Ich kaufe ein - "E"
Es war ein verregneter Nachmittag, als ich beschloss, mich in die geheimnisvollen Gassen der Altstadt zu begeben. Mein Ziel: das letzte verbliebene Antiquariat für Buchstaben. Ein Laden, der aus der Zeit gefallen schien, voller verstaubter Regale und mysteriöser Ecken. Dort wurden Buchstaben verkauft, seltene, wertvolle und längst vergessene Zeichen, die in der modernen Welt der schnellen Kommunikation keine Verwendung mehr fanden.
Hinter dem Tresen stand ein älterer Herr, dessen Anzug wie aus einer anderen Epoche wirkte. Mit einem verschwörerischen Lächeln begrüßte er mich. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Ich brauche ein ‚E‘“, sagte ich und beobachtete, wie seine Augen kurz aufblitzten. Ein ‚E‘ war nicht nur ein Buchstabe, es war der häufigste Buchstabe der deutschen Sprache und somit ein rares Gut in dieser verborgenen Welt der Buchstabenhändler.
„Ein ‚E‘, sagen Sie?“, wiederholte er langsam, als würde er die Bedeutung meiner Worte abwägen. „Wir haben noch einige, aber sie sind nicht billig. Seit der Zensur sind die Preise stark gestiegen.“
Er führte mich zu einem Regal, auf dem einzelne Buchstaben in prächtigen Rahmen präsentiert wurden. Da lag es, das ‚E‘. Ein Zeichen, das früher in jeder Zeitung, jedem Buch, jeder Schrift vorkam und nun wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten anmutete.
„Dieses ‚E‘ stammt aus einer alten Druckerpresse“, erklärte der Händler ehrfürchtig. „Es wurde für extraordinäre Wörter verwendet, die in geheimen Texten und verbotenen Manuskripten zu finden waren.“
Ich konnte nicht anders, als über die Ironie der Situation zu schmunzeln. Ein Buchstabe, einst allgegenwärtig und nun so kostbar, dass er wie ein Kunstwerk behandelt wurde. „Wie viel kostet es?“
Der Händler nannte eine Summe, die mehr an den Kauf eines Kunstwerks als an den Erwerb eines simplen Buchstabens erinnerte. Doch ich zahlte, wissend, dass ich etwas Besonderes in Händen hielt.
„Passen Sie gut darauf auf“, warnte er mich beim Abschied. „Ein ‚E‘ ist heute mehr wert als je zuvor. Und wer weiß, wie lange wir noch Zugang zu diesen Schätzen haben werden.“
Mit meinem neuen Schatz verließ ich das Antiquariat und dachte über die Absurdität der Welt nach. Ein einfacher Buchstabe, so wertvoll und geheimnisvoll. Die moderne Welt hatte vieles verändert, aber der Zauber der Buchstaben blieb ungebrochen.
Schönen Dienstag noch.
Volker - H 28/05/2024 13:49
Du kannst Stories erfinden. Wer weiß, was noch kommt.Nightrod 28/05/2024 9:00
Schöne Szene....und die Story dazu;)Jörg Wolfshöfer 27/05/2024 23:37
Bild und dazugehöriger Text eine Wucht Klaus, LG Jörg