. . . von der Krankheit unserer Zivilisation . . .
Da war ich nun für einen kranken Nachbarn zum Arzt gegangen, um die Überweisung
in ein Krankenhaus abzuholen. Gegen 13:00 Uhr (!) stand ich vor der Arzthelferin und
sagte: Guten Tag, ich komme für Herrn . . . die Überweisung abholen; er hat ihnen in
der Früh eine E-Mail geschrieben. Antwort: Ja, die E-Mail ist heute Morgen gekommen
aber wir haben den Vorgang noch nicht bearbeitet. Sie können die Überweisung nicht
mitnehmen. Ich: Was bedeutet dies ? Muß ich jetzt bis Weihnachten warten ? Arztas-
sistentin: keine Reaktion. Ich genervt: Herr . . . ist schwer krank und hat einen Termin
im Krankenhaus und ich gehe hier nicht ohne Überweisung raus. Etwa 5 Minuten spä-
ter verlasse ich die Praxis mit der benötigten Unterlage; in mir brodelt immer noch ein
Vulkan. Wenn ich, sog. Privatpatient, zu meiner Hausärztin gehe um z.B. eine Überwei-
sung abzuholen, ist die ruckzuck ausgedruckt, ohne wenn und aber und ohne langes
Gedöhns. Was für Zeiten, was für ein nerviges Gesundheitssystem in diesem Jahrtau-
send. Also mit dem brodelnden Vulkan im Bauch hin zum Lieblingswald im Niendorfer
Gehege. Runter kommen, nur runter kommen, hämmert es in meinem Kopf. Der erste
Baum, der mit über den Weg läuft muß dran glauben. Ich lehne mich an seinen Stamm
und sage: ach Baum, das Leben als Mensch ist auch nicht immer leicht; ich habe so ei-
ne Wut im Bauch. Der Baum schweigt, er begnügt sich damit, mir seine starke Schulter
zu leihen; gebührenfrei ! Mein Blick gleitet zu seinem Nachbarn und da lacht mich doch
ein grünes Männlein an, gemalt auf einem Zauberstein. Sofort schwindet der Groll und
eine Leichtigkeit ergeift meine gequälte Seele. „Danke, sage ich, danke meine Freunde.
Wie gut es doch war, gleich zu euch zu kommen.“ Ich nehme den Stein und gehe mei-
nen vertrauten Weg. Ich freue mich wie ein Honigkuchenpferd und murmle vor mich hin:
danke, danke, danke. Nach der Hälfte der Weges lacht mich ein Blümlein an. Auch es
hat sich in einem Baum versteckt und sein ansteckendes Lachen hat mich zu sich ge-
führt. Meine Freude wächst und dankbar nehme ich das Blümlein an mich und bin nur
noch glückseelig. Beschwingt vollende ich meinen Weg durch den Wald. Am Ende des
Weges kommt mir der Gedanke, mal nach meinem Lieblingsmonster zu schauen. Wenn
ich schon mal hier bin, dann muß auch ein kurzer Besuch möglich sein. Also biege ich
in den Nebenweg ab, der mich zum Monster führt. Auf der Hälfte des Weges höre ich
eine leise Stimme: Hab einen schönen Tag; hab einen schönen Tag. Und wie ich nach
der Stimme schaue, da finde ich einen weiteren Zauberstein, der den letzten Hauch an
Frust in mir vertreibt. Guter Dinge kam ich dann zu meinem Lieblingsmonster und was
tat ich, ich brachte ihm neue Augen und eine Stimme mit. Da freute sich das Monster
und wir hatten beide einen schönen Tag, den wir lange in Erinnerung behalten werden.
Rundhauber66 16/01/2024 13:16
Nicht umsonst heisst es ja: .. mein FREUND der Baum... "Schöne Geschichte wieder lebendig erzählt und das Foto sehr FREUNDlich dargestellt... Vg. InaGeojeole 30/11/2022 21:50
Foto und Geschichte gehören eng zusammen, beim zweiten Betrachten wird das Lächeln noch breiter als vorher. Wunderbar verknüpft.peju 01/05/2022 19:47
Das wäre der richtige Moment...mal Kafka zu lesen. Dach geht's Dir sicher wieder besser...Und... ich beneide die Sprechstundenhelfer(innen) nicht um ihren Job.
Jeder will sofort und nicht warten. Ich weiß garnicht, wieviele Stunden ich schon in Wartezimmern verbracht habe, aber Geduld ist wohl das, was man am meisten braucht.
Grüße aus Köln
Peter
gabi44 27/04/2022 13:49
Dem Schrecken ein freundliches Gesicht geben mit Hilfe solcher - oft von Kinderhand -gestalteter Steinchen - habe schon eine Menge von ihnen unterwegs gesammelt, sie
erwarten ihre Rückführung an bestimmter Stelle, so, wie Du es getan hast. Eine wirklich
nette Idee !!!
Zum Gesundheitswesen nur so viel: In keinem mir bekannten Land laufen die Menschen
so viel zum Arzt wie bei uns. Mag die Bürokratie oft hinderlich sein - Dankbarkeit auf unser
System sei angebracht. Und wer treibt die Beitragskosten in die Höhe? Menschen, die
ihre Verantwortung für die eigenen Gesundheit der Allgemeinheit überlassen. Erkrankungen, die man mit common sense vermeiden könnte.
lg gabi 44
stffn 26/04/2022 23:21
beim photo finde ich keinen bezug, aber deinen text habe ich mit gewinn gelesen! danke. hrzlch, stffn-ansichtssache- 26/04/2022 21:22
Dein inzwischen guter Bekannter, der Monsterbaum, sieht ganz erstaunt aus, ob der dekorativen Gaben, mit dem du ihm ein Gesicht gegeben hast. Und nach dem Staunen kommt oft die Freude und so hattet ihr beide noch einen schönen Tag.Hab einen schönen Abend und eine ärgerfreie Woche!
LG Danny
E. W. R. 26/04/2022 18:52
Etwas mehr Resilienz (vulgo Widerstandskraft, geht doch!) könntest Du dir schon zulegen. Du hast ja sicher auch das Theater mit dem Rentenantrag bei leidlicher Gesundheit überlebt. ;-)juergi-p 26/04/2022 18:42
Das ist wirklich ein Monsterbaum, den Du da aufgenommen hast. Schöne Idee, die Wundersteine da reinzulegen. Und schöne Geschichte dazu!vg von jeurgi
Inge Striedinger 26/04/2022 18:24
Ein schönes Märchen, sowas braucht man in solchen Zeiten wie jetzt ... DANKE!LG Inge
HJ.B. 26/04/2022 18:24
Privatpatient oder ein Kopftuch umbinden, das ist hier die Lösung.Herzliche Grüße
Hans Jürgen.