Nadelöhr-Buche Appelhäger Forst (9819)
Nadelöhr-Buchen üben seit jeher eine seltsame Faszination auf Menschen aus. Bis man eine Erklärung dafür fand, warum v.a. Buchen solche Phänomene hervorbringen, waren übernatürliche Wesen in der Verantwortung, wurden transzendente Kräfte ins Spiel gebracht – und der ein oder andere Unfug getrieben. Man muss nur das Wuchsverhalten der Buche kennen und die Waldentwicklung verstehen, dann kann man sich dergleichen relativ leicht erklären, freilich immer mit gewissen Unsicherheiten, denn niemand von uns ist dabei gewesen, als „es“ begann. Nur bleibt es eben ein ganz natürlicher Vorgang, und der Ort wird durch diese Buche nicht zu einem Hexentanzplatz.
Von der Nadelöhr-Buche im Appelhäger Forst gibt es ein Foto aus den 1930er Jahren, das ich durch einen Zufall gefunden habe und das zweifelsfrei denselben Baum 90 Jahre jünger zeigt – und natürlich sehr viel zierlicher. Man kann die Entwicklung anhand dieses Bildes interpolieren und kommt auf ein Alter von ca. 160 Jahren. Buchen neigen gelegentlich dazu, ineinander zuwachsen (Linden ebenso, aber deutlich seltener); das können zwei Bäume sein, es kann aber auch ein Baum sein, der sich zunächst verzweigt und dann, nach Jahren, wieder „zu sich findet“. Astabbrüche, Schneelasten, Konkurrenz u.ä. führen mitunter dazu, dass Bäume und ihre Äste sich unvorhersehbare Wege suchen, um (wieder) ans Licht zu gelangen. Wenn sich Zweige auf ihrem Wege zum Licht nur lange genug berühren, etwa weil ihnen die Konkurrenten keinen anderen Weg lassen, dann verwachsen sie insbesondere bei den Buchen miteinander. Im Bild sieht man das Konkurrenzverhalten ziemlich deutlich, denn die schlanken Buchen haben sich auf ihrem lotrechten Weg zum Licht in die Höhe getrieben. Vor allem durch forstliche Tätigkeit ist der Druck aber mit der Zeit ein wenig gesunken, einige Buchen sind inzwischen gefällt worden. Dadurch gelangt mehr Licht auf den Waldboden – und dort steht der Bergahorn in Lauerstellung: flächendeckend verharren Jungbäume im Stadium des sog. Oskar-Syndroms – in Anlehnung an die Figur des Oskars aus der „Blechtrommel“, der ein Zwerg blieb, weil er beschlossen hatte, nicht mehr zu wachsen. Das kann der Bergahorn ziemlich lange aushalten, wenn aber Licht auf den Boden fällt, schießt er los und überholt dabei die langsam wachsenden Buchen. Das ist sein Konkurrenzvorteil, zumindest in diesem Stadium der Waldentwicklung.
Abseits nüchterner Erklärungen soll die Nadelöhr-Buche jedenfalls etwas Besonderes bleiben. Der Ort ist allemal ein magischer, und das zu jeder Tages- und Jahreszeit.
Paul Thöle 16/04/2021 20:04
Vielen vielen Dank für die ausführliche Erklärung: jetzt habe ich auch endlich einen schönen Titel für mein Nadelöhr-Bäumchen:LG Paul
Glücksfliegenpilz 13/04/2021 19:42
ein herrlicher alter Baum, mit so einem gewaltigen Loch. Ziemlich beeindruckend.viele Grüße von Barbara
Ina Penning 12/04/2021 22:05
Na das ist ja mal ein interessanter Baum. Die Perspektive mit Blick nach oben gefällt mir ausgesprochen gut. LG Ina