"Schnitternte" vor 80 Jahren (1) ...
... hab ich aus einem Familienalbum. Ein Bildmotiv das Ende der 1920er oder Anfang der 1930er Jahre aufgenommen sein dürfte. Es wurde in der Flur unweit meines Heimatortes aufgenommen.
Im Hintergrund sind die aufgestellten Getreidegarben gut zu erkennen.
Möglicherweise war der Fotograf ein durchreisender Photographengeselle der noch mit Glasplattennegative gearbeitet hat. Der Lichtbildner logierte dann in der Regel für einige Wochen in einem Gasthaus in der sieben Kilometer entfernten Kreisstadt Hofheim (i. Ufr!) und bot seine photographischen Dienste in der Lokalzeitung an. Je nach Auftragslage bereiste dieser dann die umliegenden Dörfer. Hatte er den Bürgermeister eines Dorfes als Kunden gewinnen können und war dieser zufrieden mit der Photoaufnahme sorgte die Mundpropaganda für Anschlußaufträge. Meist wurde zuvor das Zugtiergespann des Landwirtes herausgeputzt und dann mit seinem Besitzer und zusammen mit den Mitgliedern seiner Familie am Hoftor vor dem Anwesen abgelichtet. Dieses Bild ist schon ganz schlimm ramponiert, die abgebildete Persönlichkeit ist der damalige Bürgermeister Michael Hochrein, der kurze Zeit später von den Nazis abgelöst wurde!
Die kleineren "Bäuerlich" (Bauern mit vier bis sechs Hektar Anbaufläche) bei uns im Haßgau (Unterfranken) hatten als Zugtiere, so wie hier im Bild, in der Regel ein Kuh- oder Ochsengespann. Die größeren landwirtschaftlichen Betriebe (so ab sieben oder ab zehn Hektar Fläche) hatten Knechte und Mägde und arbeiteten mit "Gäulen" (Pferden) als Zugtiere, waren also etwas besser begütet! Da wurden zuvor die Zugpferde geputzt und gestriegelt und die Hufe mit schwarzer Schuhcreme zur Aufnahme extra schick gemacht, so die mündliche Überlieferung der immer weniger werdenden Dorfältesten (über 90 Jahre!).
Ulrich J. Kind 12/08/2013 23:36
Ja die Schärfe ist bei diesen Aufnahmen ausgesprochen sehr gut, ich hab noch einige im Archiv!Diese Aufnahme habe ich so im "Urzustand" belassen, freilich kann man sich daran mit der Bildbearbeitung austoben. Ich bin derzeit zusammen mit fünf engagierten "Machern" gerade dabei für unser Dorfjubiläum (1200 Jahre) im kommenden Jahr eine Chronik zu "erarbeiten". Unterstützt werden wir dabei vom Vorsitzenden des Historischen Verein Haßberge der uns mit wertvollen Tipps für die Archivsuche versorgt.
Die politische Gemeinde hat schon mal einen vierstelligen Betrag in diesem Haushaltsjahr eingeplant und die Jagdgenossenschaft hat auch die Vorfinanzierung des Projektes mit bis zu 15 000 Dübel zugesagt. Im Juli 2014 soll dann die Dorfchronik (~300-500 Seiten) der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Ab und zu werde ich hier ein paar seltene historische Bildmotive zu bestimmten Themenbereichen einstellen. Dieses Bild passte gerade zur jetzt zu Ende gehenden Getreideernte.
VG Uli
Herbert Talinski 12/08/2013 20:04
Oh ja, so hab ich das auch noch erlebt! Während des Krieges in Bayern evakuiert, gab es damals fast nur Ochsengespanne so wie auf dem Foto. Bei uns in Westfalen wurde fast nur mit Pferden gearbeitet. Erst lange nach dem Krieg sah ich den ersten Traktor.Ungeachtet der Beschädigungen finde ich die Belichtung und die Bildschärfe ausgesprochen gut!
LG Herbert
Bagojowitsch 12/08/2013 17:23
Ein sehr schönes Zeitdokument.LG Winfried
O.K.50 12/08/2013 16:25
ganz sicher ein tolles Zeitzeugnis......aber gerade deshalb und um es zu erhalten, wäre eine akribische Bearbeitung und digitale Restaurierung erforderlich gewesen.Das Bild hat offenbar schon arg viel mitgemacht. Die Kratzer sprechen nur eine Sprache (mit denen kann man wegen der Nostalgie sogar gut leben), aber das von Sonne und Umwelteinflüssen schon sehr farbverfälschte Fotopapier ist nicht mehr Sepia, sondern knallrot.
Wie gesagt, ich wünschte mir, solchen wirklich alten Bildern die erforderliche Restaurierung zu gönnen.
VG
Zupographics 12/08/2013 16:24
Ein wahrhaftiges Stück Zeitgeschichte. Das ermahnt mich daran, auch mal Bilder entwickeln zu lassen und nicht nur digital auf einem Speichermedium aufzubewahren. Ich glaube kaum, das eine digitale Aufnahme achtzig Jahre überdauert.