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Wächterin der Toten

Wächterin der Toten

2.211 13

Wächterin der Toten

„Verdammt“, fluchte eine Stimme, „meine Schulter.“
Olli stand leicht schwankend mit einer Flasche Bier vor einem großen, auf einem Sockel stehenden Engel und beglotzte ihn. Er war betrunken, rülpste und meinte:
„Wat fürn Kram die sich damals ausgedacht hab‘n....“ und goss sich noch einen hinter die Binde.
„Wir wär‘s mal mit Hilfe?“, maulte sein Kumpan, der sich die Schulter rieb, mit der er sich gerade gegen einen großen, alten Grabstein geworfen hatte.
Der Dritte im Bunde ächzte und stemmte sich mit beiden Beinen gegen den Stein, der so alt war, dass seine Inschrift total unleserlich und verwittert war.
„Warum gerade den?“ fragte Olli und zeigte mit der Flasche auf das Grab.
„Weil der mir im Weg stand, Du Eule!“
„Man, weil ich Bock habe das dicke Ding flachzulegen, nun komm schon!“
Olli holte aus und warf die leere Flasche in Richtung des Engels. Sie zerplatzte an seinem Bein.
„Wir hätte doch die Brechstange mitnehmen sollen...“, moserte Atze, der seine Beine noch immer gegen den Stein drückte, den dies aber nicht zu stören schien.
„Woher sollte ich wissen, dass das Mistding so‘n Widerstand leistet?“ Berni rieb sich immer noch seine lädierte Schulter und trat nun gegen den Stein, was wiederum seinem Fuß nicht gut tat.
„Schei...........aua, verfluchtnocheins!!“
Olli erreichte die beiden und drückte seinen Zeigefinger gegen die Lippen.
„Psssscht“, lallte er und zog am oberen Rand des Steins.
„Hoffentlich hört das keiner“, meinte Atze.
„Quatsch, hier ist keine Sau“, motzte ihn Berni an. „Alles tot hier.“ Er musste grinsen.
Als sie nun alle drei an dem Stein werkelten knirschte es leise.
„Er gibt nach“, jubelte Berni.
Olli kratzte sich am Ohr und blickte zum Engel.
Atze beäugte den Sockel des Steins und konnte keinen Erfolg ausmachen.
„Hat der Engel nicht eben noch in die andre Richtun‘ geglotzt...?“
„Du bist besoffen, Olli“ Berni lachte unsicher.
„Nööö, echt, der..... ach Mist.“ Olli griff in die mitgebrachte Plastiktüte und holte noch eine Flasche Bier heraus. Am Rand des Grabsteins schlug er den Kronkorken ab.
Nun versuchten sie es wieder mit vereinten Kräften und das Knirschen wurde lauter. Irgendetwas bröckelte.
Schweiß ran den drei Männern über die Gesichter, mühten sie sich doch sichtlich ab etwas umzuwerfen, was schon viele Jahrzehnte der Zeit und dem Wetter getrotzt hatte. Wie festgewurzelt stand der Grabstein dort, als wolle er niemals weichen, schon gar nicht diesen drei Vandalen, die sich durch den Widerstand noch weiter angestachelt fühlten und nun im Rhythmus versuchten, ihr Werk zu vollenden.
„Wir sollten“, stöhnte Atze, „wir sollten uns nen anderen suchen...“ Er wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn.
Olli rülpste und kicherte dümlich.
„Kommt nicht in die Tüte, verdammtes Mistteil“, fluchte Berni gedämpft.
Olli entfernte sich ein Stück von dem Grab und kam kurze Zeit später mit einer Schaufel zurück.
„Guckt mal....“, strahlte er und wedelte damit herum, als ob es eine Wunderwaffe gegen widerspenstige Grabsteine wäre. „Die lehnte da hinten am Baum, hat wohl der Gärtnerboy vergess‘n.“
Etwas knackte.
Olli hielt kurz inne und legte den Kopf schief, als ob er das Knacken orten wollte. Dabei sah er ziemlich dämlich aus, wie er so da stand, die Schaufel von sich hielt und dabei in die Dunkelheit lauschte.
„Lass den Quatsch, komm her und hilf lieber!“, schnauzte Berni.
Olli setzte sich in Bewegung, kniete sich hinter den Stein und fing an zu graben. Nun schufteten die drei vor sich hin, sie schwitzen und stöhnten und eine Zeit später schienen sie ihrem Ziel näher zu kommen. Olli warf nun die Schaufel fort und zog am oberen Rand, während die beiden anderen auf der anderen Seite drückten und mit ihren Schuhen dabei das Grab aufwühlten.
Eine Wolke hatte sich vor den Mond geschoben, die sich nun daran machte ihren Weg fortzusetzen. Die Leuchtkraft nahm zu und ein weißliches Licht fiel zu Boden und traf auch den Engel, dessen Oberfläche wie von einem Leichentuch eingehüllt wurde.
Es krachte kurz und heftig, dann wankte der Stein und fiel wie in Zeitlupe und dann immer schneller werdend mit einem dumpfen Schlag auf die Erde.
Die drei Vandalen jubelten und klatschten sich gegenseitig mit der offenen Handfläche ab.
„Da hast Du‘s!!“, triumphierte Berni während Atze nach einer Zigarette kramte.
Olli konnte nicht mehr an sich halten, das Bier drückte und er ging zu dem gefällten Grabstein und stellte sich breitbeinig darüber.
Seine beiden Kumpels folgten ihm und stellten sich hinter Olli auf.
Als Olli fertig war torkelte er ein, zwei Schritte zurück und alle drei betrachteten ihre Arbeit. Das einzige, was sie wunderte war, dass jetzt doch das Mondlicht mehr Helligkeit auf den Stein werfen müsste, was irgendwie nicht der Fall war.
„Versteh‘ ich nicht...“, Atze blies den Rauch in die Luft und kratzte sich am Hinterkopf.
Dort, wo das Licht hätte hinfallen sollen, befand sich ein großer, diffuser Schatten, der eben noch nicht dort gewesen war. Er vermittelte den Eindruck, etwas würde hinter ihnen stehen, etwas, das recht groß sein musste und ziemlich breit....
Den drei Männern war plötzlich unwohl zumute. Eine Gänsehaut zog sich über ihre Nacken und keiner wollte der erste sein, der sich umdrehte.
Und dann taten sie es doch......




