empfindungen er Ausdruck verleihen soll, brüllt es plötzlich aus ihm heraus: „Steh endlich still, du Pavianarsch, sonst zieh ich dir gleich die Brechstange übern Schädel!“. Augenblicklich steht der Junge still und seine Bluejeans verfärben sich. „Ach nee“, argwöhnt die Stimme, „du machst dir inne Hosen? Wenn dat deine Mutti wüsste. Dat is’ ja noch erbärmlicher. Du Sau!“. Der Junge verkrümmt sich und stößt jammernde, aufheulende Laute aus. Sein Entführer hat ihm mit Wucht in den Schritt getreten. „Warum... bin ich hier?“, krächzt er leise. „Dat wirsse schon sehen, wenn die Zeit reif is’“, hört er den Mann sagen, der sich jetzt einen hölzernen Stuhl heran zieht und sich setzt. „Und von jetz’ an“, ergänzt die Stimme, „stell nur ich hier die Fragen, dat dat klar is’!“. Zunächst aber verlautet die Stimme weiter nichts mehr. Der Junge hört nur ein Paffen und ein Atmen, Kaskaden kleinerer Geräuschpointen, das Aufkochen von Wasser, die automatische Abschaltung eines Wasserkochers, ein Glucksen, das Rührgeräusch eines Löffels, Laute, die zu verstehen geben, sein Entführer beliebt zu frühstücken. Er schmatzt. Es riecht nach Ei. Es scheinen Stunden zu vergehen, Stunden, die immer intensiver nach Ei riechen. Der Geruch bohrt sich quälend in die Sinne des jungen Mannes, wird zu Gestank. Oder ist dieser Gestank nur der Geruch der Angst, der Ungewissheit, des unerträglichen Schweigens? „Was hab ich getan?“, will er fragen, doch er wagt nicht den geringsten Laut. „...stell nur ich hier die Fragen“, hämmert es so laut durch seine Hirnwindungen, betäubt ihn der Gestank von Ei so durchdringend, dass er nicht gleich bemerkt, dass irgendwann das Schweigen einer vollkommenen Stille gewichen ist. Der Hüne scheint nicht mal mehr zu atmen. Es ist, als habe er den Raum verlassen. Doch der Junge traut seiner Wahrnehmung nicht, gibt dem Drang nicht nach, etwa „Hallo?“ zu sagen, sich zu räuspern. Tatsächlich sitzt der Hüne wie versteinert, wie in einer Meditation mitten im Raum und blickt den Jungen an als sei das Werk, das er aus ihm fertigen will, bereits vollbracht. „Ich hab’ dich hergebracht“, sagt er plötzlich, „nur um Handarbeiten mit dir zu machen. Und damit kennsse dich ja aus“.

    Inzwischen ist es Mittag. Im nahe gelegenen Lohberg steht kopfschüttelnd, leise Flüche auf Türkisch ausstoßend, ein Mann vor dem „Flammgrill“ und sieht einer Frau dabei zu wie sie das Fenster der Imbissbude säubert. Unweit davon, auf dem Marktplatz, spielen kleine Jungen Fußball vor der Kulisse einer alten Werkssiedlung wie sie die hohe Zeit von Stahl und Kohle an vielen Orten am Niederrhein hinterlassen hat. Auf einem Garagentor steht geschrieben „Lohberg = Bronx“, doch die mit viel Aufwand renovierten, freundlich und hell gestalteten Häuser sprechen eine andere Sprache. Es herrscht ein friedliches Bild, begünstigt von blauem Himmel und strahlender Frühjahrssonne. Niemand käme auf die Idee, dass inmitten solcher Idylle ein Mensch gewaltsam überwältigt und brutal entführt worden sein könnte. Es lehnen alte Leute in ihren Fenstern und sehen den jungen zu, die draußen ihrem Alltag nachgehen. Männer waschen ihre Autos, im Billigdiscount an der Ecke gehen Frauen ihren Billigjobs nach, Gerüstbauer vollenden ihr Werk und sehen zu, wie zwei Männer mit allerlei Gerät einer Fassade zuleibe rücken. Junge Mädchen laufen Köpfe verdrehend durchs Bild und irgendwoher dringt das Geräusch einer Schleifmaschine, mit der ein Mann die Karosse seines Lieblingsspielzeugs bearbeitet.

