Ich . . . Neydhart von Gmunden
Moin. Ich bin Neydhart, geboren in Gmunden und 69 Jahre alt. Ich bin Bergarbeitersohn
und im Aachener Steinkohlerevier um Alsdorf herum aufgewachsen. Selber habe ich im
Bergbau Starkstromelektriker gelernt, bevor ich über mein gewerkschaftliches Engage-
ment die Möglichkeit eines Studiums in Hamburg erhielt. Seither lebe ich in dieser Welt-
stadt, die mir nie Heimat wurde.
In den 1970iger begann ich mit meiner Fotografie, um unsere gewerkschaftlichen Aktivitä-
ten zu dokumentieren. Mit dem Studium hörte dies wieder auf. Gewerkschaftliches und
gesellschaftspolitisches Engagement für eine bessere Gesellschaft, für eine bessere Welt,
waren mir wichtiger. Nach dem Studium arbeitete ich unter dem Dach der Diakonie, zu-
letzt in einer Führungsposition in einer Reha-Klinik. Die intensive erschöpfende Arbeit hat-
te plötzlich Vorrang vor allem anderen. Eine psychosomatische Kur, wegen Erschöpfung,
folgte einer weiteren. Auf der letzten Kur sagte der leitende Arzt, schaffen sie sich einen
kreativen Ausgleich zu ihrer „grauen“ Arbeit. Ich erinnerte mich an meinen Fotoapparat,
der allerdings nur manuelle Fotografie erlaubte. Da ich nicht mehr die Geduld für manuel-
le Einstellungen hatte, kaufte ich mir eine neue gebrauchte Kamera, um die Autofokus
funktion und bestimmte Automatiken nutzen zu können. Anfang der 2000er stieg auch ich
dann auf die Digitaltechnik um. Zufällig erfuhr ich von der Fotogruppe „Der Norden taut
auf“, wo ich mit Freude und Neugierde mitmachte. Es war eine schöne und bereichernde
Zeit, in der ich viel über Fotografie erfuhr und vieles über andere lernen konnte. Wir führ-
ten viele, viele gemeinsame Aktivitäten durch. Unter den Fotofreunden waren viele, die
wie ich einen kreativen Ausgleich zum „grauen“ Arbeitsalltag suchten. Das war ein schö-
nes verbindendes Gefühl. Leider brach irgendwann die Gruppe auseinander. Die Kümme-
rer waren des Kümmerns müde und andere wollten nicht Verantwortung übernehmen. Ir-
gendwann um 2010 war es mit der Gruppe vorbei. Mit ein, zwei Freunden/Freundinnen
aus dieser Gruppe, machte ich/wir weiter. Hier möchte ich Danny erwähnen, die als “an-
sichtssache“ hier in der fc aktiv ist. Bei einem Besuch bei meiner Mutter änderte sich ur-
plötzlich mein fotografischer Schwerpunkt. Ich wollte ihr zeigen, wo ich gearbeitet hatte.
Wir kamen zum Zechengelände und alle Gebäude und Anlagen war nahezu verschwun-
den, abgerissen. Ein riesieges Areal mit zwei Fördertürmen, vielen Werkstätten, einer be-
triebseigenen Berufsschule, einem Kraftwerk, alles weg. Das hatte mir solch einen Stich
ins Herz versetzt, dass ich mir schwor, alle Industrie von Kohle und Stahl zu fotografieren
(dokumentieren), bevor es dann achtlos für alle Zeiten verschwindet. Ich nenne dies eine
Art persönliche Trauerarbeit. Und so fahre ich durch die Lande, um Industrieruinen und
Reste unserer einst stolzen (umweltschädigenden) Industrie einzufangen. Selten aber zei-
ge ich meine Fotos von diesen Touren hier. Nur, wenn mir eine Geschichte dazu einfällt.
Ich habe mich überwiegend auf gesellschaftliche Themen in meiner Fotografie konzent-
riert, meiner gewerkschaftlichen Sozialisation folgend. Hierbei greife ich gesellschaftliche
und individuelle Themen auf, die ich durch eine Geschichte oder eine Begebenheit unter-
male. Manchmal nehme ich mich dabei auch selber auf die Schippe, wie z.B. im „Zauber-
lehrling“. Ich nenne meine Fotografie „erzählende Fotografie“. Mit ist es wichtig, unter
meinen und anderer Leute Bildern zu diskutieren, in einen tieferen Gedankenaustausch
zu treten, aktuelle Situationen, aber auch unsere jeweiligen Lebensbiographien zu reflek
tieren. Dies ernsthaft sachlich, aber auch ironisch oder witzig/humorvoll. Ich gebe zu, ich
bin nicht immer freundlich. Aber böse bin ich nicht, sondern kritisch. Weil vieles, was wir
in unserem Leben ändern sollten, um einen gesunden Planeten zu hinterlassen, nicht ge
schieht, obwohl wir um diese Problematik wissen. Mein langjähriges gesellschaftspoliti-
sches Leben kann ich nicht einfach beiseite legen, wie abgelatschte Schuhe. Dafür sind
viele aus den 1970igern bestehende und erkannte Probleme immer noch nicht gelöst bzw.
