Vom Reiz des Unterwegsseins...
Als Lokomotivführer bin ich für die DB Cargo Deutschland AG auf den verschiedensten Baureihen und Strecken ab und bis Bebra unterwegs. Der Reiz dieser Tätigkeit liegt für mich dabei nicht nur in der Abwechselung – man kann drei Tage hintereinander den gleichen Zug im Dienstplan stehen haben, und dennoch ist es jedes Mal anders –, sondern auch in den wechselnden Bedingungen. Neben den Jahreszeiten ist da auch das Wetter und die umliegende Flora und Fauna. Die großen Frontscheiben der mittlerweile überwiegend im Güterverkehr zum Einsatz kommenden Drehstromlokomotiven erlauben dabei eine gute Sicht auf die vor einem liegenden Strecken und Landschaften. Besonders lieben tue ich die Fahrten am Morgen in den Sonnenaufgang, wenn auf taunassen Wiesen leichter Bodennebel zu sehen ist und Rot- und Schwarzwild genauso zu erkennen sind wie Hasen, Kraniche, Störche, Füchse und viele andere heimische Tierarten. Der Wechsel der Jahreszeiten bringt es zudem mit sich, dass man Zeuge ist, wie sich die Natur im Laufe des Jahres verändert, wie die Bäume ihr Blattwerk ändern oder es auf Feldern und Wiesen wächst und gedeiht und die Bauern im Herbst ihre Ernte einholen. Auch bauliche Veränderungen an der Strecke nimmt man durch die sich „wiederholende“ Perspektive anders wahr. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir beispielsweise eine Familie, wo ich seit Jahren „stiller Zuschauer“ bin: Es begann mit dem Ausheben der Baugrube, dann der Hausbau, dem Einzug, einige Jahr später stand dann eine Kinderrutsche auf der Wiese „hinterm Haus“ – für mich quasi die Vorderseite – und man sah Bruder und Schwester im Garten spielen.
Wer ein bisschen „bahn-affin“ ist wird zudem seine Freude am entgegenkommenden Verkehr haben, denn durch Fahrtabschnitte von teils einigen hundert Kilometer wechseln sich nicht nur Fernverkehrs- und Güterzüge unterschiedlichster Unternehmen auf den Nachbargleisen ab, sondern auch die verschiedenen Fahrzeugtypen und Lackierungen von DB Regio und ihrer Wettbewerber auf den Nahverkehrsstrecken.
Manchmal fährt man allerdings auch auf Wettersituationen zu, welchen man ansieht, dass es „nicht mehr lange gut gehen wird“. Die obige Aufnahme, welche zwischen Bad Soden-Salmünster und Wächtersbach entstand, soll dabei symbolisch für manch dunkle Wolkenwand stehen, unter welcher ich schon gefahren bin und in denen sich Wind, Regen und Hagel teilweise vermischen und es nur so auf die Frontscheiben prasselt.
Aufnahmedatum: Montag, 17. Mai 2021 – 16:40 Uhr
Besondere Perspektiven eines Lokführers...
makna 26/03/2022 14:20
Die "privilegierte Perspektive" ist nicht nur für Lokbilder der Entgegenkommenden gut:Deine Beschreibung verdeutlicht den Abwechslungsreichtum und das "Miterleben" !!!
Mit dieser ausführlichen Schilderung vermittelst Du Ein- und Ausblick gleichermaßen:
Das Motiv hingegen spricht für sich - alle Wetter !!!
BG Manfred
P.S.: Manchmal ist auch der Blick aus dem Zug "umwerfend" ... ;-)
Herbie Schneider 24/03/2022 11:21
Deine ausführliche Beschreibung finde ich äußerst informativ. Als Normal-Sterblicher hat man diesen Blick beim Reisen nicht.Gruß Herbert