    Auch der Mann in Haus Schwarzenstein beschließt, nun allmählich wieder etwas aktiver zu werden. Er befiehlt seinem Opfer, aufzustehen, nimmt den jungen Mann bei der Hand und führt ihn bis zu dem Stuhl, der an einer vernarbten hölzernen Werkbank steht. Der Junge zieht die schwere Kette hinter sich her, die an dem Karabinerhaken an der Wand befestigt ist und kommt sich bei dem klirrenden Geräusch der über den Boden schleifenden Kette nun erst recht wie in einer Folterkammer vor. „Setz dich“, sagt der Hüne, „und dann sach mir erssma ma’, wie du heißt“. Der Junge muss husten. Schweiß rinnt ihm von der Stirn. „Alexander“, gibt er Auskunft, „Ich heiß’ Alexander“. „Gut, Alexander“, erwidert die Stimme, „dann sach mir domma eins: Als wat würdesse dat bezeichnen, wat ich bis jetzt mit dir gemacht hab’? Als gemein? Brutal? Oder wat?“. Der Junge schluckt. Er weiß nicht, was er antworten soll. „Prompt antworten sollsse!“, brüllt die Stimme und eine Hand schlägt rechts und links auf den Jungen ein, „Prompt und präzise, hab ich gesacht!“. Wieder rinnen dem Jungen Tränen an den Wangen herunter: „Ich weiß es nicht... es... es... ist so... sinnlos, ich hab Ihnen doch ga...“. „Sinnlos!“, unterbricht den Jungen die Stimme, „Aha, sinnlos! Dat ist exakt dat, wat ich hören wollte. Wat, mein Freund, glaubsse, wat haben deine Eltern vor 19 Jahren wohl erwartet? Dat du ununterbrochen wat völlich Sinnloses tus’? Streck ma’ eine Hand aus!“. Der Junge lässt langsam seine rechte Hand nach vorn wandern und spreizt deren Finger. Sein Entführer greift nach der Hand und zerrt so gewaltig am Arm des Jungen, als wollte er diesen ausreißen. Der Junge schreit. Der Hüne dreht am Hebel des Schraubstocks, der an der Werkbank befestigt ist, legt den Arm des Jungen hinein und dreht dann so fest zu, dass dem Jungen fast der Arm bricht und er erneut zu wimmern beginnt in seinem Schmerz. Der Hüne aber spricht unerbittlich: „Ich sach dir jetz’ wat, kleiner Schweinepriester: Ich hab mir die ganze sinnlose Scheiße, die du schon gebaut has’, lang genuch angekuckt. Heute bekommsse dafür die Quittung! Is’ komisch: So beschissen ich dein Treiben auch find’, et recht sich in mir der Wunsch, dir gegenüber auch noch großzügig zu sein. Du darfs’ et dir aussuchen...“. Der Junge zuckt zusammen, als es plötzlich in der Tiefe des Raumes zu poltern beginnt. Der Hüne scheint schweres Gerät zu bewegen, es scheppert und rummst, und dann legt er anscheinend zwei große Gegenstände ganz in der Nähe ab. „Also“, spricht die Stimme, „such’ et dir aus: Stiel oder Kette“. Das Herz des Jungen beginnt zu rasen. Wie vormals die Gerüche, kann er nun die Laute der Situation nicht zuordnen und gleich gar nicht den Worten, die er hört. Er presst die Lippen aufeinander, der Schweiß rinnt ihm aus allen Poren. „Naa?“, hört er die Stimme bedrohlich anschwellen, „Na, wird et bald!?“. „Was wollen Sie von mir!?“, platzt es nun endlich aus dem Jungen heraus, er weint und schreit, sein Kopf fällt auf die Kante der Werkbank, „Ich will hier raus!“. Als Antwort bekommt die Stimme nun ein Gesicht. Der Hüne reißt dem Entführten den Schal von den Augen, der Junge blickt für den Bruchteil einer Sekunde in zwei grüne Augen, dann starrt er seinen im Schraubstock liegenden Arm und dahinter eine große Axt und eine Kettensäge an. „Wenne dich nich’ entscheiden kanns’, muss ich dir die Entscheidung eben abnehmen“, spricht da der Hüne. Zwei kräftige Arme greifen nach der Kettensäge, der Junge schreit so laut er kann, und als sein Entführer das Instrument in Gang setzt und die rasende Sägekette über seinem Handgelenk schwebt, entleert sich der Junge in seiner Todesangst. Wo es noch wenige Stunden zuvor nach Altöl und Sägemehl, nach Kaffee und Ei roch, beherrschen jetzt die Gerüche von Abgasen und Kot den Raum.