Grete kniete vor dem Grab und harkte ein paar Blätter fort. Die Sonne schien, die Luft war kalt, aber klar.
„Grete, dass musst Du Dir ansehen“, rief Inge rüber. Sie war eine alte Freundin von Grete und beide waren nach dem Tod ihrer Männer enger zusammen gekommen. Gemeinsam pflegten sie die Gräber der beiden.
Grete schaute auf. Rechts von ihr stand dieser wunderschöne, große Engel, sie faszinierte immer wieder diese Kunst, er sah so lebendig aus, wenn er nicht aus Stein gewesen wäre, würde sie meinen, er könnte jeden Moment vom Sockel steigen.
Sie raffte sich auf, packte die Harke weg und meinte: „Ich komme, einen kleinen Augenblick noch.“
Sie erhob sich mühsam, ja, im Alter wurde es nicht leichter, und ging langsam ein paar Gräber weiter, dorthin, wo Inge stand. Dort angekommen fragte sie:“Und was gibt es hier so interessantes zu sehen, außer diesen ganzen Bierflaschen von diesen Lümmeln...“, sie schüttelte verärgert den Kopf.
„Na hier, guck mal, haben sie den Stein nicht schön wieder hinbekommen?“
Grete nahm nun den großen, alten Grabstein genauer in Augenschein. Ja, dachte sie, bei ihrem letzten Besuch war er noch total verwittert gewesen. So hatte sie ihn gar noch nie gesehen.
„Schön, sehr schön haben sie das gemacht“, lobte Grete die Arbeit derjenigen, die diesen alten Stein wieder mit Leben versehen hatten. Er stand auf einem gepflegten Grab, alles machte einen tadellosen Eindruck.
Sie standen beide still nebeneinander und betrachteten die drei jungen, männlichen Gesichter, die als Reliefs in den oberen Teil des Stein eingebracht worden waren, die feinen, leidvollen Züge, deren Schmerz man förmlich zu spüren schien, Schmerzen, die sogar nach dem Tode nicht abklingen wollten....

