Burkhard Bartel


Premium (World), Stuttgart

Die größte mögliche Unfreiheit

Das Pol-Pot-Terror-Regime in Kambodscha dauerte vom 17. April 1975 bis zum 7. Januar 1979. 1365 Tage mit völligem Freiheitsentzug. Das ist noch gar nicht so lange her.
Dieses Gedicht von Sarith Pou habe ich im Foltergefängnis Tuol Sleng in Phnom Penh abfotografiert.
Warum möchte ich es mir gerade jetzt wieder in Erinnerung rufen? Weil ich bei uns gerade jetzt in Corona-Zeiten so oft Klagen über den Entzug der Freiheit höre. Weil sich Menschen darüber aufregen, dass wir zeitweilig zum Schutz anderer Menschen eine Maske tragen sollen bzw. müssen. Dürfen wir da wirklich von Freiheitsberaubung reden?

Die Roten Khmer zogen elektrische Zäune rund um das Gefängnis und nannten es S-21. "Es ist verboten, während Auspeitschungen und Elektroschocks zu weinen". Das war Regel Nummer 6 der Lagerordnung in Tuol Sleng. Rund 20.000 Menschen wurden dort gefoltert. Wer nicht daran starb, wurde auf den "Killing Fields" vor den Toren Phnom Penhs umgebracht. Keiner durfte überleben. Von ihnen allen gibt es Fotos, Protokolle, sogar Biographien. Alles fein säuberlich festgehalten von "Genosse Duch", der es versäumt hatte, die Dokumente rechtzeitig vor dem Einmarsch der siegreichen Vietnamesen zu beseitigen.
Nur fünf Priester haben die Zeit dieser Diktatur überlebt. Fast alle Mönche, Lehrer, Anwälte, Richter, Ärzte, Musiker und Künstler wurden ermordet.
Wer eine Brille trug, war des Todes.
Papier war verboten, Bleistifte waren verboten.
"Steinzeitkommunismus" wurde das in Kommentaren oft genannt.

Besucher des Foltergefängnisses sind eingeladen, ihre Gedanken und Gefühle in ausgelegte Bücher einzutragen. Ich blättere einige Seiten zurück und finde Eintragungen in fast allen Sprachen der Welt. Viele Beiträge in fremden Sprachen kann ich nicht lesen. Dazwischen immer wieder auch Kommentare auf Deutsch. Ein 14-jähriges Mädchen schrieb: "In der Schule lernten wir, dass die Menschen nach dem Holocaust in der ganzen Welt versprachen: NIE MEHR WIEDER! Aber hier sehe ich, dass es doch ein Immer-wieder gibt. Wann werden wir Menschen damit aufhören andere zu quälen?"

Kaing Guek Eav, der vom ersten bis zum letzten Tag der Oberkommandierende dieses Foltergefängnisses war, lebte später unbehelligt in einem kleinen Dorf in Kambodscha. 1999 wurde er verhaftet. Er starb am 2. September 2020 in Phnom Penh.

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