    Gegen Abend wird der Kombi bergauf gelenkt, heraus aus dem Wald, den Schwarzensteiner Weg entlang durch Drevenack, hin zur Hauptstraße Richtung Dinslaken. Kurz hinter dem Ortseingang biegt der Hüne in die Hauerstraße ein. Ganz sauber ist das Fenster des „Flammgrills“ nicht geworden. Spuren roter Farbe sind noch immer daran auszumachen. Dahinter winkt freundlich der türkische Inhaber. Der Mann am Steuer fährt rechts ran und geht hinein. Es war ein anstrengender Tag. Er ist hungrig. Er bestellt einen doppelten Türkburger und sieht zu, wie eine Frau hinter der Theke die in einem Drehgrill zirkulierenden Hähnchen mit einer Art Schweißbrenner von Hand noch knuspriger macht. Er scherzt ein wenig mit dem Inhaber, isst seinen Türkburger, trinkt ein Pils dazu und setzt seine Fahrt dann fort. Die untergehende Sonne strahlt „Lohberg = Bronx“ hell an. Auf dem Gerüst, das erst am Vormittag aufgebaut worden war, steht eine einsame Mineralwasserflasche vor dem winzigen Stück Fassade, das bis zum späten Nachmittag gereinigt worden ist. Der Hüne fährt im Schritttempo, etwas müde und verträumt, durch sein Heimatdorf. Er nimmt das Kreischen einer Schleifmaschine wahr und erblickt auf einem Hinterhof, wie ein Mann Lackspuren von der Motorhaube seines Autos entfernt. Dann biegt er wieder auf die Hauptstraße ab. Auf der linken Seite prangen an der Mauer der alten Zeche klobige weiße, kaum zu entziffernde Lettern. Der Hüne gibt Gas und fährt daran vorüber. Er biegt zweimal links ab, dann geht es schnurgerade zum Zubringer der A3. Auf den Wegweisern hat sich irgendwer mit schwarzem Filzstift verewigt. Gezackte, aggressive semantische Hinterlassenschaften kleben auf ihnen, anmutend wie Glyphen aus dem All. Der Hüne durchkreuzt das Land und findet sie überall vor, in allen Größen und allen Farben. Sie überdecken ganze Bahnhaltepunkte wie die der Vorstädte Oberhausens, Holten und Sterkrade. Sie prangen auf gründerzeitlichen Stuckarbeiten, an den Mauern von Wohnhäusern, sie beschmutzen Denkmäler. Und der Mann hat ihren Verursachern den Kampf angesagt. „Der hier“, spricht er leise zu sich selbst mit Blick auf ein blutverschmiertes Leinensäckchen, das auf dem Beifahrersitz liegt, „Der hier malt nie wieder irgendwat an“. Er steht am Rheinufer Ruhrorts, öffnet das Leinensäckchen und legt einen großen Stein hinein, um sicher zu gehen, dass die beiden abgeschnittenen Hände des Jungen der letzten Nacht auch bis zum Grunde des Stroms sinken werden. Das Säckchen plumpst in die schwarzgraue Brühe. Der Mann, der, obwohl die Polizei noch keine seiner Leichen entdeckt hat, in der Presse „Graffiti-Ripper“ genannt und als mutmaßlicher Serienmörder für das spurlose Verschwinden von sechs jungen Männern und einer Frau verantwortlich gemacht wird, die alle wegen Vandalismus und als Sprayer polizeilich erfasst sind, dieser Mann steht da am Rhein bei Ruhrort, raucht ein paar Zigaretten und schläft dann einen kurzen Schlaf in seinem Auto. Bevor er wieder auf Patrouille geht. Denn dieser Mann hat eine Mission. Er wird sie alle kriegen. Die Mauern, Denkmäler, Straßen und Eisenbahnzüge seiner Heimat werden eines Tages völlig unbefleckt sein. Durch ihn. Er wird den Schmierern und Sprayern den Garaus machen. Die Schlagzeile, die in den nächsten Tagen in den Zeitungen stehen wird, taucht vor seinem geistigen Auge auf, und er belächelt sie. „Wieder Jugendlicher spurlos verschwunden – Achtes Opfer des Graffiti-Rippers? – Polizei ratlos“. Doch die Vision verblasst vor einer anderen, mit vierfarbigen Fotos geschmückten Überschrift in der Beilage der Tageszeitung. Sie lautet „Schöner Niederrhein“. Der Mann dreht den Zündschlüssel seines Wagens. Der Mann liebt seine Heimat.