Ihre Namen standen darunter, Namen, die Grete nicht kannte, aber der Stein war ja früher auch unleserlich gewesen, was für ein prachtvolles Werk bot sich den beiden alten Damen jetzt. Beide Frauen drehten ihre Köpfe zu dem großen Engel hin, dessen Blick hoch auf dem Sockel stehend weit über den Friedhof zu reichen schien, ein Blick als beobachtete er alles, was sich hier tat, bei Tag und bei Nacht. Als würde er Wache halten und alle schützen, die sich hier unter seiner Obhut befanden...

© Schoengeist

Comentarios 13

  • Tyria 30/03/2011 17:55

    Hier stiehlt der Mond dem Engel fast die Schau. Den Himmelskörper find ich grandios, der Rest säuft mir zu sehr im schwarz ab. Aber das ist Geschmackssache.
  • Sabine Kuhn 29/03/2011 8:45

    ... die harten Kontraste harmonieren gut mit dem Kontext der Geschichte, denn nur Engel und Mond waren Zeuge des Geschehens, und der Tod muss diese drei frevelhaften Menschen ins Mark getroffen haben wie ein Blick ins Gesicht der Medusa, lieber Jens.
    Nur diese beiden Zeugen stehen still und starr und wahren ihr dunkles Geheimnis an der Gerechtigkeit auf alle Zeiten. Eine Bild-/Textkombination wie ich sie mag! ...
    Aufheiternde Grüsse nach Bremen
    von Sabine ;-))
  • weisse feder 29/03/2011 0:10

    ... also, jens.. beides zusammen ist ein wahrer genuss;)) grosses kompliment an dich.. die dunkle phase, ich mag sie auch.. mag alle phasen.. und trotzdem hoffe ich, dass es dir auch gut geht (sorry, ich mach mir immer zu schnell sorgen, liegt so in meiner natur.. mein sohn nervt sich deswegen ständig an mir.. trotzdem wollte ich einfach nachfragen)... ja, starke leistung... danke ... claudia
  • Dark Romance Photographie und Poesie 28/03/2011 23:50

    stark
    lg Normann
  • Thorsten Schwafferts 28/03/2011 23:43

    Sehr starke Präsentation.
    LG Thorsten
  • F A R N S W O R T H 28/03/2011 20:18

    ich bin nicht nur von deinem foto, nein auch von der geschichte total begeistert !!
  • Thaysen Peter 28/03/2011 17:42

    Feiner Bildaufbau und eine sehr gelungene Bearbeitung!
    l.g.
    p.t.
  • Traumtänzer(in) 28/03/2011 13:53

    Also ich mag Deine dunkle Phase... kannste ruhig beibehalten... ;)
    Das Bild is klasse duster... passt beides bestens zusammen...
    LG
  • Schoengeist 28/03/2011 12:50

    @ Silencia

    Die Kontraste sind so von mir gewollt und die Strukturen dementsprechend hervorgestellt. Aber ist natürlich auch persönliche Geschmackssache.

    @ Treweg

    Die Story ist eigentlich gar nicht sooo gruselig, hatte die Grundversion schon länger auf der Platte, war mir dann zu kurz und ich habe gestern Nacht noch daran geschrieben. Das Thema wird vielleicht nicht jedem gefallen, dann schon eher das Ende ;))

    Und ja, ich bewege mich momentan eher im Schatten (dunkle Phase - wird die mal enden?) als im Licht ;))

    LG
    Jens
  • ipunkt 28/03/2011 9:39

    ganz großes (kopf)kino mal wieder!
    lg ina
  • Marcus Propostus 28/03/2011 8:57

    Der Engel ist ja geil, und deine Collage finde ich super! Für den Text fehlt mir die Zeit....
    Schönen Wochenstart
    Markus
  • Dominik der Weltenbummler 28/03/2011 8:04

    wie es auch immer zu diesem nächtlichen Ausflug kam, er hat sich gelohnt! Eine klasse Arbeit!

    Gruß,
    Dominik
  • Treweg 28/03/2011 4:00

    Der Mond scheint helle....
    Kann es sein das Du dich des Nachts auch auf Friedhöfen rumtreibst??.........;))
    Dunkle Phase???
    Nett,aber zum lesen komm ich erst nachher....
    soviel Text und bei soviel Düsternis warte ich lieber bis die Sonne scheint....
    LG Jens(Grusel....Zittert,Bibber..)