Sommerlinde Polchow (9270-9276)
Um 1209 wurde die Pfarrkirche des Dorfes Polchow von den pommerschen Fürsten Bogislaw II. und Kasimir II. gegründet und dem Heiligen Martin gewidmet. 1228/1229 kam es – nach der urkundlichen Übertragung auf das Kloster Dargun 1216 – unter die Herrschaft der mecklenburgischen Fürsten. Wohl aus dieser Zeit stammt auch die Sommer-Linde auf dem angrenzenden Friedhof. Die ersten beiden Kirchenbauten hat sie bereits überlebt; seit 1891 begleitet sie das nach Plänen G. L. Möckels – er hatte zuvor das Doberaner Münster restauriert – das von dem Teterower Baumeister C. Pitschner errichtete Gotteshaus, dessen Vorgängerbau wegen Baufälligkeit abgerissen werden musste. Wenn wir annehmen wollen, die einstige Kirche und die Linde wären gleichen Alters, ist der Baum heute gut 800 Jahre alt.
Nicht viele Bäume erreichen dieses Alter, für Linden ist das aber keineswegs ungewöhnlich. Sie wachsen zwar nicht lebenslang in die Höhe, stellen jedoch das Dickenwachstum nicht ein. Während das innere (tote) Holz mit den Jahrhunderten von Insekten, Pilzen und Bakterien nach und nach abgebaut wird, leben die äußeren Schichten weiter, leiten in ihren Gefäßen Wasser und Nährstoffe in die Krone und Kohlenhydrate in die Wurzel, produzieren neues Holz – und vereinzeln sich auf die Weise nach und nach. Die Polchower Linde, einer der ältesten Bäume Mecklenburgs und der dickste bekannte Ostdeutschlands, ist ein auffälliges Beispiel dafür. Manch einer, der den Baum aus der Nähe und aus allen Himmelsrichtungen betrachtet, kann durchaus zu dem Schluss kommen, mehrere Bäume vor sich zu haben, die an einigen Stellen in der unteren Krone zusammengewachsen sind. Im Herbst 2012 haben wir, als Naturschutzbehörde des (ehemaligen) Landkreises Bad Doberan, deshalb den Baum durch das Dresdner Forschungsinstitut Pro Arbore genetisch untersuchen lassen und ein zweifelsfreies Ergebnis bekommen: Es ist eine einzige Sommer-Linde.
Wie stark und vital die Polchower Linde immer noch ist, haben wir nach dem letzten Kronenentlastungsschnitt 2008 erfahren. Die neuen Austriebe an den Schnittstellen vermitteln nicht den Eindruck, als würde sich ihr Leben dem Ende neigen, als würde es ihr auch nur schlecht gehen: starke, junge Triebe, vitales Grün, große Blätter, artgerechte Verzweigung. Aber die neu entstandene Biomasse drückt auf das Holz, und dann zeigt sich, was der Baum wirklich aushalten muss und wie er sich ggf. von seiner Last befreit. In der Nacht vom 22. auf den 23. Juni 2017, in einem schweren Regensturm, hat der östliche (im Bild der linke) Stämmling nachgegeben und brach oberhalb des Stammfußes. Was dabei zu Tage trat, hat uns völlig verblüfft. Offensichtlich hat sich die Linde schon seit längerer Zeit darauf vorbereitet, den Stämmling zu opfern, um dessen Nachbarn und damit sich selbst halten zu können. Er ruhte nur noch auf dem Holz der letzten Jahresringe wie einem hohlen, dünnen Außenskelett. Hinter dieser Wandung hatte sich aber längst ein neuer Stamm gebildet, ein Innenskelett, das den verbliebenen westlichen (rechten) Teil der Krone stabilisiert und versorgt. An der Bruchstelle sind deutliche Spuren des Brandkrustenpilzes zu erkennen, der den sich anbahnenden Bruch beschleunigt hat, von außen aber nicht erkennbar war. Unterhalb der Bruchstelle verläuft in der Borke des Stammes ein Querriss, der jedoch nur das „Außenskelett“ umfasst und daher für die Festigkeit des Baumes keine Bedeutung mehr hat; er ist erst durch den Bruch und die damit einhergehenden Erschütterungen entstanden.
Mit dem Abwurf des ausgehöhlten mächtigen Stämmlings hat sich die Linde wieder selbst stabilisiert. Es ist kein Schaden, der Baum ist gut versorgt, er steht jetzt jedenfalls insgesamt stabiler als vor dem Ausbruch – das allerdings weiß man immer erst hinterher!. Das heißt gleichwohl nicht, wir könnten die Hände in den Schoß legen und den Baum sich selbst überlassen. Im Wald wäre das möglich, nicht aber auf dem Friedhof.
Die Ast- und Blattmasse, die sich in den zurückliegenden Jahren gebildet hat, beschwert den Baum und könnte an einer anderen Stelle zu einem weiteren Bruch führen. Also haben wir ihn, wie schon mehrere Male zuvor, erneut entlastet und die Gesamtkorne einkürzen lassen. Im Herbst 2017, nachdem der Baum seine jährlichen Reservestoffe eingelagert hat und bevor die winterliche Schneelast zu einer Gefahr werden konnte, wurde eine erste Schnittmaßnahme durchgeführt. Ein weiterer, etwas tiefer gehender Schnitt folgte im Frühjahr 2018, der dem Baum das Austreiben neuer Blätter und Zweige erleichtert hat.
Wir sind uns aber auch darüber im Klaren, dass solche Eingriffe dauerhaft in etwa 10jährigem Turnus wiederholt werden müssen, solange der Baum lebt. Den Plan dazu arbeiten wir heute aus und hoffen, dass ihn noch möglichst viele Menschengenerationen nach uns fortführen. Der Kirchenverwaltung obliegt es, das Betreten des Kronentraufbereichs so zu lenken, dass jedermann die potentielle Gefahr herabfallender Äste erkennen kann.
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