    Jens E. Gelbhaar 2009 / 2012

  • smokeonthewater 13/09/2015 0:53

    @Marc: Wenn Du etwas sorgfältiger lesen würdest, was ich schreibe, kämst Du zu einem anderen Urteil. "Hände abhacken wäre die angemessene Strafe" ist nicht dasselbe wie die Forderung "Hackt den Sprayern die Hände ab". Das schon mal zur Rechtsstaatlichkeit, in die ich auch mein Recht auf freie Meinungsäußerung einordne.
    Abgesehen davon ist diese Strafe, die Du offenbar nur aus der Scharia kennst, keine Erfindung des Islam oder des IS, sondern wurde bis vor wenigen hundert Jahren auch in deutschen Landen praktiziert, und zwar schon für wesentlich geringere Vergehen als Sachbeschädigung, etwa für Taschendiebstahl. Wenn der IS das auch praktiziert, ist das für mich kein Grund, nicht Bezug auf solche früheren Strafen zu nehmen.
    Mehr als über den "ersten Gedanken" sollte man schon hinaus kommen, bevor man jemanden disqualifiziert. Denk mal darüber nach.
  • Marc Zschaler 13/09/2015 0:20

    Ich habe mich mal durch Dein Portfolio geklickt und festgestellt, das Du scheinbar ein politisch denkender Mensch bist, dessen Ansichten ich zwar nicht immer teile, aber insgesamt für sehr vernüftig halte.

    Ist Dir eigentlich bewußt, das Du mit Deinem Bildtitel und der Bildbeschreibung unsere Rechtstaatlichkeit verlässt?

    Du forderst für eine Sachbeschädigung "Hände abhacken" und erwägst "Kopf abhacken".

    Das kenne ich nur aus der Scharia und aus den Tagesschaumeldungen über die Enthauptungen des IS.
    Entschuldige meine Polemik, aber das waren nun mal die ersten Gedanken zu dem Bildtitel.

    Mit diesen Äusserungen disqualizierst Du Deine berechtigte Empörung über die sinn- und hirnlosen (und strafbaren) Schmierereien der Sprayer.

    Denk mal darüber nach.


    Grüße Marc
  • Diana Schröder 12/09/2015 23:42

    Schrecklich !!!!!
    Auch ich wurde mit dem Spruch von Heidemarie groß und habe es an mein Kind erfolgreich weiter gegeben.
    hg Diana
  • Heidemarie 12/09/2015 23:37

    Schaaaaaaaaaade. Meine Mama sagte früher immer: Narrenhände beschmieren Tisch und Wände - wie Recht sie hatte. LG Heidemarie

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