überwunden. Das lässt mir einfach keine Ruhe. Soweit zu mir und meiner Fotografie.
Danke für diese Möglichkeit dies schreiben zu können. Ich wünsche allen eine gute und
friedliche Zeit und immer viele schöne und eindrucksvolle fotografische Momente.
Glückauf, Neydhart
Roland Göhre 17/09/2024 17:37
Hallo Neydhart,vielleicht klappt es mal mit einem Treffen. Dann kann ich ja das er zählen, was mich als sinnvoller Kommentar zu Deinem eindrucksvollen Text im Moment überfordert...:-))
VG Roland
Marina Luise 15/09/2024 8:25
Ist doch schön in einem Profiltext mal zu lesen, wie es war und jetzt ist! Und was jemand denkt und so tut - ohne zu verzweifeltn an der Realität und aufzugeben!Und wie erfrischend mal keine Aufzählung von Fotoapparaten und Linsen und Tricklinsen und sonstigen Sta.tiefen oder Reinigungstüchern zu lesen.
Mal keine stolzen Startseitenauflistungen oder Fotos mit den meisten Klicks oder son Schmonzes! :)) Wohltuend und man hat das Gefühl mal einen Menschen zu treffen und nicht nur einen Bilderaussteller! Danke auch mal dafür! :)
Und die kleine Mausegeschichte steht auf meiner Winterliste! ;)
manfred.art 06/09/2024 11:31
ein ganz besonderes portrait, wirklich! deine erzählung, aufzählung.. mir gefaellt das! alles gute dir und bis bald mal wieder, herzlichst manfredClara Hase 05/09/2024 14:25
Toll - mehr als nur Face.Neue Hinweise für mich, grins - der norden taut auf?
Die Community habe ich bei dem Rückblick gar nicht im Blick gehabt.
gabi44 20/08/2024 22:10
Lieber Neydhart, Deine Zeilen: ehrlich, aufrichtig und uneitel. Das gefällt mir. Ein Foto sollte etwas bewirken, was Geist und Gefühl anspricht - erst dann hat ein Foto sein Ziel erreicht (L.Feininger)- das bewirkst Du mit Deinen Einstellungen - darum folge ich Dir gerne, auch wenn ich mich zusehends der Naturfotografie zuwende. Kunst um der Kunst willen ist für mich schon lange keine Option mehr - ist ausgereizt.Was Du mit Deiner Archivsuche unternimmst, mache ich mit der Stadt
Berlin. Diese Stadt wurde solch einem Wandel unterzogen, darum
interessierte mich der Anfang. Nach der Wende habe ich viele Orte
aufgesucht und dokumentiert - heute eine wichtige Stadtentwicklung
in Form einer Dokumentation. Ich werde diese Fotos zum gegebenen
Zeitpunkt dem Berlin-Museum übergeben.
Meine Leidenschaft für die Fotografie habe ich ja bereits kurz in meinem Profil beschrieben.
Schreibe momentan nur wenig AMs, um nicht ins Hamsterrad zu
fallen :)))
Ich grüße Dich ganz herzlich - bleib wie Du bist.
lg gabi 44
peju 20/08/2024 16:00
Ernsthafter Fotograf mit dem Schalk im Nacken?Immerhin ist Dir anders als so manchen, mich eingeschlossen die Lust an der Fotografie noch nicht abhanden gekommen.
Nachdenkliche Grüße
Peter
Rundhauber66 20/08/2024 15:21
Eine unverblümt geschilderte Biografie eines tiefgründigen Fotografen. Die ausgewählte Fotoarbeit zeigt mir ebenfalls die notwendige Prise Humor.... Weiter so, lieber Herr Neydhart von Gmunden.Hochsommerliche Grüsse von der Ina
reibol 20/08/2024 9:46
Den Start haben wir fast gemeinsam: Starkstromelektiker :-)Es ist interessant, Deinen Werdegang und Deine Gedankengänge zu verfolgen. Es ist gut, nicht an der Welt zu verzweifeln, auch wenn sie ist, wie sie ist.
Glück auf aus dem Münsterland
Reinhold
Conny11 19/08/2024 22:59
Eine sehr gute Präsentation... das Leben muss man immer mit einem Augenzwinkern nehmen.... dann ist vieles einfacher.. bleib wie du bist.LG, hab einen schönen Tag, herzlichst Conny
Susacu 19/08/2024 22:52
Gut hast du deinen Werdegang und deine Motivation präsentiertAlles Gute
LG susanne
-ansichtssache- 19/08/2024 20:56
Respekt! Schnörkellos, ehrlich, manchmal mit ein bisschen Wehmut, aber immer noch engagiert! Mir gefällt deine Präsentation!Glückauf....passt hier.....Danny
HJ.B. 19/08/2024 20:31
Die Fotografie - Deine Passion.Von Dir bestens präsentiert.
Herzliche Grüße
Hans Jürgen.